Wie viel Alkohol darf sein?
Selbst Experten streiten darüber. Klar ist nur: Man weist immer mehr schädliche Folgen von Alkohol nach.
Jüngst auf einer Geburtstagsparty: Zur Begrüßung werden Sekt und Bier gereicht. Auf die Frage, ob ich auch ein Mineralwasser oder einen Fruchtsaft bekommen könnte, hieß es in der bereits leicht angeheiterten Runde: Sei kein Spaßverderber. Also wurde es ein kleines Bier, um erst einmal den Durst zu stillen.
Extrembeispiel oder Normalität? Auf jeden Fall ist Alkohol fester Bestandteil unserer Feier- und Esskultur. Hannes Bacher, Psychiater und ärztlicher Leiter der Suchthilfe-Klinik Salzburg, meint: „Im Grunde genommen gehen wir nach wie vor sehr sorglos mit Alkohol um.“Zu sorglos? Geht es nach jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen, dann gibt es offenbar überhaupt keine „sichere“Menge mehr, die der Gesundheit nicht schadet. Sollte man also gar nichts mehr trinken? Oder darf man das nicht so eng sehen?
Thomas Weiger, Neurobiologe an der Universität Salzburg, weiß von Fachtagungen zu berichten, dass es da durchaus unterschiedliche Ansichten gibt und beinahe so etwas wie ein Glaubenskrieg entsteht. Tatsächlich liegen im weltweiten Vergleich die Empfehlungen zum Genuss von Alkohol zum Teil deutlich auseinander. Naturgemäß ist man in Staaten, wo Wein oder Bier ein großer Wirtschaftsfaktor ist, entsprechend großzügiger. Weiger selbst befasst sich seit Jahren mit diesem Thema und wird dabei nicht nur mit sich selbst immer strenger. Geht es rein um gesundheitliche Aspekte, dann gibt es wissenschaftlich gesehen „keine sichere Menge“mehr, wie er betont. Weiger verweist hier auf die „Global Burden of Disease Study“, die im Vorjahr veröffentlicht wurde und für die man von 1990 bis 2016 fast 600 Studien zu den gesundheitlichen Folgen von Alkohol untersucht hatte. Das Fazit dort: Das Mortalitätsrisiko, vor allem auch durch Krebs, steigt parallel zum Alkoholkonsum. Gleichzeitig sinkt die Menge Alkohol, die gesundheitlich unbedenklich ist, gegen null. Auch etwaige gesundheitsfördernde Wirkungen, die zum Beispiel Rotwein durch das entzündungshemmende Resveratrol zugesprochen werden, hat man inzwischen zurückgenommen oder relativiert. Damit Resveratrol zum Beispiel seine Wirkung entfalten könnte, müsste man mehrere Flaschen Rotwein trinken. Daher die Forderung der Experten: Weltweit sollte man die Richtlinien für den Alkoholkonsum ändern.
Alkohol total zu verbieten ist für Hannes Bacher keine realistische Strategie. Zum einen weil der Staat massiv aus dem Verkauf von Alkohol oder Tabak profitiert. Zum anderen sei Alkohol Teil unserer Kultur. Für ihn geht es in seinen Empfehlungen daher auch nicht um völlige Abstinenz, sondern um den richtigen und verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol.
Was heißt das konkret? Zum Beispiel beim ersten Glas, das man trinkt, nicht schon ans zweite denken, wie Bacher betont. Oder das zweite Glas erst bestellen, wenn das erste ausgetrunken ist. Oder zu einem alkoholischen Getränk immer ein nicht alkoholisches dazu bestellen. Das heißt bei Feiern nicht mehr als ein Viertel Wein oder ein halber Liter Bier. Bacher: „Man muss sich bewusst sein, dass Alkohol nie positiv wirkt.“Und er erteilt allen modernen Trends und Versuchen des „kontrollierten Trinkens“eine Absage: „Das ist Humbug. Kontrolliert trinken kann nur der, der nicht abhängig ist.“
Für Thomas Weiger gibt es keine Harmlosigkeitsgrenze außer die Abstinenz. „Aber wenn schon Leute Alkohol, in welchen auch nur geringen Mengen, täglich trinken und nicht abstinent sein können, dann lautet die Empfehlung der Wissenschaft, mindestens zwei alkoholfreie Tage pro Woche einzuschieben. Das heißt aber nicht, dass dann kein Risiko mehr von Alkohol ausgeht. Man nimmt an, dass diese zweitägige Pause den Organen die Möglichkeit gibt, etwas zu regenerieren.“ Dem stimmt auch Bacher zu: „Wenn man schon regelmäßig trinkt, sollte man mindestens zwei alkoholfreie Tage pro Woche einschieben.“
Die meisten der derzeit national und international geltenden Gesundheitsrichtlinien empfehlen Männern für „risikoarmes“Trinken ein alkoholisches Getränk mit 20 Gramm Alkohol pro Tag. 20 Gramm Alkohol sind rund ein halber Liter Bier oder ein Viertelliter Wein. Für Frauen gilt aber nur die Hälfte dessen, was Männern zugestanden wird, also nur ein Seiderl Bier oder ein Achterl Wein. In südeuropäischen Ländern geht man bei Männern sogar bis zu 40 Gramm Alkohol. Ab 40 Gramm Alkohol täglich, da ist sich Wissenschaft laut Weiger einig, geht man ein sehr hohes Risiko ein, eine der bis zu 200 Krankheiten, die Alkohol auslösen kann, auch wirklich zu bekommen.
Zwei Themen heben Bacher wie Weiger hier noch einmal heraus: absolut kein Alkohol in der Schwangerschaft und extrem restriktiver Umgang damit bei Jugendlichen. Wenn Frauen in der Schwangerschaft trinken, kann es unter Umständen zu Störungen in der Gehirnentwicklung des Babys kommen. Das Gehirn kann in schweren Fällen bei regelmäßigem Trinken kleiner als normal sein. Die Kinder sind mental schwer geschädigt. In leichteren Fällen haben sie zum Beispiel Lernschwierigkeiten oder sind hyperaktiv. Für Weiger ist die Schwangerschaft nicht nur Frauensache: „Die Männer sollten ihre Partnerinnen unterstützen und in dieser Zeit auch nichts trinken.“
Und was viele Jugendliche nicht wissen: Die Gehirnentwicklung ist nicht schon in der Pubertät abgeschlossen, sondern erst im Alter von 25 bis 30 Jahren. Alkohol wirkt sich daher gerade in der Jugend negativ aufs Gehirn aus und verringert zudem auch die Lernleistung in der Schule. Im Idealfall sollte daher nach Meinung Weigers der Alkoholverkauf an Jugendliche gesetzlich erst ab 21 Jahren möglich sein.
Wie aber halten es die Experten selbst mit dem Alkohol? Bacher: „Ich habe das Glück, dass mir Alkohol nicht schmeckt. Ich komme im Monat maximal auf drei bis vier alkoholische Getränke bei besonderen Anlässen.“Weiger: „Ich trinke inzwischen nicht mehr als ein Seiderl alkoholfreies Bier auf einmal, und das auch nur selten. Wobei das ja auch nicht ganz alkoholfrei ist.“Und die Lehre für den Autor aus dieser Geschichte? Bei der nächsten Feier werde ich auf jeden Fall keinen Alkohol mehr trinken, um den gröbsten Durst zu stillen.
„Alkohol wirkt nie positiv.“Hannes Bacher, Suchtexperte
„Absolut kein Alkohol für Schwangere.“Thomas Weiger, Neurobiologe