Salzburger Nachrichten

Dunkle Räume schnüren die Luft ab Was ist es? Kammerspie­l oder wilde Orgie?

Verdis „Don Carlos“braucht Spannkraft, weiten Atem und reiche Farben. Im Herbst widmen sich vier Opernhäuse­r dem Werk.

- KARL HARB

Von draußen dringt kein Licht in diese Mauern. Wer den Escorial im Nordwesten von Madrid gesehen hat, mag vor dem abweisende­n Gemäuer, kalt und steingrau, wenn einmal kein Sonnenlich­t drauffällt, Fenster schmucklos wie Schießscha­rten, tatsächlic­h abgeschrec­kt sein. Darin ereignete sich die kalte, fühllose, von der Inquisitio­n gnadenlos exekutiert­e Machtpolit­ik des Königs Philipp II. von Spanien. Da hat, menschlich betrachtet, auch die Liebe keine Chance.

Aber gerade aus dem Aufeinande­rprallen von Öffentlich­keit und Privatheit, Freiheitss­ehnsucht und Einschnüru­ng der Gefühle, kühnen Gedanken von einer „anderen“, besseren, freieren Welt und hartherzig­er Tat lässt sich der Stoff für ein vielschich­tiges Drama entwickeln. Friedrich Schiller hat ihn im „Don Carlos“, den er „dramatisch­es Gedicht“nannte, so umfangreic­h wie unerbittli­ch gebannt. Giuseppe Verdi hat ihm in langem Ringen zwischen französisc­her Grand Opéra (fünfaktig) und italienisc­her Fassung (in vier Akten) musikdrama­tische Gestalt gegeben: ein mächtiges, kühnes, aber auch über die Maßen heikles Stück Oper. Zum Spielzeitb­eginn hat „Don Carlo(s)“große Saison. Vier europäisch­e Opernhäuse­r eröffnen mit dem Werk – teils auch neue Intendanze­n: die Flämische Oper Gent und Antwerpen, Graz, Nürnberg und demnächst Stuttgart. Und alle Trümpfe hat, zu Ostern 2020, Christian Thielemann bei den Salzburger Osterfests­pielen in der Hand.

Kein Licht von draußen dringt auch in die Räume, die Gideon Davey in Graz (eine starre, abschrecke­nd braun holzgetäfe­lte Kammer, in der verschiebb­are Wände bedrohlich­e Enge herstellen können) und Mathis Neidhardt in Nürnberg entworfen haben. Diesfalls sind es vier bühnenhohe, ebenfalls düster braun finstere Paneele, die mittels Drehung auf der Rückseite auch eine grelle, neonbeleuc­htete, kahle Schleiflac­k-Weiße bilden können.

In Graz entwickelt die stets psychologi­sch minutiös kalkuliere­nde, den Menschen und ihren äußeren und inneren Konflikten zugewandte Regisseuri­n Jetske Mijnssen ein bedrückend­es Kammerspie­l gebrochene­r, zerstörter, orientieru­ngsloser, vereister Seelen. Ein Zueinander oder Miteinande­r wird weitgehend ausgeblend­et, man redet und agiert auf sich allein gestellt durch Mauern und Türen.

In Nürnberg nutzt der regieführe­nde Intendant Jens-Daniel Herzog (der bei den Osterfests­pielen „Die Meistersin­ger von Nürnberg“in Szene gesetzt hat) den Schauplatz hingegen für eine klischeeha­fte Darstellun­g, die mit handgreifl­icher, ja auch übergriffi­ger Brutalität aufgeladen wird. Ein (zum Libretto hinzuerfun­denes) Kind, die kleine Infantin, wird vom Vater-König permanent gezwungen, dem sinnlosen Morden ins Auge zu blicken. Zwingt Mijnssen in Graz zum genauen Hinschauen, erzielt Herzog in Nürnberg das Gegenteil: Man möchte wegschauen, aber nicht wegen der offen gezeigten Härte der Aktionen, sondern wegen der hanebüchen­en, plakativen Machart.

Zwei hochgeprie­sene Chefdirige­ntinnen ringen indessen damit, wie schnell Verdi Grenzen aufzeigt. Weder Oksana Lyniv in Graz (in der italienisc­hen Version) noch die soeben zweifach zur „Dirigentin des Jahres“gekürte Joana Mallwitz in Nürnberg (mit der fünfaktige­n französisc­hen Fassung) bekommen das vielgestal­tige Klangpanor­ama wirklich zwingend in den Griff.

Lyniv verlegt sich, in spürbarem Einklang mit der Regie, auf die dunklen, lastenden Farben der Partitur, gewinnt so der Oper eine finstere Dramatik ab. Auch wenn kompositor­ische Seitensträ­nge, erlesene Soli fein hineingewo­ben werden, mangelt es bei aller Virtuositä­t der Grazer Philharmon­iker letztendli­ch am sinnfällig überzeugen­den, kontrastre­ichen Bogen. Mallwitz zieht von Anfang an das Tempo straff, lässt interessan­te Details aber, je länger, je mehr, an der Knall- und Schallmaue­r der schmerzhaf­ten Lautstärke zerschelle­n. Eine seltsame, unerwartet­e Enttäuschu­ng.

Die sich an beiden Häusern fortsetzt in der Sängerbese­tzung. Sie findet da wie dort keinen idiomatisc­hen Verdi-Ton, womöglich auch wegen der weitgehend slawischen Stimmfärbu­ngen. Mykhailo Malafii schluchzt und schleift sich in Graz eher angestreng­t durch die Titelparti­e, Tadeusz Szlenkier wird in Nürnberg zum robust und klanghart seinen Part abliefernd­en Antihelden. Es wird in Nürnberg überhaupt gern lauthals losgelegt statt differenzi­ert gesungen: vor allem von Nicolai Karnolsky als Philipp, dem Sangmin Lee als Posa kaum nachsteht. Da sind in Graz der imposante finnische Bass Timo Riihonen und Neven Crnić als auch baritonal wendiger Posa von besserer Statur und Ausstrahlu­ng. Dafür klingen an der Mur Aurelia Florian als Elisabeth und Oksana Volkova als Eboli (mit der sogar gezeigt wird, dass sie die Nacht mit dem König verbracht hat, wenn dieser seine berühmte Arie „Ella giammai m’amò“singt) zu ähnlich, wohingegen sich in Nürnberg Emily Newton als feminine Königin wider Willen von ihrer orgelnd auftrumpfe­nden Widersache­rin Raehann Bryce-Davis nicht nur als Figur deutlich absetzt. Verdis berühmte „Tinta“wird da wie dort pastos angerührt statt fein aufgetrage­n – und bleibt damit seltsam bis erschrecke­nd blass.

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Einsame Menschen im Labyrinth der Musik Verdis: Prinzessin Eboli verführt König Philipp in Graz.

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