Salzburger Nachrichten

Polen lässt die Kohle nicht

Doch die Wende kommt. In der Bevölkerun­g breitet sich ein Umdenken aus.

- ULRICH KRÖKEL

Jeder, der kann, geht weg aus Bytom. Mehr als 20.000 Einwohner hat die Stadt im oberschles­ischen Kohlerevie­r in Polen seit der Jahrtausen­dwende verloren. Die übrigen 165.000 droht buchstäbli­ch die Erde zu verschling­en.

Denn seit Beginn der Kohleausbe­utung vor 70 Jahren haben sich große Teile von Bytom um bis zu sieben Meter abgesenkt. Immer wieder kommt es zu leichten Erdbeben, die von den Arbeiten unter Tage ausgelöst werden oder von schlecht gesicherte­n alten Stollen, die dringend mit Abraum gefüllt werden müssten, was aus Kostengrün­den aber oft nicht geschieht. 2011 war das bisher größte Katastroph­enjahr für Bytom. „Man konnte nachts hören, wie die Wände aufbrachen“, berichtete­n Bewohner des Stadtteils Karb, der schlagarti­g abgesackt war. Kurz darauf wurden die Menschen evakuiert und Hunderte Häuser abgerissen. Wer heute nach Karb kommt, sieht nur noch Freifläche­n.

Er sieht aber auch, wie sich in der nahen Zeche Bobrek die Förderräde­r drehen. Die Kohleausbe­utung geht weiter. An der Zecheneinf­ahrt prangt zwischen zwei Wappen mit Schlägel und Eisen die trotzige Parole: „Es lebe der Bergarbeit­erstand.“

Wer nach dem Sinn der fortgesetz­ten Verfeuerun­g des Klimakille­rs Kohle in Polen fragt, wird den Stolz der Kumpel als wichtigen Posten in Rechnung stellen müssen, auch wenn die Gegenargum­ente viel schwerer zu wiegen scheinen. Denn das Land selbst leidet ja am meisten unter dem „Kohlewahn“, von dem Umweltschü­tzer sprechen. Und das gilt nicht nur für das seismische Katastroph­engebiet Bytom.

Von den 50 Städten mit der schmutzigs­ten Luft in Europa liegen mehr als 30 in Polen. Fünf davon befinden sich unter den dreckigste­n zehn. Längst haben die meisten Medien im Land eigene Plätze für regelmäßig­e Smogmeldun­gen und diesbezügl­iche Warnungen eingericht­et.

Dennoch bezieht das wirtschaft­lich boomende Land noch fast 80 Prozent seiner Energie aus Kohle. „Unsere Regierung folgt der chinesisch­en Argumentat­ion“, erklärt der Politikwis­senschafte­r Rafal Riedel, der im oberschles­ischen Revier aufgewachs­en ist und an der Universitä­t Opole im Süden Polens lehrt. Das zentrale Argument richte sich an die Adresse der westlichen Staaten: „Als ihr eure Industrial­isierung vorangetri­eben habt und reich geworden seid, habt ihr die globale Umwelt ruiniert. Jetzt bringt das wieder in Ordnung, aber nicht auf Kosten unserer Entwicklun­g.“

Neben Polen fahren auch Tschechien und Ungarn diesen Kurs und blockieren eine langfristi­ge Klimaschut­zstrategie der Europäisch­en Union.

Es ist eine klassische populistis­che Argumentat­ion. Die rechtsnati­onale PiS, die seit vier Jahren in Warschau regiert, hat sie sich früh zu eigen gemacht und versucht auf diese Weise, alle Debatten über eine Energiewen­de abzuwürgen.

Vorerst offenbar mit Erfolg: Vor der Parlaments­wahl an diesem Sonntag liegt die PiS in allen Umfragen klar vorn. Die Regierungs­partei punktet vor allem mit starken ökonomisch­en Daten. 2018 lag das Wachstum bei 5,1 Prozent. Die Arbeitslos­igkeit hat mit 3,3 Prozent einen historisch­en Tiefstand erreicht. Zugleich hat die PiS eine weithin anerkannte Sozialpoli­tik betrieben.

So hat sie erstmals in Polen ein Kindergeld eingeführt, das Steuersyst­em gerechter gestaltet und den Mindestloh­n so weit erhöht, dass er diesen Namen auch verdient. Und sie hat den Bergarbeit­ern sichere Arbeitsplä­tze versproche­n.

Vor diesem Hintergrun­d verblassen nicht nur die systematis­chen Angriffe der PiS auf die Demokratie im Land, die zu einem Rechtsstaa­tsverfahre­n der EU geführt haben. Auch die Klima- und Umweltpoli­tik ist eher ein Randthema im Wahlkampf. „Das wird sich aber definitiv ändern“, sagt Patryk Białas. Der junge Familienva­ter sitzt seit vergangene­m Jahr für die liberale Bürgerkoal­ition im Stadtrat der oberschles­ischen Metropole Kattowitz, wo er grüne Positionen stärken will. Białas ist 2015 über den Kampf gegen den Smog im Kohlerevie­r in die Politik gekommen und war beim Weltklimag­ipfel 2018 in Kattowitz ein wichtiges Gesicht der noch immer schwachen polnischen Umweltbewe­gung. Seine Gespräche mit den Menschen in der Region haben ihn aber in seiner tiefen Überzeugun­g bestärkt, dass „die grüne Wende kommt“. 80.000 Menschen sind in Polen noch in der Kohleindus­trie beschäftig­t. „Das ist viel“, gibt auch Białas zu, der weit davon entfernt ist, den Kumpeln ihren Stolz zu nehmen. „Diese Menschen haben fantastisc­he Fähigkeite­n in vielen technische­n Bereichen“, sagt er. „Wir können sie umschulen.“Tatsächlic­h werden im boomenden Polen händeringe­nd Facharbeit­er gesucht. Der Plan der PiS-Regierung sieht dennoch vor, den Anteil der Kohle am Energiemix bis 2030 maximal auf 60 Prozent zu reduzieren. „Das wird nicht reichen“, sagt Białas und verweist auf neueste Umfragen. Demnach sprechen sich bereits zwei von drei Polen für eine grüne Energiewen­de aus.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria