1x1 der Koalitionsverhandlungen
Ob man es nun Sondierungsgespräche oder Koalitionsverhandlungen nennt: Auf dem Weg zu einer neuen Regierung sind zehn Regeln zu beachten.
WIEN. Die Verhandlungen über die Bildung einer Koalitionsregierung sind ein heikles Unterfangen. Sie beeinflussen das Schicksal des Landes in den kommenden Jahren, aber auch das Schicksal der involvierten Parteien. An alle Beteiligten werden höchste Anforderungen gestellt. Ausgerechnet nach einem Wahlkampf, in dem die Parteien ihre jeweilige Position als die einzig richtige angepriesen haben, müssen sie diese Positionen nun aufgeben und sich aufeinander zubewegen. Gelingen kann dies nur, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind.
1. Eine intakte Gesprächsbasis
Die erste Forderung klingt banal, ist nach dem hitzigen Wahlkampf aber gar nicht so leicht zu erfüllen: Die Verhandler müssen miteinander reden können. Wenn persönliche Differenzen bestehen – wie etwa zwischen Sebastian Kurz und Pamela RendiWagner nach ihren harten Wahlkampfduellen – müssen sie am Beginn der Verhandlungen ausgeräumt werden. Koalitionen funktionieren nur dann, wenn die beiden Parteichefs auch einen persönlichen Draht zueinander finden.
2. Vertrauen und Vertraulichkeit
Koalitionsverhandlungen sind Vertrauenssache. Beide Parteien legen ihre geheimsten Pläne und Absichten auf den Tisch. Sie müssen deshalb darauf vertrauen können, dass nichts aus den Verhandlungen nach außen dringt. Geschieht dies dennoch, ist das ein Zeichen für das bevorstehende Scheitern der Verhandlungen. Die Indiskretionen dienen dann dazu, eine Ausrede für das Platzenlassen der Verhandlungen zu finden.
3. Unumstrittene Verhandler
Die Verhandlungsführer auf beiden Seiten müssen die Souveränität und das unumstrittene Recht haben, für ihre Parteien zu verhandeln und in deren Namen den Pakt abzuschließen. Sonst werden die Verhandlungen zur Tortur. Das war übrigens das Problem, an dem die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und Grünen im Jahr 2003 scheiterten: Jedes Detail mussten sich die grünen Verhandler damals von den Landesparteien und der Parteibasis absegnen lassen. So war kein Gesamtergebnis zu erzielen. Diesmal soll Grünen-Chef Werner Kogler
mehr Vollmachten für die Verhandlungen bekommen haben.
4. Ein gleicher Informationsstand
Verhandlungen sind nur dann erfolgversprechend, wenn keine der beiden Seiten über einen Informationsvorsprung verfügt. Insofern trifft es sich gut, dass derzeit keine der Parteien offiziell in der Regierung sitzt. Die Übergangsregierung wird darauf zu achten haben, dass sie alle Parteien gleichmäßig mit Informationen versorgt. Besonders wichtig ist das bei den Budgetzahlen und bei der Berechnung der Folgekosten von Reformen.
5. Keine Alternativen
Am ehesten gelingen Koalitionsverhandlungen, wenn beide Parteien keine Alternative haben. Hat ein Verhandlungspartner eine zweite oder gar dritte Option, gibt ihm das automatisch ein Übergewicht. Insofern ist die ÖVP momentan in einer komfortablen Verhandlungsposition. Deshalb ist sie so daran interessiert, dass die FPÖ zumindest theoretisch im Koalitionsspiel bleibt. Damit kann die ÖVP die Grünen oder die SPÖ unter Druck setzen. Je länger der Poker dauert, desto größer wird der Druck auf Kurz werden. Denn er ist mit der Regierungsbildung beauftragt worden, er muss einen Koalitionspartner finden. Findet er keinen, muss er eine Minderheitsregierung bilden – ein Wagnis mit ungewissem Ausgang.
6. Gemeinsame Ziele müssen her
Nichts schweißt zwei Parteien mehr zusammen als gemeinsame Ziele. In der letzten Regierung hatten ÖVP und FPÖ das große gemeinsame Projekt der Eindämmung der Migration und der Senkung der Steuerlast. Die Große Koalition von SPÖ und ÖVP funktionierte in den 90erJahren so lang gut, solange der EUBeitritt vorzubereiten war. Nachdem dieses gemeinsame Ziel erreicht war, ging es mit der Großen Koalition bergab.
Diesmal könnten sich wohl am ehesten wieder ÖVP und FPÖ auf gemeinsame Regierungsziele einigen. ÖVP und Grüne müssten sich ein gemeinsames Projekt, hinter dem beide Parteien voll stehen, erst suchen.
7. Vollkoalition oder Leuchtturmprojekte?
Verhandeln eine große und kleine Partei (zum Beispiel ÖVP und Grüne) miteinander, steht die kleine Partei vor einer schwierigen Entscheidung: Strebt sie eine Vollkoalition an, in der sie in allen Bereichen mitbestimmt, oder konzentriert sie sich auf einige Leuchtturmprojekte, die sie ihren Wählern als Erfolg verkaufen kann, und lässt ansonsten den Seniorpartner weitgehend so regieren, wie er will?
Strebt die kleine Partei eine Vollkoalition an, werden die Verhandlungen schwierig, denn dann empfindet die große Partei die Situation so, als wollte der Schwanz mit dem Hund wedeln.
8. Zeit nehmen, Details klären
Keinesfalls sollten sich die Koalitionsverhandler unter Zeitdruck setzen lassen. Mag die Öffentlichkeit noch so ungeduldig sein, die Parteien müssen sich ausreichend Zeit nehmen, um möglichst alle Details zu klären. Denn ein unklarer Koalitionspakt führt im Regierungsalltag sofort zu Streit. Die Zeit, die man beim Abfassen des Koalitionspakts einzusparen glaubt, verliert man dann mehrfach beim Regieren.
9. Die richtige Reihenfolge
Die Koalitionsverhandlungen sollten mit harmlosen Themen beginnen, bei denen sich leicht ein Konsens erzielen lässt. Das schafft Vertrauen am Verhandlungstisch. Und je mehr bereits abgehakt ist, desto schwerer wird es für beide Seiten, vom Verhandlungstisch aufzustehen und die Gespräche platzen zu lassen. Die heiklen Probleme hebt man sich bis zum Schluss auf. Sie werden dann von den Parteichefs unter vier Augen gelöst – oder eben nicht.
10. Die Ministerliste kommt zum Schluss
Das wohl größte Problem von allen ist die Ressortverteilung und die Ministerliste. Denn da geht es um Macht und Einfluss und um regionale wie auch innerparteiliche Balance. Damit öffentliche Machtkämpfe vermieden werden, sollten die beiden Parteichefs die Ministerliste daher erst ganz am Ende festlegen. Die wichtigste Voraussetzung ist freilich: Beide Parteien müssen miteinander regieren wollen. Wenn sie sich zu den Verhandlungen gezwungen fühlen, suchen sie nur nach Gründen, um sie scheitern zu lassen, und geben dem jeweils anderen die Schuld dafür.