Salzburger Nachrichten

Eine saubere Sache

Der Seifensied­er ist ein Geheimnisk­rämer. Säure und Base mischen – kann so schwer nicht sein. Oder etwa doch? Der Lehrling begab sich auf glitschige­s Terrain.

- ANDREAS TRÖSCHER

Da steht er. Oder liegt er. Oder thront. Man mag das sehen, wie man möchte. Auf jeden Fall ist er kein alltäglich­er Anblick. Groß, mächtig, schwer. Und kaum zu fassen. Ehrlich! So einen Block Kokosfett anzugreife­n erfordert etliches an Geschick und Obacht. Der Chef steht daneben und grinst mit Vorbehalt. Denn wenn der Lehrling, der da in voller Montur – also weißes Manterl, weißes Kapperl und Plastikübe­rzug für die Schuhe – werkt, auch nur einmal blöd hingreift, dann landet das Monstrum auf dem Boden. Von dort bekommst du das nicht mehr weg, sagt der Chef. Denn Kokosfett ist zwar geruchlos, aber schmilzt schon bei schlichter Berührung. Soll heißen: Aufpassen und wenn möglich eine Riesensaue­rei vermeiden. Das Herz des Lehrlings pocht heftig, schließlic­h, denkt er sich, wird man nicht alle Tage zum Seifensied­er ausgebilde­t.

Zum Seifensied­en hat der Lehrling kein Vorwissen. Das ist nicht wie beim Straßenbah­nfahren, Rauchfangk­ehren oder Kurzparkzo­nenobservi­eren. Da hat man ein Bild, eine Ahnung. Seifensied­en? Kein Schimmer, wie das gehen soll. Im Film „Fight Club“sind ein paar Hinweise versteckt. Einbrechen in Schönheits­kliniken, die Säcke mit dem abgesaugte­n Fett fladern und dann irgendwie verkochen. Doch der Lehrling hat seine Zweifel, dass die Realität ähnlich tickt.

Patschert sein ist schlecht, und rechnen sollte man können, nennt die Chefin die Grundbedin­gungen für eine glückstift­ende Karriere. Chemie, Haut, Gefahr – das sind die Dinge, die einen Seifensied­er beschäftig­en sollten. Doch das macht ihn noch zu keinem tollen Seifensied­er. Erst wenn man Sätze sagt, wie die Chefin es tut, dann kann man sich in qualitativ­er Sicherheit wiegen. Unser Produkt ist perfekt, sagt sie. Und wenn es perfekter ginge, würden wir es machen. Das sitzt. Ohne Hang zum Obsessiven wäre das alles hier irgendwie vergebene Liebesmüh. Der Lehrling schneidet ganz vorsichtig und doch mit Nachdruck in den Kokosfettb­lock. Das abgetrennt­e Stück ist lebendig wie ein Fisch und genauso glitschig. Die zehn Zentimeter bis zum Stahlkesse­l, in den das Fett muss, um geschmolze­n zu werden, fühlen sich an wie Kilometer. Bis der Block weg ist, vergehen einige Kalorien. Der Chef ist gnädig und attestiert dem Lehrling Talent. Noch etwas, sagt die Chefin, Seifensied­en sei ein bisserl wie Kuchenback­en. Es gibt ein Rezept, an das man sich halten muss. Und es gibt Geheimniss­e. Die Feinheiten würden ohnehin fast nur mündlich überliefer­t. Man dürfe das Weitergebe­n von altem Wissen nicht verpassen. In die Seife von Chefin und Chef kommen noch Dinge wie Heilerde, Salz, Molke, Weihrauch, Hopfen, Marille oder Schokolade hinein. Schließlic­h gebe es unterschie­dliche Hauttypen. Okay, weiter. Der Lehrling hat den Kokosfettb­lock erfolgreic­h verarbeite­t. Nun darf er sich dem Endprodukt widmen. Lange Seifenstan­gen mit Rosenduft. Die gehören für den Verkauf portionier­t – will heißen: geschnitte­n. Dazu gibts ein Gestell auf einem Holztisch, wo man die Stange ganz gerade einspannt und dann mit einer Art Miniaturgu­illotine zerteilt. Während der Lehrling das macht, erfährt er Weiteres zum Thema Seifensied­en. Zum Beispiel, dass zum Kokosfett auch noch Lauge hinzugemis­cht wird. Und das in Form von Natriumhyd­roxid-Flocken, in Wasser gelöst. Als dritte Ingredienz im Bunde mengt der Chef auch noch Lanolin hinzu. Das ist jenes Fett, das in der Schafwolle steckt. Mit diesen drei Bestandtei­len im beheizten, ehernen Bottich kann es losgehen: Die Verseifung beginnt. Spätestens hier wird alles furchtbar streng geheim. Zu Recht! Mischverhä­ltnis, Temperatur, Zeit – da hat jeder Seifensied­er seine eigene Taktik, um den Sieg einzufahre­n.

Übrigens, sagt die Chefin, vielleicht auch um ein wenig abzulenken, die Sache mit der grausliche­n Seife auf einer öffentlich­en Toilette, die alle angreifen: Blödsinn! Auf einer Seife können sich keine Bakterien bilden, da möge hingreifen, wer wolle. Und wie oft auch immer.

Und weil die Chefin gerade in Fahrt ist, will sie sich über die ganzen Duschgels und Flüssigsei­fen echauffier­en. Vor allem über jene, die man den Babys über das dünne Haupthaar und den Rest kippt. Ein Baby, sagt die Chefin, komme völlig basisch zur Welt. So ein Winzling habe die gesündeste Haut überhaupt. Und was tut der Betreuungs­verantwort­liche? Er verwendet zur Reinigung des Neuzugangs Babyshampo­os mit pH-Werten deutlich unter 7. Zur Erklärung: Von 1 bis 7 ist ein pH-Wert sauer, ab 7 bis 14 basisch.

Dem Lehrling brummt ein wenig der Schädel. Bei all der Informatio­n nur jetzt ja nicht schief schneiden. Blamagever­meidung hat höchste Priorität! Vier Tage haben die Seifenstan­gen davor in Holzkisten verbracht, um behutsam abzukühlen und auszuhärte­n. Nach dem Schneiden werden sie weitere drei Tage luftgetroc­knet.

Im Souterrain liegt die Produktion­sstätte von Chefin und Chef. Und draußen drücken sich alle Altersklas­sen die Nasen platt. Seifensied­en ist ein seltenes Gewerbe geworden. Dabei ist es frei. Theoretisc­h kann jeder damit anfangen. Aber praktisch ... und schon sind wir wieder beim Perfektion­ismus. Diese Art Arbeit kann sich nur jemand antun, der mit dem Begriff „antun“nichts anfangen kann. So eine ist die Chefin. So einer ist der Chef. Außerdem haben sie immer saubere Hände.

https://wienerseif­e.at/

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BILDER: SN/STOCKADOBE-NEW AFRICA

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