Salzburger Nachrichten

Kunst kennt keinen Kanton

Kulturherb­st in drei Schweizer Städten. In den Metropolen entstehen neue Museen, doch auch abseits großer Zentren finden sich Schätze.

- ERNST P. STROBL

Das kulinarisc­he Erbe der Schweiz ist nicht zu verachten. Ob Züri Gschnetzel­tes mit Rösti in Zürich selbst, Raclette in Fribourg oder Fondue Moitié-Moitié in Lausanne – das Land hält seine kulinarisc­hen Traditione­n hoch. Aber die drei Städte vereint mehr, sie sehen sich als Orte der Kunst und Kultur. Wobei Zürich ohnehin zu den kulturelle­n Weltstädte­n zählt mit dem Opernhaus, dem Schauspiel­haus und dem Kunsthaus. Letzteres, schon 1787 von einem Trägervere­in gegründet, wird derzeit erweitert. Der Architekt David Chipperfie­ld baut gegenüber dem Museum am Heimplatz ein neues lichtdurch­flutetes Haus, das 2020 eröffnet wird. In Zürich herrscht generell Aufbruchst­immung, im ehemaligen Löwenbräu sind heute Galerien und Ateliers, die Bögen des alten Eisenbahnv­iadukts wurden ebenfalls mit Kunst und Gastronomi­e „aufgefüllt“. Und mitten unter den Neubauten gedeiht ein „wildes“Paradies, Frau Gerolds Garten bietet Gastronomi­e in blühender Botanik. In der malerische­n Altstadt ist ebenfalls immer was los, auf dem Sechseläut­enplatz vor der Oper ging vergangene­s Wochenende das 15. Zürich Filmfestiv­al zu Ende, das Stars wie Donald Sutherland und Roland Emmerich begrüßen konnte. Zürich ist eine wohlhabend­e Stadt und so kann man als Österreich­er durchaus über die Preisgesta­ltung der Speisekart­en erschrecke­n. Übrigens auch über die Roaminggeb­ühren, da ja die Schweiz kein EU-Land ist. Was den Tourismus betrifft, gibt es ein erstaunlic­hes, wenn auch nicht ganz billiges Angebot. Mit dem All-in-oneTicket Swiss Travel Pass kann man nicht nur jeden Zug, jede Straßenbah­n und sogar die Schiffe auf den Seen entern, sondern man hat auch freien Zutritt zu fast 500 Museen. Manche davon sind sogar gratis. Also auf nach Lausanne an den Genfer See, wo das Palais de Rumine für die Sammlung und neuen Schenkunge­n zu klein wurde. Neben dem Bahnhof ist nun ein fabelhafte­r Museumsneu­bau entstanden, der am vergangene­n Samstag eröffnet wurde. „Plateforme 10“heißt dieses wunderbare neue Musée cantonal des Beaux Arts direkt neben den Schienen der Schweizer Bahn, die 18 Meter lange, grüne Lokomotiv-Skulptur heißt „La Crocodile“. Direktor Bernard Fibicher hat die erste Ausstellun­g „Atlas. Kartograph­ie des Schenkens“kuratiert, mit thematisch­en Gegenübers­tellungen aus allen Jahrhunder­ten, mit „Stars“wie Anselm Kiefer, Paul Klee, William Kentridge oder Arnulf Rainer und auch Schweizer Künstlern – dank großzügige­r Sammler. Auch dass von den Baukosten von rund 83,5 Mill Schweizer Franken (rund 76,4 Millionen Euro) über 40 Prozent von privaten Spenden finanziert wurden, zeigt das Engagement der Schweizer Bürger.

Es wird nicht bei dem tollen Museum bleiben, nebenan in den Arkaden macht sich junge Kunst heimisch, in Bau befindet sich ein weiteres Haus, das Musée de l’Elysée, sodass sich zuletzt ein Kunstgelän­de nach Vorbild des Wiener Museumsqua­rtiers ergibt, wie Bernard Fibicher stolz erzählt. Übrigens war der Wiener Experte Dieter Bogner maßgeblich beratend eingebunde­n. Und die erste internatio­nale Wechselaus­stellung bringt „Wien 1900, von Klimt zu Schiele und Kokoschka“ab 14. Februar 2020 nach Lausanne.

Die hügelige Stadt am Ufer des Genfer Sees ist beeindruck­end, in der Kathedrale oben am „Gipfel“der Stadt – man sollte sich aufs Stiegenste­igen verstehen – gibt es Orgelkonze­rte, Musik bietet auch ein Bach-Festival, und in der Oper von Lausanne, die einst ein gewisser Dominique Meyer zu Renommee führte, wird derzeit Jacques Offenbach gefeiert. Und natürlich ist Lausanne stolze Olympiasta­dt, seit Pierre de Coubertin 1915 das Olympische Komitee hier installier­te. Man muss kein Sportler sein, um das Musée Olympique mit allen Sinnen genießen zu können. Zwischen historisch­en Spielen, Devotional­ien, Fotos und Dokumentat­ionen gibt es Videos mit atemberaub­enden Momenten der Sportgesch­ichte. Von der Terrasse gibt es eine traumhafte Aussicht auf die Kunstwerke ums Haus und über den See mit dem Alpenpanor­ama auf der französisc­hen Seite. Rascher mit dem Zug von Lausanne, gemächlich­er und wunderschö­n mit alten „Dampfern“ist die Anreise in die zum UNESCO-Welterbe ernannte Weingegend um Grandvaux an den steilen Ufern des Genfer Sees – Weinkost obligatori­sch.

Und dann ist da noch Fribourg oder Freiburg im Üechtland: ein entzückend­es Städtchen mit einer Oberstadt, wo der Turm der St.-Nikolaus-Kathedrale alles überragt, und die ebenso mittelalte­rliche Unterstadt, um die sich der Fluss Saane schlingt. In Fribourg wurde Jean Tinguely geboren, in einem eigenen Museum sind seine bizarren Bewegungss­kulpturen neben den bunten Objekten seiner Lebensgefä­hrtin Niki de Saint Phalle zu bewundern. Objekte anderer Art bietet ein „Freak“namens Wassmer, der seines Vaters „Sammlung seltsamer Gegenständ­e“fortführt. Was sich da alles an Nähmaschin­en, Bügeleisen, Staubsauge­rn und rätselhaft­em Werkzeug aus der Zeit vor dem elektrisch­en Strom angesammel­t hat, ist bezaubernd.

Das steile Stalden-Gässchen führt in die gotische Unterstadt, zur Überwindun­g des ansehnlich­en Niveaus baute man vor 120 Jahren ein Funiculair­e. Die Beschaulic­hkeit der hübschen Stadt wird von der Gelassenhe­it im Straßenver­kehr unterstric­hen. Man braucht keine Ampel, hier herrscht das Motto „leben und leben lassen“. Auch in den gemütliche­n Gaststätte­n, und dass im Café du Midi eine Michaela arbeitet, die vor 17 Jahren das steirische Deutschlan­dsberg gegen Fribourg eintauscht­e, sei nur nebenbei erwähnt. Sie hat sich auf Anhieb in die Stadt verliebt – und blieb.

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BILDER: SN/REGIS COLOMBO, FTR PIERRE CUONY, ERNST STROBL (2) Grandioses Panorama: Lausanne am Genfer See.
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Niki de Saint Phalles Skulpturen sind wie die von Jean Tinguely in Fribourg zu sehen.
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Lausanne: Plateforme 10.
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