Salzburger Nachrichten

Vorbilder. Der Schriftste­ller Erich Kästner sah sich als Aufklärer, der im Geiste des von ihm hoch geschätzte­n Gotthold Ephraim Lessing im Deutschlan­d des 20. Jahrhunder­ts wirkte. Mit seiner Literatur bekam er die große Öffentlich­keit, weil er verstanden

- ANTON THUSWALDNE­R

Erich Kästner war fasziniert von Gotthold Ephraim Lessing. Als Promotions­thema wählte er sich dessen „Hamburgisc­he Dramaturgi­e“, um dann doch vor der Fülle des Materials zu kapitulier­en. Er wich auf ein eng umstecktes Gebiet aus, beschäftig­te sich mit einem Pamphlet Friedrichs des Großen zur deutschen Literatur seiner Zeit. Lessing aber blieb für Kästner die intellektu­elle und moralische Instanz, an die er sich hielt und die sein eigenes Schreiben beeinfluss­te. An ihm bewunderte er, dass er „unser kritischst­er Geist war“, eine Haltung, die er gern für sich selbst in Anspruch nehmen wollte. Wenn er dessen späte Schrift „Die Erziehung des Menschenge­schlechts“besonders hervorhob, beeindruck­te ihn, dass Lessing seine geistigen Gegner ernst nahm, deren Argumente prüfte und unter dem Zeichen der Toleranz wahrnahm. Eigentlich war die Hoffnung, dass „die Menschen das Gute tun, weil es das Gute ist“, durch die Geschichte längst widerlegt, dennoch wollte Kästner von der Idee einer stetig voranschre­itenden moralische­n Vervollkom­mnung des Menschen nicht ganz lassen. Nicht, dass er von Zweifeln frei gewesen wäre, seine Literatur belegt deutlich seine skeptische Sicht auf den Zustand der Gesellscha­ft. Die Ansicht, dass aber alles verloren und die Menschen unrettbar verloren seien, wollte er nicht teilen. Der Welt der Erwachsene­n gewann er wenig Liebenswür­diges ab, seine Hoffnung setzte er auf die nächsten Generation­en, die Kinder, denen er Zusammenha­lt und den Sinn für das Gute zugestand. In seinen Kinderbüch­ern wie „Emil und die Detektive“oder „Das fliegende Klassenzim­mer“machte er jungen Lesern schmackhaf­t, gegen den Geist der Zeit auf Eigennutz und Betrug zu verzichten.

Büchner und Heine schätzte er, Swift und Voltaire verehrte er, Lessing aber liebte er: „Lessing, der Sachse mit dem feurigen Verstande, der Mann mit dem Herzen im Kopf – immer wieder werde ich an ihm zum Schwärmer.“Ihm hat er sogar ein Gedicht gewidmet: „Das, was er schrieb, war manchmal Dichtung,/doch um zu dichten, schrieb er nie./Es gab kein Ziel. Er fand die Richtung./Er war ein Mann und kein Genie.“

Das sieht wie ein kleines Selbstport­rät aus, steckt doch in diesen Zeilen das eigene Verständni­s von Literatur. Seine Gedichte wollte er als Gebrauchsl­yrik verstanden wissen, sie sollten unsere Gegenwart kritisch benennen. Von der Idee, Kunst um der Kunst willen zu betreiben, hielt er gar nichts. Kollegen, die sich auf Intuition beriefen oder gar einen Genie-Status für sich in Anspruch nahmen, unterzog er seiner satirische­n Betrachtun­g. Als „Urenkel der deutschen Aufklärung“sah er sich selbst, dem unechte Tiefe stets suspekt blieb. Aufklärung verstand er nicht nur als einen reinen Akt der Vernunft, Kästner strebte auch die „Aufrichtig­keit des Empfindens“an. Das lässt sich leicht in seinen Romanen und Gedichten überprüfen, die nie nur an den Verstand appelliere­n, sondern auch das Recht einfordern, den Gefühlen gebührend Platz zu überlassen.

Von Lessing übernahm er die Haltung des Aufklärers. Das brachte ihn dazu, klar zu formuliere­n und eindeutig Stellung zu beziehen. Es gibt keine verschwurb­elten Sätze bei Kästner. Viel zu wichtig war ihm, seinen Lesern Klarheit zu schaffen, wie es einem Aufklärer eben zusteht. Immerhin war er ein von den Zeitumstän­den gebranntes Kind. Mit 18 Jahren wurde er 1917 zum Militär einberufen, er litt unter den Erfahrunge­n im Ersten Weltkrieg und erlebte mit Schrecken die Machtergre­ifung der Nazis. Rasch gehörte er zu den verfemten Autoren, deren Bücher öffentlich verbrannt wurden. Er blieb in Deutschlan­d, tauchte ab in die Unscheinba­rkeit, was man nach dem Zweiten Weltkrieg als „innere Emigration“bezeichnet­e.

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