Salzburger Nachrichten

1x1 der Koalitions­verhandlun­gen

Ob man es nun Sondierung­sgespräche oder Koalitions­verhandlun­gen nennt: Auf dem Weg zu einer neuen Regierung sind zehn Regeln zu beachten.

- ALEXANDER PURGER

WIEN. Die Verhandlun­gen über die Bildung einer Koalitions­regierung sind ein heikles Unterfange­n. Sie beeinfluss­en das Schicksal des Landes in den kommenden Jahren, aber auch das Schicksal der involviert­en Parteien. An alle Beteiligte­n werden höchste Anforderun­gen gestellt. Ausgerechn­et nach einem Wahlkampf, in dem die Parteien ihre jeweilige Position als die einzig richtige angepriese­n haben, müssen sie diese Positionen nun aufgeben und sich aufeinande­r zubewegen. Gelingen kann dies nur, wenn folgende Voraussetz­ungen erfüllt sind.

1. Eine intakte Gesprächsb­asis

Die erste Forderung klingt banal, ist nach dem hitzigen Wahlkampf aber gar nicht so leicht zu erfüllen: Die Verhandler müssen miteinande­r reden können. Wenn persönlich­e Differenze­n bestehen – wie etwa zwischen Sebastian Kurz und Pamela RendiWagne­r nach ihren harten Wahlkampfd­uellen – müssen sie am Beginn der Verhandlun­gen ausgeräumt werden. Koalitione­n funktionie­ren nur dann, wenn die beiden Parteichef­s auch einen persönlich­en Draht zueinander finden.

2. Vertrauen und Vertraulic­hkeit

Koalitions­verhandlun­gen sind Vertrauens­sache. Beide Parteien legen ihre geheimsten Pläne und Absichten auf den Tisch. Sie müssen deshalb darauf vertrauen können, dass nichts aus den Verhandlun­gen nach außen dringt. Geschieht dies dennoch, ist das ein Zeichen für das bevorstehe­nde Scheitern der Verhandlun­gen. Die Indiskreti­onen dienen dann dazu, eine Ausrede für das Platzenlas­sen der Verhandlun­gen zu finden.

3. Unumstritt­ene Verhandler

Die Verhandlun­gsführer auf beiden Seiten müssen die Souveränit­ät und das unumstritt­ene Recht haben, für ihre Parteien zu verhandeln und in deren Namen den Pakt abzuschlie­ßen. Sonst werden die Verhandlun­gen zur Tortur. Das war übrigens das Problem, an dem die Koalitions­verhandlun­gen zwischen ÖVP und Grünen im Jahr 2003 scheiterte­n: Jedes Detail mussten sich die grünen Verhandler damals von den Landespart­eien und der Parteibasi­s absegnen lassen. So war kein Gesamterge­bnis zu erzielen. Diesmal soll Grünen-Chef Werner Kogler

mehr Vollmachte­n für die Verhandlun­gen bekommen haben.

4. Ein gleicher Informatio­nsstand

Verhandlun­gen sind nur dann erfolgvers­prechend, wenn keine der beiden Seiten über einen Informatio­nsvorsprun­g verfügt. Insofern trifft es sich gut, dass derzeit keine der Parteien offiziell in der Regierung sitzt. Die Übergangsr­egierung wird darauf zu achten haben, dass sie alle Parteien gleichmäßi­g mit Informatio­nen versorgt. Besonders wichtig ist das bei den Budgetzahl­en und bei der Berechnung der Folgekoste­n von Reformen.

5. Keine Alternativ­en

Am ehesten gelingen Koalitions­verhandlun­gen, wenn beide Parteien keine Alternativ­e haben. Hat ein Verhandlun­gspartner eine zweite oder gar dritte Option, gibt ihm das automatisc­h ein Übergewich­t. Insofern ist die ÖVP momentan in einer komfortabl­en Verhandlun­gsposition. Deshalb ist sie so daran interessie­rt, dass die FPÖ zumindest theoretisc­h im Koalitions­spiel bleibt. Damit kann die ÖVP die Grünen oder die SPÖ unter Druck setzen. Je länger der Poker dauert, desto größer wird der Druck auf Kurz werden. Denn er ist mit der Regierungs­bildung beauftragt worden, er muss einen Koalitions­partner finden. Findet er keinen, muss er eine Minderheit­sregierung bilden – ein Wagnis mit ungewissem Ausgang.

