Eine saubere Sache
Der Seifensieder ist ein Geheimniskrämer. Säure und Base mischen – kann so schwer nicht sein. Oder etwa doch? Der Lehrling begab sich auf glitschiges Terrain.
Da steht er. Oder liegt er. Oder thront. Man mag das sehen, wie man möchte. Auf jeden Fall ist er kein alltäglicher Anblick. Groß, mächtig, schwer. Und kaum zu fassen. Ehrlich! So einen Block Kokosfett anzugreifen erfordert etliches an Geschick und Obacht. Der Chef steht daneben und grinst mit Vorbehalt. Denn wenn der Lehrling, der da in voller Montur – also weißes Manterl, weißes Kapperl und Plastiküberzug für die Schuhe – werkt, auch nur einmal blöd hingreift, dann landet das Monstrum auf dem Boden. Von dort bekommst du das nicht mehr weg, sagt der Chef. Denn Kokosfett ist zwar geruchlos, aber schmilzt schon bei schlichter Berührung. Soll heißen: Aufpassen und wenn möglich eine Riesensauerei vermeiden. Das Herz des Lehrlings pocht heftig, schließlich, denkt er sich, wird man nicht alle Tage zum Seifensieder ausgebildet.
Zum Seifensieden hat der Lehrling kein Vorwissen. Das ist nicht wie beim Straßenbahnfahren, Rauchfangkehren oder Kurzparkzonenobservieren. Da hat man ein Bild, eine Ahnung. Seifensieden? Kein Schimmer, wie das gehen soll. Im Film „Fight Club“sind ein paar Hinweise versteckt. Einbrechen in Schönheitskliniken, die Säcke mit dem abgesaugten Fett fladern und dann irgendwie verkochen. Doch der Lehrling hat seine Zweifel, dass die Realität ähnlich tickt.
Patschert sein ist schlecht, und rechnen sollte man können, nennt die Chefin die Grundbedingungen für eine glückstiftende Karriere. Chemie, Haut, Gefahr – das sind die Dinge, die einen Seifensieder beschäftigen sollten. Doch das macht ihn noch zu keinem tollen Seifensieder. Erst wenn man Sätze sagt, wie die Chefin es tut, dann kann man sich in qualitativer Sicherheit wiegen. Unser Produkt ist perfekt, sagt sie. Und wenn es perfekter ginge, würden wir es machen. Das sitzt. Ohne Hang zum Obsessiven wäre das alles hier irgendwie vergebene Liebesmüh. Der Lehrling schneidet ganz vorsichtig und doch mit Nachdruck in den Kokosfettblock. Das abgetrennte Stück ist lebendig wie ein Fisch und genauso glitschig. Die zehn Zentimeter bis zum Stahlkessel, in den das Fett muss, um geschmolzen zu werden, fühlen sich an wie Kilometer. Bis der Block weg ist, vergehen einige Kalorien. Der Chef ist gnädig und attestiert dem Lehrling Talent. Noch etwas, sagt die Chefin, Seifensieden sei ein bisserl wie Kuchenbacken. Es gibt ein Rezept, an das man sich halten muss. Und es gibt Geheimnisse. Die Feinheiten würden ohnehin fast nur mündlich überliefert. Man dürfe das Weitergeben von altem Wissen nicht verpassen. In die Seife von Chefin und Chef kommen noch Dinge wie Heilerde, Salz, Molke, Weihrauch, Hopfen, Marille oder Schokolade hinein. Schließlich gebe es unterschiedliche Hauttypen. Okay, weiter. Der Lehrling hat den Kokosfettblock erfolgreich verarbeitet. Nun darf er sich dem Endprodukt widmen. Lange Seifenstangen mit Rosenduft. Die gehören für den Verkauf portioniert – will heißen: geschnitten. Dazu gibts ein Gestell auf einem Holztisch, wo man die Stange ganz gerade einspannt und dann mit einer Art Miniaturguillotine zerteilt. Während der Lehrling das macht, erfährt er Weiteres zum Thema Seifensieden. Zum Beispiel, dass zum Kokosfett auch noch Lauge hinzugemischt wird. Und das in Form von Natriumhydroxid-Flocken, in Wasser gelöst. Als dritte Ingredienz im Bunde mengt der Chef auch noch Lanolin hinzu. Das ist jenes Fett, das in der Schafwolle steckt. Mit diesen drei Bestandteilen im beheizten, ehernen Bottich kann es losgehen: Die Verseifung beginnt. Spätestens hier wird alles furchtbar streng geheim. Zu Recht! Mischverhältnis, Temperatur, Zeit – da hat jeder Seifensieder seine eigene Taktik, um den Sieg einzufahren.
Übrigens, sagt die Chefin, vielleicht auch um ein wenig abzulenken, die Sache mit der grauslichen Seife auf einer öffentlichen Toilette, die alle angreifen: Blödsinn! Auf einer Seife können sich keine Bakterien bilden, da möge hingreifen, wer wolle. Und wie oft auch immer.
Und weil die Chefin gerade in Fahrt ist, will sie sich über die ganzen Duschgels und Flüssigseifen echauffieren. Vor allem über jene, die man den Babys über das dünne Haupthaar und den Rest kippt. Ein Baby, sagt die Chefin, komme völlig basisch zur Welt. So ein Winzling habe die gesündeste Haut überhaupt. Und was tut der Betreuungsverantwortliche? Er verwendet zur Reinigung des Neuzugangs Babyshampoos mit pH-Werten deutlich unter 7. Zur Erklärung: Von 1 bis 7 ist ein pH-Wert sauer, ab 7 bis 14 basisch.
Dem Lehrling brummt ein wenig der Schädel. Bei all der Information nur jetzt ja nicht schief schneiden. Blamagevermeidung hat höchste Priorität! Vier Tage haben die Seifenstangen davor in Holzkisten verbracht, um behutsam abzukühlen und auszuhärten. Nach dem Schneiden werden sie weitere drei Tage luftgetrocknet.
Im Souterrain liegt die Produktionsstätte von Chefin und Chef. Und draußen drücken sich alle Altersklassen die Nasen platt. Seifensieden ist ein seltenes Gewerbe geworden. Dabei ist es frei. Theoretisch kann jeder damit anfangen. Aber praktisch ... und schon sind wir wieder beim Perfektionismus. Diese Art Arbeit kann sich nur jemand antun, der mit dem Begriff „antun“nichts anfangen kann. So eine ist die Chefin. So einer ist der Chef. Außerdem haben sie immer saubere Hände.
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