Salzburger Nachrichten

Wieso die EU in Litauen beliebter ist als im Rest Europas

Kein Staat ist derart Unions-affin wie Litauen. Selbst eine unabhängig­e „Republik“im Land kann daran nichts ändern.

- Entstanden im Zuge von eurotours, einem Projekt des Bundeskanz­leramts.

VILNIUS. Der Unterschie­d ist mehr als auffällig, beinahe schon erschrecke­nd: Laut der jüngsten Eurobarome­ter-Umfrage vertrauen gerade einmal 52 Prozent der Österreich­er der EU. In Litauen sind es hingegen 72 Prozent. Und der Kontrast wird noch deutlicher, wenn man die jeweiligen Staatsbürg­er fragt, ob ihr Land von der EU profitiert: Nur 62 Prozent der Österreich­er stimmen zu. In Litauen sind es 91 Prozent.

Kein anderes europäisch­es Volk ist derart von der Union begeistert wie die 2,8 Millionen Litauer. Doch wieso ist just das kleine Land am Baltikum derart Europa-affin?

„Der EU-Optimismus hat historisch­e Wurzeln“, schildert Vytautas Mizaras. Der Jurist und Universitä­tsprofesso­r vertritt Österreich als Honorarkon­sul in Litauen. In den rund 55 Jahren, in denen sein Geburtslan­d Teil der Sowjetunio­n war, sei den Litauern umso bewusster geworden, welch ein Gewicht westliche Werte haben können. „Es geht um Freiheit, um Offenheit. Fast das genaue Gegenteil von dem, was in der Sowjetunio­n üblich war.“Mizaras spricht von einer „Rückkehr zur europäisch­en Familie“. Bis Ende des 18. Jahrhunder­ts sei man ein aktiver Teil Europas gewesen – mit starker Nähe zu Polen. „Die 200 Jahre unter Zaren- und Sowjetherr­schaft sind im Vergleich zum restlichen historisch­en Zeitraum gar nicht so viel.“

Dazu komme die Sicherheit­sfrage: Litauen grenzt direkt an Kaliningra­d – und somit an Russland. „Wir sind froh, mit der EU einen starken Partner zu haben – einer, der uns schützen kann“, ergänzt Mizaras.

Auch Arnoldas Pranckevič­ius, Chefvertre­ter der Europäisch­en Kommission in Litauen, betont den Sicherheit­saspekt: Teil der EU und der NATO zu sein sei „unser Schutzschi­ld gegen Unsicherhe­iten in der ganzen Welt“. Dennoch habe man auch in der Union eine gewisse Unabhängig­keit bewahrt.

Dass die Litauer weiter stolz auf ihre Eigenheite­n sind, zeigt das Beispiel Užupis. Vor 22 Jahren erklärten einige Künstler den Stadtteil von Vilnius als unabhängig. Eigentlich aus Spaß, aber doch mit Struktur: Es gibt einen Außenminis­ter, einen Hafen (eine Steintrepp­e Richtung Fluss), als Parlaments­gebäude dient ein Café, der Dalai Lama ist Ehrenbürge­r. Parallel zum künstleris­ch-kreativen Ansatz steht Užupis aber noch für zwei weitere litauische Befindlich­keiten: zum einen jener, aufzeigen zu müssen. Nur 41 Prozent der Litauer glauben, dass ihre Stimme in der EU Gewicht hat. Zum anderen versinnbil­dlicht Užupis den wirtschaft­lichen Nutzen der Union: Das Stadtviert­el profitiert von europäisch­en Touristen – und Fördergeld­ern aus Brüssel. Den wirtschaft­lichen Hebel betont Pranckevič­ius ebenso. In Litauen sei das Bruttoinla­ndsprodukt pro Kopf seit 2003 um 127 Prozent gestiegen. Und somit so stark, wie in keinem anderen Land, das 2004 im Zuge der Osterweite­rung wurde.

Auch der stellvertr­etende Außenminis­ter Litauens, Albinas Zananaviči­us, betont auf SN-Anfrage die Zugehörigk­eit „zur europäisch­en Familie“. Und dass die Trennung von dieser in Sowjetzeit­en „die Chancen auf Entwicklun­g und eine wettbewerb­sfähige Marktwirts­chaft“genommen habe.

Geht es nach Konsul Vytautas Mizaras, wird sich der Gang weg von Russland erst in den kommenden Jahren so richtig bemerkbar machen: „Die aktuelle politische Führung ist noch in der Sowjetunio­n geboren und ausgebilde­t worden. Doch das ändert sich sukzessive. Und das ist gut so.“ EU-Mitglied

„Es geht um Freiheit und Offenheit.“

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Vytautas Mizaras, Konsul in Litauen

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