DIE ILLUSTRIERTE KOLUMNE
Das Sondierungsgespräch, 1999 vom damals amtierenden Bundespräsidenten Thomas Klestil eingeführt, ist das Gegenteil eines Blind Dates. Man kennt sich gut. Zu gut. Das Sondierungsgespräch ist eine unöffentliche Handlung mit großer Öffentlichkeit. Manche meinen, es sei die Verhandlung über die Frage, ob überhaupt Verhandlungen geführt werden sollen. Damit würde man das Wesen des Sondierungsgesprächs gründlich missverstehen. Das Sondierungsgespräch ist eine Kulisse, in der Zeit gewonnen wird, um die gegnerischen Verhandler unvorsichtig und die Öffentlichkeit mürbe zu machen.
Vor der Wahl waren Ziele und Zukunftsideen der Protagonisten einigermaßen klar, beziehungsweise war der Grad der Unklarheit darüber klar. Nach der Wahl sieht alles anders aus, alles ist denkbar, besonders das Undenkbare.
Österreich hat keine Erfahrung mit wechselnden Mehrheiten, nur sehr geringe mit Minderheitsregierungen und überhaupt keine mit Koalitionen, deren Partnerzahl größer als zwei ist. Das liegt tief in den Genen des Landes verborgen. Ein Partner muss nicht geliebt werden, es genügt, wenn er sich an den Ehevertrag hält. Das Bild der Verheiratung wird denn auch kommentar-astrologisch bemüht, der stimmenstärkere Partner wird als Bräutigam dargestellt, die schwächere Partie als Braut. Völlig vergessen ist die Tatsache, dass die Eheversprechens-Begehrer noch vor Kurzem als Elefanten im Fernsehporzellanladen herumtrampelten und sich in gefährlichen Duellen mit schlecht vorgekauten Sätze beschossen. Jetzt wird ausprobiert, wie die Küsse schmecken.