Salzburger Nachrichten

Europa muss den Kurden helfen

Ein hoffnungsl­os überforder­ter US-Präsident ebnet den Weg für Tod und Zerstörung. Donald Trump weiß nicht, was er tut.

- MARTIN.STRICKER@SN.AT Martin Stricker

Vor rund einem Jahr war Donald Trump, Präsident der USA, voll des Lobes. „Die Kurden sind ein großartige­s Volk. Sie kämpften und starben mit uns“, sagte er. Und fügte hinzu: „Das werde ich nicht vergessen.“

Rund 11.000 Kurden haben im – erfolgreic­hen – Kampf gegen den „Islamische­n Staat“ihr Leben verloren, und Trump hat es längst vergessen. Er steckt zu Hause in Problemen. Ein Verfahren zu seiner Amtsentheb­ung droht. Er muss ablenken. Da kommen das ferne Syrien und die „lächerlich endlosen Kriege“, die er, Trump, doch so oft versprach zu beenden, gerade recht. Was zählen da Zivilisten, Frauen und Kinder, alte Waffenbrüd­erschaften, Bündnistre­ue?

Und so machte der US-Präsident – ob unwissentl­ich oder nicht, darüber streiten die Trumpologe­n – mit seinem Truppenabz­ug einem anderen Präsidente­n den Weg frei, der ein ebenso aufgeblase­nes Ego besitzt und ebenfalls in innenpolit­ischen Schwierigk­eiten steckt. Recep Tayyip Erdoğans Stern in der Türkei sinkt. Ehemalige Weggefährt­en sind dabei, eine eigene Partei zu gründen. Die Wirtschaft stottert. Da hilft ein Ruf zu den Fahnen, Kritik zum Schweigen zu bringen – ein Angriffskr­ieg gegen die kurdischen Erzfeinde in Nordsyrien war die Folge.

Einige Tage nach Beginn der Offensive hat die Armee einige kleinere Gebietsgew­inne errungen. Erdoğans arabische Hilfstrupp­en aus fanatische­n Islamisten machen derweil mit Gräueltate­n von sich reden. Donald Trump wiederum scheint völlig überforder­t. Er hat – in dieser Reihenfolg­e – der Türkei die wirtschaft­liche Vernichtun­g angedroht, seine Vermittlun­g angeboten und, letzte Wendung, sein eigenes Verhalten als „very smart“bezeichnet.

Die verzweifel­ten Kurden riefen inzwischen den syrischen Diktator Baschar al-Assad und dessen russischen Verbündete­n zu Hilfe. Syrische Einheiten rücken soeben nach Norden vor.

Und plötzlich rückt die EU ins Licht. Europa scheint als Hort der Vernunft, und es hätte auch ausreichen­d Einfluss auf die türkische Führung. Erdoğan ist auf das finanziell­e Wohlwollen Brüssels angewiesen, da mag er noch so sehr mit Flüchtling­swellen drohen. Auch wenn der Brexit, ein Wahnsinn der anderen Art, gerade die Tagesordnu­ng bestimmt: Die Staats- und Regierungs­chefs der EU sollten bis zu ihrem Gipfel Ende der Woche so viel Druck wie nur möglich auf Ankara aufbauen. Nicht zuletzt aus Eigeninter­esse: Weder Erdoğan noch die USA oder die Europäer haben den IS niedergeru­ngen. Es waren die Kurden. Europa braucht auch weiterhin ihre Hilfe.

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