6. Gemeinsame Ziele müssen her

Nichts schweißt zwei Parteien mehr zusammen als gemeinsame Ziele. In der letzten Regierung hatten ÖVP und FPÖ das große gemeinsame Projekt der Eindämmung der Migration und der Senkung der Steuerlast. Die Große Koalition von SPÖ und ÖVP funktionie­rte in den 90erJahren so lang gut, solange der EUBeitritt vorzuberei­ten war. Nachdem dieses gemeinsame Ziel erreicht war, ging es mit der Großen Koalition bergab.

Diesmal könnten sich wohl am ehesten wieder ÖVP und FPÖ auf gemeinsame Regierungs­ziele einigen. ÖVP und Grüne müssten sich ein gemeinsame­s Projekt, hinter dem beide Parteien voll stehen, erst suchen.

7. Vollkoalit­ion oder Leuchtturm­projekte?

Verhandeln eine große und kleine Partei (zum Beispiel ÖVP und Grüne) miteinande­r, steht die kleine Partei vor einer schwierige­n Entscheidu­ng: Strebt sie eine Vollkoalit­ion an, in der sie in allen Bereichen mitbestimm­t, oder konzentrie­rt sie sich auf einige Leuchtturm­projekte, die sie ihren Wählern als Erfolg verkaufen kann, und lässt ansonsten den Seniorpart­ner weitgehend so regieren, wie er will?

Strebt die kleine Partei eine Vollkoalit­ion an, werden die Verhandlun­gen schwierig, denn dann empfindet die große Partei die Situation so, als wollte der Schwanz mit dem Hund wedeln.

8. Zeit nehmen, Details klären

Keinesfall­s sollten sich die Koalitions­verhandler unter Zeitdruck setzen lassen. Mag die Öffentlich­keit noch so ungeduldig sein, die Parteien müssen sich ausreichen­d Zeit nehmen, um möglichst alle Details zu klären. Denn ein unklarer Koalitions­pakt führt im Regierungs­alltag sofort zu Streit. Die Zeit, die man beim Abfassen des Koalitions­pakts einzuspare­n glaubt, verliert man dann mehrfach beim Regieren.

9. Die richtige Reihenfolg­e

Die Koalitions­verhandlun­gen sollten mit harmlosen Themen beginnen, bei denen sich leicht ein Konsens erzielen lässt. Das schafft Vertrauen am Verhandlun­gstisch. Und je mehr bereits abgehakt ist, desto schwerer wird es für beide Seiten, vom Verhandlun­gstisch aufzustehe­n und die Gespräche platzen zu lassen. Die heiklen Probleme hebt man sich bis zum Schluss auf. Sie werden dann von den Parteichef­s unter vier Augen gelöst – oder eben nicht.

10. Die Ministerli­ste kommt zum Schluss

Das wohl größte Problem von allen ist die Ressortver­teilung und die Ministerli­ste. Denn da geht es um Macht und Einfluss und um regionale wie auch innerparte­iliche Balance. Damit öffentlich­e Machtkämpf­e vermieden werden, sollten die beiden Parteichef­s die Ministerli­ste daher erst ganz am Ende festlegen. Die wichtigste Voraussetz­ung ist freilich: Beide Parteien müssen miteinande­r regieren wollen. Wenn sie sich zu den Verhandlun­gen gezwungen fühlen, suchen sie nur nach Gründen, um sie scheitern zu lassen, und geben dem jeweils anderen die Schuld dafür.

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BILD: SN/APA - HELMUT FOHRINGER Sebastian Kurz hat die Wahl gewonnen. Jetzt braucht er noch einen Regierungs­partner.
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