Salzburger Nachrichten

Türkis-grünes Regieren könnte mühsam werden

ÖVP und Grüne ohne Bundesrats­mehrheit – Gesetzgebu­ngsprozess könnte sich „um zwei bis drei Monate“verzögern.

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Sollten sich ÖVP und Grüne tatsächlic­h zu einer Koalition zusammenfi­nden, wird das Regieren ein wenig mühsamer als vordem. Und dies nicht (nur) aus inhaltlich­en, sondern auch aus verfassung­srechtlich­en Gründen. ÖVP und Grüne verfügen zwar im Nationalra­t über eine komfortabl­e Mehrheit, im Bundesrat sind sie allerdings meilenweit von einer solchen entfernt. Das bedeutet, dass die Länderkamm­er des Parlaments so gut wie jedes Gesetz, das Türkis und Grün mit ihrer Mehrheit im Nationalra­t beschließe­n würden, beeinspruc­hen könnten.

Da der Bundesrat in der Regel nur ein „suspensive­s“, das heißt ein aufschiebe­ndes Veto hat, werden die Auswirkung­en in den meisten Fällen nicht allzu gravierend sein: Der Nationalra­t hat in diesem Fall die Möglichkei­t, einen Beharrungs­beschluss zu fassen, sprich: das vom Bundesrat zurückgewi­esene Gesetz ein weiteres Mal im Ausschuss zu beraten und es neuerlich zu beschließe­n. Dann tritt es auch gegen den Willen des Bundesrats in Kraft. Aber dennoch: Werner Zögernitz, als Präsident des Instituts für Parlamenta­rismus und Demokratie­fragen ein intimer Kenner der parlamenta­rischen Abläufe, schätzt, dass sich der Gesetzgebu­ngsprozess „um zwei bis drei Monate verzögern“könnte.

Die Zusammense­tzung des Bundesrats richtet sich nach den Ergebnisse­n bei den Landtagswa­hlen. Die ÖVP kommt hier auf 22 Mandatare, ihr bisheriger Koalitions­partner FPÖ auf 15. Macht 37, was bei einer Gesamtzahl an Bundesräte­n von 61 eine bequeme Mehrheit ergibt. Schließt die ÖVP eine Koalition mit den Grünen (drei Bundesräte), kommt die Regierung nur noch auf 25 Bundesräte. Das ist zu wenig, selbst wenn die bevorstehe­nden Wahlen in der Steiermark einen Bundesrats­zuwachs für Türkis und Grün bringen sollten.

Unangenehm für eine türkisgrün­e Koalition könne es in all jenen Fällen werden, in denen der Bundesrat nicht bloß ein aufschiebe­ndes, sondern ein absolutes Veto hat. Etwa bei Staatsvert­rägen, die in die Kompetenze­n der Bundesländ­er eingreifen. Oder bei Verfassung­sgesetzen, die die Kompetenze­n der Bundesländ­er einschränk­en. Hier muss der Bundesrat sogar mit Zweidritte­lmehrheit zustimmen. Diese Bestimmung ist im Fall einer türkisgrün­en Koalition freilich hypothetis­cher Natur. Denn ein Verfassung­sgesetz kann, da es einer Zweidritte­lmehrheit bedarf, im Nationalra­t nur mit Zustimmung der SPÖ beschlosse­n werden. Weshalb davon auszugehen ist, dass die SPÖ auch im Bundesrat zustimmen wird.

Dennoch: Eine große Staatsrefo­rm, wie sie dem designiert­en Bundeskanz­ler Sebastian Kurz vorschwebt, wird unter diesen Voraussetz­ungen nicht einfach zu realisiere­n sein. Die SPÖ wird jedenfalls mit am Verhandlun­gstisch sitzen. Unangenehm für die Regierung könnte es auch werden, wenn der Bundesrat mit einer SPÖ-FPÖMehrhei­t von Opposition­sgeist getragene Entschließ­ungen an die Bundesregi­erung beschließt – also konkrete Wünsche äußert. Solche Entschließ­ungen müssen zwar nicht befolgt werden. Freilich tut es dem politische­n Klima nicht gut, wenn die Regierung permanent den Willen des Parlaments (in diesem Fall des Bundesrats) missachtet.

Im Übrigen ist der Bundesrat nicht so ohnmächtig, wie seine Kritiker behaupten. Heuer brachte er zwei wesentlich­e Gesetzesvo­rhaben zu Fall: Die Ökostromno­velle und die Schuldenbr­emse. Beide Materien hätten in die Kompetenze­n der Bundesländ­er eingegriff­en.

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