Kunst kennt keinen Kanton
Kulturherbst in drei Schweizer Städten. In den Metropolen entstehen neue Museen, doch auch abseits großer Zentren finden sich Schätze.
Das kulinarische Erbe der Schweiz ist nicht zu verachten. Ob Züri Gschnetzeltes mit Rösti in Zürich selbst, Raclette in Fribourg oder Fondue Moitié-Moitié in Lausanne – das Land hält seine kulinarischen Traditionen hoch. Aber die drei Städte vereint mehr, sie sehen sich als Orte der Kunst und Kultur. Wobei Zürich ohnehin zu den kulturellen Weltstädten zählt mit dem Opernhaus, dem Schauspielhaus und dem Kunsthaus. Letzteres, schon 1787 von einem Trägerverein gegründet, wird derzeit erweitert. Der Architekt David Chipperfield baut gegenüber dem Museum am Heimplatz ein neues lichtdurchflutetes Haus, das 2020 eröffnet wird. In Zürich herrscht generell Aufbruchstimmung, im ehemaligen Löwenbräu sind heute Galerien und Ateliers, die Bögen des alten Eisenbahnviadukts wurden ebenfalls mit Kunst und Gastronomie „aufgefüllt“. Und mitten unter den Neubauten gedeiht ein „wildes“Paradies, Frau Gerolds Garten bietet Gastronomie in blühender Botanik. In der malerischen Altstadt ist ebenfalls immer was los, auf dem Sechseläutenplatz vor der Oper ging vergangenes Wochenende das 15. Zürich Filmfestival zu Ende, das Stars wie Donald Sutherland und Roland Emmerich begrüßen konnte. Zürich ist eine wohlhabende Stadt und so kann man als Österreicher durchaus über die Preisgestaltung der Speisekarten erschrecken. Übrigens auch über die Roaminggebühren, da ja die Schweiz kein EU-Land ist. Was den Tourismus betrifft, gibt es ein erstaunliches, wenn auch nicht ganz billiges Angebot. Mit dem All-in-oneTicket Swiss Travel Pass kann man nicht nur jeden Zug, jede Straßenbahn und sogar die Schiffe auf den Seen entern, sondern man hat auch freien Zutritt zu fast 500 Museen. Manche davon sind sogar gratis. Also auf nach Lausanne an den Genfer See, wo das Palais de Rumine für die Sammlung und neuen Schenkungen zu klein wurde. Neben dem Bahnhof ist nun ein fabelhafter Museumsneubau entstanden, der am vergangenen Samstag eröffnet wurde. „Plateforme 10“heißt dieses wunderbare neue Musée cantonal des Beaux Arts direkt neben den Schienen der Schweizer Bahn, die 18 Meter lange, grüne Lokomotiv-Skulptur heißt „La Crocodile“. Direktor Bernard Fibicher hat die erste Ausstellung „Atlas. Kartographie des Schenkens“kuratiert, mit thematischen Gegenüberstellungen aus allen Jahrhunderten, mit „Stars“wie Anselm Kiefer, Paul Klee, William Kentridge oder Arnulf Rainer und auch Schweizer Künstlern – dank großzügiger Sammler. Auch dass von den Baukosten von rund 83,5 Mill Schweizer Franken (rund 76,4 Millionen Euro) über 40 Prozent von privaten Spenden finanziert wurden, zeigt das Engagement der Schweizer Bürger.
Es wird nicht bei dem tollen Museum bleiben, nebenan in den Arkaden macht sich junge Kunst heimisch, in Bau befindet sich ein weiteres Haus, das Musée de l’Elysée, sodass sich zuletzt ein Kunstgelände nach Vorbild des Wiener Museumsquartiers ergibt, wie Bernard Fibicher stolz erzählt. Übrigens war der Wiener Experte Dieter Bogner maßgeblich beratend eingebunden. Und die erste internationale Wechselausstellung bringt „Wien 1900, von Klimt zu Schiele und Kokoschka“ab 14. Februar 2020 nach Lausanne.
Die hügelige Stadt am Ufer des Genfer Sees ist beeindruckend, in der Kathedrale oben am „Gipfel“der Stadt – man sollte sich aufs Stiegensteigen verstehen – gibt es Orgelkonzerte, Musik bietet auch ein Bach-Festival, und in der Oper von Lausanne, die einst ein gewisser Dominique Meyer zu Renommee führte, wird derzeit Jacques Offenbach gefeiert. Und natürlich ist Lausanne stolze Olympiastadt, seit Pierre de Coubertin 1915 das Olympische Komitee hier installierte. Man muss kein Sportler sein, um das Musée Olympique mit allen Sinnen genießen zu können. Zwischen historischen Spielen, Devotionalien, Fotos und Dokumentationen gibt es Videos mit atemberaubenden Momenten der Sportgeschichte. Von der Terrasse gibt es eine traumhafte Aussicht auf die Kunstwerke ums Haus und über den See mit dem Alpenpanorama auf der französischen Seite. Rascher mit dem Zug von Lausanne, gemächlicher und wunderschön mit alten „Dampfern“ist die Anreise in die zum UNESCO-Welterbe ernannte Weingegend um Grandvaux an den steilen Ufern des Genfer Sees – Weinkost obligatorisch.
Und dann ist da noch Fribourg oder Freiburg im Üechtland: ein entzückendes Städtchen mit einer Oberstadt, wo der Turm der St.-Nikolaus-Kathedrale alles überragt, und die ebenso mittelalterliche Unterstadt, um die sich der Fluss Saane schlingt. In Fribourg wurde Jean Tinguely geboren, in einem eigenen Museum sind seine bizarren Bewegungsskulpturen neben den bunten Objekten seiner Lebensgefährtin Niki de Saint Phalle zu bewundern. Objekte anderer Art bietet ein „Freak“namens Wassmer, der seines Vaters „Sammlung seltsamer Gegenstände“fortführt. Was sich da alles an Nähmaschinen, Bügeleisen, Staubsaugern und rätselhaftem Werkzeug aus der Zeit vor dem elektrischen Strom angesammelt hat, ist bezaubernd.
Das steile Stalden-Gässchen führt in die gotische Unterstadt, zur Überwindung des ansehnlichen Niveaus baute man vor 120 Jahren ein Funiculaire. Die Beschaulichkeit der hübschen Stadt wird von der Gelassenheit im Straßenverkehr unterstrichen. Man braucht keine Ampel, hier herrscht das Motto „leben und leben lassen“. Auch in den gemütlichen Gaststätten, und dass im Café du Midi eine Michaela arbeitet, die vor 17 Jahren das steirische Deutschlandsberg gegen Fribourg eintauschte, sei nur nebenbei erwähnt. Sie hat sich auf Anhieb in die Stadt verliebt – und blieb.