Bösen! Ihr
Der erhobene Zeigefinger beim Klimaschutz. Dürfen die Jungen den Alten vorwerfen, dass sie die Erde kaputt gemacht haben? Wo endet die Verantwortung des Einzelnen und beginnt die Bringschuld der Politik? Fragen an einen Ethiker und Philosophen.
Greta Thunberg und die Klimadebatte lassen die Wogen hochgehen, auch in den „sozialen Medien“. Eine Frontlinie läuft da zwischen den Jungen und ihrer Elterngeneration – der vorgeworfen wird, den Planeten kaputt zu machen. Welche Rolle spielen Vorwürfe, Schuldzuweisungen und Schuld bei der Rettung des Planeten? Der Philosoph, Theologe und Ethiker Clemens Sedmak im Interview.
SN: Herr Professor, dürfen beim Klimawandel die Jungen den Alten Vorwürfe machen?
Clemens Sedmak: Ja. Nächste Frage bitte.
SN: Etwas ausführlicher, bitte!
Gut, also: Es ist legitim, wenn eine Generation mit frischem Blick auf den Scherbenhaufen schaut und sich dann beschwert – anstatt den Älteren in Dankbarkeit zu Füßen zu liegen. Wenn also die Älteren von den Jüngeren vor allem Dankbarkeit erwarten, dann wird es keine ökologische Veränderung geben.
SN: So mancher Babyboomer wird seine Kinder aber nicht ernst nehmen – weil die mit Billigfliegern um die Welt jetten, Auslandssemester machen, mit 18 ein eigenes Auto wollen und auch sonst nicht CO2-sparsam leben.
Ja – man darf schon fragen, was die „Generation Greta Thunberg“wirklich persönlich bereit ist einzusetzen, zu opfern. Wir bieten an meiner US-Uni ein Auslandssemester in Rom an, aber kaum einer lernt dabei Italienisch, weil am Wochenende alle mit RyanAir durch Europa fliegen, um sich die Welt anzuschauen. Ein anderer Aspekt: Die Freitagsproteste bekommen manchmal ein wenig den Charakter eines „Fun-Events“– das kann der Ernsthaftigkeit der Sache, um die es geht, entgegenstehen. Wie auch immer, ich meine, Artikulation von Kritik ist ein wichtiges Privileg der Jugend. Aber da kann man nicht stehen bleiben. Auch, weil die ältere Generation selbst viel geopfert hat, damit ihre Kinder ein besseres Leben haben. Aber noch einmal: Diese Art der Welt, die wir gebaut haben, diese Art von Leben, das wir führen – das darf man schon hinterfragen, auch deutlich und kraftvoll.
SN: Dasselbe gilt wohl für die Armen der Welt, die unter den Folgen der Politik der Reichen leiden?
Durchaus. Wir in Europa und den USA schulden der Welt mehr als andere Staaten. Der Protest der Armen organisiert sich mangels Koordinationsmöglichkeiten nur oft nicht wirksam. Aber eine historische Perspektive hilft, um Dinge in ihrer Verhältnismäßigkeit und Entstehung zu sehen. Letztlich freilich führen Schuldzuweisungen nirgendwohin: Wenn ein Haus brennt, ist nicht die wichtigste Frage, wer es angezündet hat, sondern wie man es löscht.
SN: Heute kann man sich auch von Klimasünden „freikaufen“, indem man Ausgleichsmaßnahmen mitfinanziert. Moderner Ablasshandel?
Also – wenn es hilft und zur Lösung beiträgt, ist es schon einmal nicht schlecht. Das soll nur nicht dazu führen, dass das eigene schlechte Gewissen ganz beruhigt wird. Es ist eine Illusion zu glauben, dass man Klimaschutz einfach so kaufen oder mit technischen Mitteln „lösen“kann. Ohne ökologische Konversion wird es nicht gehen.
SN: Sie haben davon gesprochen, dass wir „Opfer“bringen müssen. Dabei hoffen viele, dass die „ökologische Wirtschaft“uns genauso viel Wohlstand bringt wie bisher – oder sogar mehr.
