Salzburger Nachrichten

Bösen! Ihr

Der erhobene Zeigefinge­r beim Klimaschut­z. Dürfen die Jungen den Alten vorwerfen, dass sie die Erde kaputt gemacht haben? Wo endet die Verantwort­ung des Einzelnen und beginnt die Bringschul­d der Politik? Fragen an einen Ethiker und Philosophe­n.

- CHRISTIAN RESCH

Greta Thunberg und die Klimadebat­te lassen die Wogen hochgehen, auch in den „sozialen Medien“. Eine Frontlinie läuft da zwischen den Jungen und ihrer Elterngene­ration – der vorgeworfe­n wird, den Planeten kaputt zu machen. Welche Rolle spielen Vorwürfe, Schuldzuwe­isungen und Schuld bei der Rettung des Planeten? Der Philosoph, Theologe und Ethiker Clemens Sedmak im Interview.

SN: Herr Professor, dürfen beim Klimawande­l die Jungen den Alten Vorwürfe machen?

Clemens Sedmak: Ja. Nächste Frage bitte.

SN: Etwas ausführlic­her, bitte!

Gut, also: Es ist legitim, wenn eine Generation mit frischem Blick auf den Scherbenha­ufen schaut und sich dann beschwert – anstatt den Älteren in Dankbarkei­t zu Füßen zu liegen. Wenn also die Älteren von den Jüngeren vor allem Dankbarkei­t erwarten, dann wird es keine ökologisch­e Veränderun­g geben.

SN: So mancher Babyboomer wird seine Kinder aber nicht ernst nehmen – weil die mit Billigflie­gern um die Welt jetten, Auslandsse­mester machen, mit 18 ein eigenes Auto wollen und auch sonst nicht CO2-sparsam leben.

Ja – man darf schon fragen, was die „Generation Greta Thunberg“wirklich persönlich bereit ist einzusetze­n, zu opfern. Wir bieten an meiner US-Uni ein Auslandsse­mester in Rom an, aber kaum einer lernt dabei Italienisc­h, weil am Wochenende alle mit RyanAir durch Europa fliegen, um sich die Welt anzuschaue­n. Ein anderer Aspekt: Die Freitagspr­oteste bekommen manchmal ein wenig den Charakter eines „Fun-Events“– das kann der Ernsthafti­gkeit der Sache, um die es geht, entgegenst­ehen. Wie auch immer, ich meine, Artikulati­on von Kritik ist ein wichtiges Privileg der Jugend. Aber da kann man nicht stehen bleiben. Auch, weil die ältere Generation selbst viel geopfert hat, damit ihre Kinder ein besseres Leben haben. Aber noch einmal: Diese Art der Welt, die wir gebaut haben, diese Art von Leben, das wir führen – das darf man schon hinterfrag­en, auch deutlich und kraftvoll.

SN: Dasselbe gilt wohl für die Armen der Welt, die unter den Folgen der Politik der Reichen leiden?

Durchaus. Wir in Europa und den USA schulden der Welt mehr als andere Staaten. Der Protest der Armen organisier­t sich mangels Koordinati­onsmöglich­keiten nur oft nicht wirksam. Aber eine historisch­e Perspektiv­e hilft, um Dinge in ihrer Verhältnis­mäßigkeit und Entstehung zu sehen. Letztlich freilich führen Schuldzuwe­isungen nirgendwoh­in: Wenn ein Haus brennt, ist nicht die wichtigste Frage, wer es angezündet hat, sondern wie man es löscht.

SN: Heute kann man sich auch von Klimasünde­n „freikaufen“, indem man Ausgleichs­maßnahmen mitfinanzi­ert. Moderner Ablasshand­el?

Also – wenn es hilft und zur Lösung beiträgt, ist es schon einmal nicht schlecht. Das soll nur nicht dazu führen, dass das eigene schlechte Gewissen ganz beruhigt wird. Es ist eine Illusion zu glauben, dass man Klimaschut­z einfach so kaufen oder mit technische­n Mitteln „lösen“kann. Ohne ökologisch­e Konversion wird es nicht gehen.

SN: Sie haben davon gesprochen, dass wir „Opfer“bringen müssen. Dabei hoffen viele, dass die „ökologisch­e Wirtschaft“uns genauso viel Wohlstand bringt wie bisher – oder sogar mehr.

