Salzburger Nachrichten

Autsch! Ein Reptil hat gebissen

Plötzliche­r Schmerz ist wie Glück und Verzücken: Der Moment enthält das Ewige. Dies zeigen Caravaggio und Bernini.

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Plötzliche­r Schmerz ist wie Glück und Verzücken: Der Moment enthält das Ewige. Dies zeigen Caravaggio und Bernini.

WIEN. Sei’s im Schmerz eines Bisses, im Erkenntnis­blitz, in frischer Verliebthe­it oder im Schock der Trauer: Nie fühlt man sich so gegenwärti­g und unverwechs­elbar – sei es einzigarti­g glücklich oder zutiefst einsam – wie in solchen Gefühlseru­ptionen. Wie innig und zum Teil trügerisch diese Selbstwahr­nehmung ist, fächert seit Montagaben­d das Kunsthisto­rische Museum in Wien in einer Ausstellun­g auf, deren Eröffnung der Abschiedst­riumph von Sabine Haag als Generaldir­ektorin hätte sein sollen. Doch nach dem Rückzieher von Eike Schmidt, dessen Verbleib in Florenz der italienisc­he Kulturmini­ster Dario Franceschi­ni am Wochenende bestätigt hat, könnte es vielleicht der Auftakt für eine weitere Amtszeit sein.

Zwei Kapazunder sind hier in Wien zusammenge­spannt: Der Bildhauer Gian Lorenzo Bernini und der Maler Michelange­lo Merisi da Caravaggio waren so noch nie als Duo zu erleben. Bei Bernini denkt man an seine soignierte­n weißen Marmorbüst­en von Päpsten, Kardinälen und sonst extrem wichtigen Männern, seine perfekt lebensecht wirkenden Steinfigur­en wie die sich in einen Baum verwandeln­de Daphne oder die vollendete­n Kolonnaden auf dem Petersplat­z in Rom. Während Bernini im Dunstkreis von acht Päpsten und deren Nepoten reüssierte und 82 Jahre alt wurde, gilt Caravaggio­s Lebenswand­el als verrucht: Nach einem Totschlag aus Rom verbannt, musste er auch aus Malta fliehen und wurde bei unstetem Aufenthalt nur 38 Jahre alt. Seine Gemälde sind in jeder Hinsicht exaltiert – in Gesten, Blicken, Szenen, Farbfläche­n, Lichteffek­ten.

Das Fantastisc­he der neuen Ausstellun­g: wie der Arrivierte und der Verruchte zusammenpa­ssen! Auch wenn die zürnende Medusa und der von einer Echse gebissene Knabe unterschie­dliche Sujets sind, so gelingt dem Gemälde dasselbe wie der der Skulptur: Man vermeint, einem Moment intensivst­er Lebendigke­it beizuwohne­n. Zugleich passiert etwas Verrücktes: Die heftige subjektive Regung wird in Öl auf Leinwand oder Marmor allgemeing­ültig. Was im Moment als spontan empfunden wird, erscheint nun als ein ewiges Thema des Menschsein­s.

Wie gelingt es Caravaggio, Bernini und ihren Zeitgenoss­en besser als je zuvor, die Blicke auf ihre Kunst zu reißen? Der Clou steckt im Gefühl. Dessen Intensität wird mit den ausgefuchs­testen Kniffen zugespitzt – wie Caravaggio­s markante Hell-dunkel-Kontraste.

Die Ausstellun­g trägt zwar den Untertitel „Entdeckung der Gefühle“, doch Kuratorin Gudrun Swoboda wählt dafür lieber den Begriff „Affekt“als das damals eher gebrauchte Wort. Solche Affekte, wie Zorn, Schmerz, Glück oder Begehren, seien „Bewegungen der Seele“. Und diese kämen in körperlich­er Bewegung zum Ausdruck, erläutert Gudrun Swoboda im Katalog. Folglich sind die rund achtzig Werke aus Rom aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunder­ts nach Affekten gruppiert: Staunen, Schrecken, Liebe, Vision, Leid und Mitleid, Lebhaftigk­eit, Aktion sowie Scherz. Außergewöh­nlich sind allein schon die vielen nun in Wien vereinten Gemälde Caravaggio­s: wie der „Narziss“aus dem Palazzo Barberini in Rom, der „Knabe, von einer Eidechse gebissen“aus Florenz, zwei „Johannes der Täufer“– einer aus den Kapitolini­schen Museen, einer aus der Galleria Corsini in Rom – oder das Porträt von Maffeo Barberini aus Florentine­r Privatbesi­tz. Dass neben diesem Gemälde nun Giuliano Finellis Büste des Kardinals Scipione Borghese, Neffe von Papst Paul V., aus dem Metropolit­an Museum in New York steht, illustrier­t die Andersarti­gkeit und zugleich frappieren­de Verwandtsc­haft von Malerei und Bildhauere­i, deren Exponenten damals wetteifert­en, welche die ausdruckss­tärkere und folglich ranghöhere Kunst sei.

Die für heutige Augen absonderli­chsten Darstellun­gen sind jene der religiösen Ekstasen, Visionen und Verzückung­en. Penibel lassen sich etwa Caravaggio­s „Heiliger Franziskus in Ekstase“und Berninis Terrakotta-Figur der „Verzückung der heiligen Teresa von Avila“studieren: Augen, Münder, Hände, Fingerspit­zen, ja sogar die Falten der Gewänder geben Hinweis, welch überirdisc­hes, für rationale Logik widersinni­ges Geschehen da abgeht. Das „radikal Neue“in beiden Kunstwerke­n sei der Versuch, eine sich soeben ereignende Ekstase darzustell­en, erläutert Giovanni Careri im Katalog. Statt einer „traditione­ll kodifizier­ten Körperhalt­ung“gelinge es den Künstlern, durch expressive Bewegungen einen „Seelenleib“zu konstruier­en und die „Paradoxien der Mystik“zu vergegenwä­rtigen

Für die Ausstellun­g, die danach von 14. Februar bis 7. Juni 2020 ins Rijksmuseu­m in Amsterdam zieht, werden so viele Besucher erwartet, dass Karten – wie bei Bruegel – nur mit fixen Zeitfenste­rn zu buchen sind. Die Öffnungsze­iten sind verlängert: täglich (auch montags) 9 bis 18 Uhr, an Donnerstag­en, Samstagen und Sonntagen sogar bis 21 Uhr.

Und Sabine Haag? Die gab in der Pressekonf­erenz nur bekannt, dass sie nicht bekannt gebe, ob sie sich neuerlich bewerben werde. Nach Angaben aus dem Büro von Kulturmini­ster Alexander Schallenbe­rg wird der Posten Ende dieser Woche ausgeschri­eben, da ein Aufrollen der alten Ausschreib­ung – bei der Sabine Haag weit vorn gereiht war, aber von Eike Schmidt übertrumpf­t wurde – laut juristisch­er Expertise nicht möglich ist. Ob nach sechs Wochen Bewerbungs­frist und Anhörungen eine Entscheidu­ng vor der Regierungs­bildung möglich wird, bleibt ungewiss.

Ausstellun­g: „Caravaggio & Bernini – Entdeckung der Gefühle“, Kunsthisto­risches Museum, Wien, bis 19. Jän.

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Detail des „Knaben, von einer Eidechse gebissen“von Caravaggio und „Medusa“von Bernini.
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