Ich denke, es wird nicht gehen ohne Umverteilung. Das heißt – Umverteilung zu jenen, die wenig Anteil an der Dynamik des Klimawandels haben und jetzt aber hauptsächlich dessen Opfer werden. Bauern auf Fidschi oder in Bangladesch etwa. Auch Papst Franziskus hat in seiner Enzyklika „Laudato si’“so argumentiert: Wir sollten uns nicht nur auf die Technologie verlassen, darauf, dass sie unser Klimaproblem löst. Es geht um die Spiritualität von Lebensstil.
SN: Und die bedeutet ein Ende des Wirtschaftswachstums?
Gute Frage. Der Papst zum Beispiel spricht im spanischen Originaltext von „Laudato si’“eindeutig von „decrecimiento“, also von Schrumpfung, mit der wir umgehen lernen müssen. Schrumpfen heißt aber: weniger haben. Und da sehe ich noch nicht, dass wir dafür einen gesellschaftlichen Konsens haben. Verzicht ist nun einmal schmerzhaft.
SN: Ein erheblicher Wohlstandsverlust – das wäre politisch noch immer nicht durchsetzbar.
Nein, daran kann eine Demokratie auch zerbrechen. Daher kommen auch die Ängste vor einer „Öko-Diktatur“, wo uns ein Regime zwingt, klimaschonend zu leben. Fragen des „Genug“stellen sich aber auch in einer Demokratie: Wie viele Krawatten, wie viel Fleisch braucht ein Mensch wirklich? Die Frage ist, wie wir unsere Freiheiten behalten können und trotzdem unseren Lebensstil umstellen.
SN: Auch, weil der Einzelne immer das Gefühl hat, er kann sowieso nichts ändern.
Genau. Weil der Einzelne, wenn er die Umwelt schont, keine positiven Effekte daraus erkennen kann. Und auch, weil die Gefahren so weit in der Zukunft zu liegen scheinen. Und wenn es um eine Katastrophe im Jahr 2100 geht, dann treten oft die eher unmittelbaren Bedürfnisse der Menschen in den Vordergrund. So sind unser Hirn und Herz nun einmal gebaut.
SN: Was also tun?
Menschen müssen die Folgen der Klimakatastrophe unmittelbar und selbst erleben. Indem sie etwa vor einem kahlen Hang stehen, der einmal ein Gletscher war. Oder vor einem kaputten Wald. Politisch gesehen führt sicher kein Weg an Belastungen wie Öko-Steuern vorbei.
SN: Also doch staatliche Vorschriften. Dürfen wir eigentlich von der Politik verlangen, dass sie uns zu dem nachhaltigen Leben zwingt, für das uns selbst die Willenskraft fehlt?
Das fände ich problematisch. Diese Grundverantwortung für unser eigenes Handeln dürfen wir nicht auf den Staat schieben. Was der Staat schon darf und soll: Die richtigen Anreize setzen. Und genau das würden Öko-Steuern ja tun. Auch über andere Anreizsysteme sollten wir nachdenken.
SN: Welche?
Es ist etwa auffällig, dass auf einer Uni oder in Konzernen nur Leute ganz nach oben kommen, die internationale Erfahrung haben. Das Problem: Die so belohnte Lebensweise verursacht einen riesigen ökologischen Fußabdruck. Ich selbst bin auch ein Beispiel dafür, das ist auch ein Stachel in meinem Fleisch. Oder: Top-Jobs bringen oft 60, 70 oder mehr Stunden Wochenarbeitszeit mit sich – und es ist erwiesen, dass dieses Arbeitspensum auch zu stärkerer Umweltbelastung führt, weil diesen Menschen dann Zeit und Energie fehlt, auch noch ökologische Fragen in ihrem Leben zu berücksichtigen. Hier müsste man also vom reinen Leistungsdenken wegkommen, von dieser Geschwindigkeit, davon, das Leben bis ins Letzte vollzupfropfen. Weniger ist mehr. Und ein dauerhaftes Zuviel kann dazu führen, dass gar nichts bleibt.