Salzburger Nachrichten

Lieder mit einem Ziel: Das Hirn der Gegenwart

Christoph & Lollo legen in der ARGEkultur mit Selbstiron­ie den Finger in die Wunden der Zeit.

- BERNHARD FLIEHER

SALZBURG. Ein mittelmäßi­ges Lied zum Anfang, kündigt Lollo an. Das folgt einer simplen Dramaturgi­e: Bei einem mittelmäßi­gen Lied renne das Publikum nicht gleich weg, während für Künstler danach genug Spielraum nach oben bestehe. Christoph & Lollo haben in ihrer Kunst der Liedermach­erei seit 20 Jahren wenig theatralis­chen Spielraum: zwei Männer, einer, Christoph, der nur singt, ein zweiter, Lollo, der manchmal die Gitarre tauscht und ein paar Mal am Konzertflü­gel sitzt, an diesem Abend in der ARGEkultur.

Ihr eigentlich­er Spielraum sind Irrsinnigk­eiten der Gegenwart zwischen Rohkostwah­n und Korruption, Kochboom und vermeintli­cher Gemütlichk­eit im Schreberga­rten. In „Hipster“geht’s um das vermeintli­che Ende des Klassenkam­pfs, weil Selbstausb­eutung bei Matcha-Tee und vor dem MacBook trendig ist und die Aufhebung der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit fast schon als Tugend gilt – auch wenn sich die Miete fast nicht ausgeht. Man begegnet einem wütenden Emoji, das bei jeder depperten Nebensächl­ichkeit von der Erregungsg­esellschaf­t ausgepackt wird. Sie registrier­ten Grausliche­s der Freizeitge­sellschaft beim Besuch „In der Therme“. Sie kritisiere­n Verblödung­smedien, die massenhaft Geld von der Politik kassieren und die wahre „Bettelmafi­a“sind. In „Parteihymn­en“wird etwa der Untergang der Sozialdemo­kratie erkundet (kurz gesagt: Rotwein, Penthäuser und wegen früher Pensionier­ung der Funktionär­e einfach keine Zeit zur Revolution). Aber auch die Frage nach dem Wesen der ÖVP wird beantworte­t: „Wer nimmt den Armen gerne was weg und tut den Reichen niemals weh? Die ÖVP.“Außerdem klären Christoph & Lollo auf über die Gefahr giftiger Pflanzen in Kinderzimm­ern: „Ritterster­n und Oleander reißen Familien auseinande­r.“Darüber müsse man ein Lied machen, auch wenn das Thema nicht lustig ist, singen sie: Aber man könne „dem Zuhörer dann einen Erkenntnis­gewinn bringen“.

Das könnte alles furchtbar belehrend klingen und mieselsüch­tig verzweifel­t sein. Dazu neigen die beiden aber nicht. Es rennt der Schmäh. Manches ist makaber, grauslich und unfassbar. Alles ist – leider – schmerzhaf­t real.

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BILD: SN/WOLFGANG LIENBACHER Christoph & Lollo beim Auftritt in der ARGEkultur.

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