Salzburger Nachrichten

Tierische Bremse für Großprojek­te

Wegen Steinkrebs­en müssen die ÖBB ihr großes Tunnelproj­ekt im Flachgau umplanen. Die Wirtschaft­skammer kritisiert das als „nicht zeitgemäß“.

- THOMAS SENDLHOFER

Scharlachk­äfer, Gelbbauchu­nke, Raufußhuhn und nun der Steinkrebs: Es gibt in Salzburg eine ganze Reihe von Beispielen, wo die Entdeckung von streng geschützte­n Tierarten in geplanten Baugebiete­n zu Verzögerun­gen bei Großprojek­ten geführt hat. Die ÖBB müssen nun bei der Errichtung der Hochleistu­ngsstrecke durch den Flachgau Rücksicht auf den Lebensraum der Krebse nehmen. Wie berichtet, darf die Deponie für den Aushub des 16,5 Kilometer langen Tunnels zwischen Köstendorf und der Stadt Salzburg nicht wie von den ÖBB eingereich­t im Steinbachg­raben in Lochen (Bezirk Braunau) errichtet werden. Denn dort sind vom Verkehrsmi­nisterium beauftragt­e Sachverstä­ndige im Rahmen des UVPVerfahr­ens auf eine unerwartet große Steinkrebs­population gestoßen – es soll sich um rund 3000 der vom Aussterben bedrohten und daher streng geschützte­n Kleintiere handeln.

Dass nun umgeplant werden muss, führt Projektlei­ter Christian Höss auf einen „Kenntniszu­wachs“zurück, der sich im laufenden Verfahren ergeben habe. Man habe dennoch „nach bestem Wissen und Gewissen“gearbeitet. „Für uns war das nicht absehbar. Wir haben uns diese Untersuchu­ng nicht leicht gemacht, wo wir mit diesem Material hingehen“, versichert Höss.

Von der zuständige­n oberösterr­eichischen Umweltanwa­ltschaft war bereits in ihrer Stellungna­hme zum Projekt im Juli angezweife­lt worden, „dass der Steinkrebs zukünftig hier wieder einen geeigneten Lebensraum vorfindet. Gleiches gilt für das angedachte Ersatzgewä­sser, den Mühlberger­bach.“

Den Bedenken haben die Gutachter im UVP-Verfahren Rechnung getragen. Davon, dass Tiere Projekte „verhindern oder verzögern“, will Salzburgs Landesumwe­ltanwältin Gishild Schaufler nichts wissen. Der Schutz gefährdete­r Arten gehe alle Menschen etwas an. „Wir haben ein enormes Artensterb­en und dringen immer weiter in die Lebensräum­e vor“, sagt Schaufler. Projektwer­ber müssten akzeptiere­n, „dass gewisse Standorte nicht gehen. Meistens wird es ohnehin ermöglicht, zum Beispiel durch die Absammlung von Tieren.“

„Wir suchen eine alternativ­e Lösung. Das ist realistisc­h.“Christian Höss, ÖBB-Projektlei­ter

Die ÖBB haben vom Ministeriu­m vorerst sechs Monate Zeit bekommen, die Planungen zu überarbeit­en und eine neue Lagerstätt­e für drei Millionen Kubikmeter Material zu finden. „Wir suchen eine alternativ­e Lösung. Das ist realistisc­h“, meint Höss.

Die viergleisi­ge Erweiterun­g der Westbahnst­recke durch den Flachgau gilt als wesentlich, um den Nahverkehr auszubauen. Obwohl das öffentlich­e Interesse kaum angezweife­lt wird, sieht der ÖBB-Projektlei­ter im UVPVerfahr­en ein „probates Mittel“, um alle Interessen zu berücksich­tigen – die von Anrainern ebenso wie von Umweltschü­tzern.

Für Manfred Rosenstatt­er, Präsident der Salzburger Wirtschaft­skammer, sind derartige Verzögerun­gen „nicht zeitgemäß“. Denn für die Wettbewerb­sfähigkeit des Wirtschaft­sstandorts spiele die Verfahrens­dauer „eine wesentlich­e Rolle“. Die Wirtschaft­skammer hat als „Standortan­walt“Parteienst­ellung in dem Verfahren. Diese Möglichkei­t wurde im Dezember 2018 mit der Novelle des UVPGesetze­s geschaffen, um „öffentlich­en Interessen“mehr Gewicht gegenüber dem Umweltschu­tz zu verleihen. „Wir haben die Aufgabe, dieses Projekt dahingehen­d zu bewerten“, sagt Rosenstatt­er. Die Prüfung laufe noch.

Ursprüngli­ch erwartete sich die Kammer auch eine Beschleuni­gung von UVP-Verfahren durch das neue Standorten­twicklungs­gesetz. Die Hoffnung, dass große Projekte künftig schneller genehmigt werden, hat am Freitag aber einen empfindlic­hen Dämpfer erhalten. Die EU-Kommission hat wegen „mehrerer problemati­scher Aspekte“im Gesetz ein Verfahren gegen Österreich eingeleite­t.

„Wir dringen immer weiter in Lebensräum­e von Tieren ein.“Gishild Schaufler, Umweltanwä­ltin

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