Tierische Bremse für Großprojekte
Wegen Steinkrebsen müssen die ÖBB ihr großes Tunnelprojekt im Flachgau umplanen. Die Wirtschaftskammer kritisiert das als „nicht zeitgemäß“.
Scharlachkäfer, Gelbbauchunke, Raufußhuhn und nun der Steinkrebs: Es gibt in Salzburg eine ganze Reihe von Beispielen, wo die Entdeckung von streng geschützten Tierarten in geplanten Baugebieten zu Verzögerungen bei Großprojekten geführt hat. Die ÖBB müssen nun bei der Errichtung der Hochleistungsstrecke durch den Flachgau Rücksicht auf den Lebensraum der Krebse nehmen. Wie berichtet, darf die Deponie für den Aushub des 16,5 Kilometer langen Tunnels zwischen Köstendorf und der Stadt Salzburg nicht wie von den ÖBB eingereicht im Steinbachgraben in Lochen (Bezirk Braunau) errichtet werden. Denn dort sind vom Verkehrsministerium beauftragte Sachverständige im Rahmen des UVPVerfahrens auf eine unerwartet große Steinkrebspopulation gestoßen – es soll sich um rund 3000 der vom Aussterben bedrohten und daher streng geschützten Kleintiere handeln.
Dass nun umgeplant werden muss, führt Projektleiter Christian Höss auf einen „Kenntniszuwachs“zurück, der sich im laufenden Verfahren ergeben habe. Man habe dennoch „nach bestem Wissen und Gewissen“gearbeitet. „Für uns war das nicht absehbar. Wir haben uns diese Untersuchung nicht leicht gemacht, wo wir mit diesem Material hingehen“, versichert Höss.
Von der zuständigen oberösterreichischen Umweltanwaltschaft war bereits in ihrer Stellungnahme zum Projekt im Juli angezweifelt worden, „dass der Steinkrebs zukünftig hier wieder einen geeigneten Lebensraum vorfindet. Gleiches gilt für das angedachte Ersatzgewässer, den Mühlbergerbach.“
Den Bedenken haben die Gutachter im UVP-Verfahren Rechnung getragen. Davon, dass Tiere Projekte „verhindern oder verzögern“, will Salzburgs Landesumweltanwältin Gishild Schaufler nichts wissen. Der Schutz gefährdeter Arten gehe alle Menschen etwas an. „Wir haben ein enormes Artensterben und dringen immer weiter in die Lebensräume vor“, sagt Schaufler. Projektwerber müssten akzeptieren, „dass gewisse Standorte nicht gehen. Meistens wird es ohnehin ermöglicht, zum Beispiel durch die Absammlung von Tieren.“
„Wir suchen eine alternative Lösung. Das ist realistisch.“Christian Höss, ÖBB-Projektleiter
Die ÖBB haben vom Ministerium vorerst sechs Monate Zeit bekommen, die Planungen zu überarbeiten und eine neue Lagerstätte für drei Millionen Kubikmeter Material zu finden. „Wir suchen eine alternative Lösung. Das ist realistisch“, meint Höss.
Die viergleisige Erweiterung der Westbahnstrecke durch den Flachgau gilt als wesentlich, um den Nahverkehr auszubauen. Obwohl das öffentliche Interesse kaum angezweifelt wird, sieht der ÖBB-Projektleiter im UVPVerfahren ein „probates Mittel“, um alle Interessen zu berücksichtigen – die von Anrainern ebenso wie von Umweltschützern.
Für Manfred Rosenstatter, Präsident der Salzburger Wirtschaftskammer, sind derartige Verzögerungen „nicht zeitgemäß“. Denn für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts spiele die Verfahrensdauer „eine wesentliche Rolle“. Die Wirtschaftskammer hat als „Standortanwalt“Parteienstellung in dem Verfahren. Diese Möglichkeit wurde im Dezember 2018 mit der Novelle des UVPGesetzes geschaffen, um „öffentlichen Interessen“mehr Gewicht gegenüber dem Umweltschutz zu verleihen. „Wir haben die Aufgabe, dieses Projekt dahingehend zu bewerten“, sagt Rosenstatter. Die Prüfung laufe noch.
Ursprünglich erwartete sich die Kammer auch eine Beschleunigung von UVP-Verfahren durch das neue Standortentwicklungsgesetz. Die Hoffnung, dass große Projekte künftig schneller genehmigt werden, hat am Freitag aber einen empfindlichen Dämpfer erhalten. Die EU-Kommission hat wegen „mehrerer problematischer Aspekte“im Gesetz ein Verfahren gegen Österreich eingeleitet.
„Wir dringen immer weiter in Lebensräume von Tieren ein.“Gishild Schaufler, Umweltanwältin