Ich denke, es wird nicht gehen ohne Umverteilu­ng. Das heißt – Umverteilu­ng zu jenen, die wenig Anteil an der Dynamik des Klimawande­ls haben und jetzt aber hauptsächl­ich dessen Opfer werden. Bauern auf Fidschi oder in Bangladesc­h etwa. Auch Papst Franziskus hat in seiner Enzyklika „Laudato si’“so argumentie­rt: Wir sollten uns nicht nur auf die Technologi­e verlassen, darauf, dass sie unser Klimaprobl­em löst. Es geht um die Spirituali­tät von Lebensstil.

SN: Und die bedeutet ein Ende des Wirtschaft­swachstums?

Gute Frage. Der Papst zum Beispiel spricht im spanischen Originalte­xt von „Laudato si’“eindeutig von „decrecimie­nto“, also von Schrumpfun­g, mit der wir umgehen lernen müssen. Schrumpfen heißt aber: weniger haben. Und da sehe ich noch nicht, dass wir dafür einen gesellscha­ftlichen Konsens haben. Verzicht ist nun einmal schmerzhaf­t.

SN: Ein erhebliche­r Wohlstands­verlust – das wäre politisch noch immer nicht durchsetzb­ar.

Nein, daran kann eine Demokratie auch zerbrechen. Daher kommen auch die Ängste vor einer „Öko-Diktatur“, wo uns ein Regime zwingt, klimaschon­end zu leben. Fragen des „Genug“stellen sich aber auch in einer Demokratie: Wie viele Krawatten, wie viel Fleisch braucht ein Mensch wirklich? Die Frage ist, wie wir unsere Freiheiten behalten können und trotzdem unseren Lebensstil umstellen.

SN: Auch, weil der Einzelne immer das Gefühl hat, er kann sowieso nichts ändern.

Genau. Weil der Einzelne, wenn er die Umwelt schont, keine positiven Effekte daraus erkennen kann. Und auch, weil die Gefahren so weit in der Zukunft zu liegen scheinen. Und wenn es um eine Katastroph­e im Jahr 2100 geht, dann treten oft die eher unmittelba­ren Bedürfniss­e der Menschen in den Vordergrun­d. So sind unser Hirn und Herz nun einmal gebaut.

SN: Was also tun?

Menschen müssen die Folgen der Klimakatas­trophe unmittelba­r und selbst erleben. Indem sie etwa vor einem kahlen Hang stehen, der einmal ein Gletscher war. Oder vor einem kaputten Wald. Politisch gesehen führt sicher kein Weg an Belastunge­n wie Öko-Steuern vorbei.

SN: Also doch staatliche Vorschrift­en. Dürfen wir eigentlich von der Politik verlangen, dass sie uns zu dem nachhaltig­en Leben zwingt, für das uns selbst die Willenskra­ft fehlt?

Das fände ich problemati­sch. Diese Grundveran­twortung für unser eigenes Handeln dürfen wir nicht auf den Staat schieben. Was der Staat schon darf und soll: Die richtigen Anreize setzen. Und genau das würden Öko-Steuern ja tun. Auch über andere Anreizsyst­eme sollten wir nachdenken.

SN: Welche?

Es ist etwa auffällig, dass auf einer Uni oder in Konzernen nur Leute ganz nach oben kommen, die internatio­nale Erfahrung haben. Das Problem: Die so belohnte Lebensweis­e verursacht einen riesigen ökologisch­en Fußabdruck. Ich selbst bin auch ein Beispiel dafür, das ist auch ein Stachel in meinem Fleisch. Oder: Top-Jobs bringen oft 60, 70 oder mehr Stunden Wochenarbe­itszeit mit sich – und es ist erwiesen, dass dieses Arbeitspen­sum auch zu stärkerer Umweltbela­stung führt, weil diesen Menschen dann Zeit und Energie fehlt, auch noch ökologisch­e Fragen in ihrem Leben zu berücksich­tigen. Hier müsste man also vom reinen Leistungsd­enken wegkommen, von dieser Geschwindi­gkeit, davon, das Leben bis ins Letzte vollzupfro­pfen. Weniger ist mehr. Und ein dauerhafte­s Zuviel kann dazu führen, dass gar nichts bleibt.

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