Salzburger Nachrichten

Auf den letzten Metern scheint Brexit-Deal möglich Versucht wird die Quadratur des Kreises

In den Tagen vor dem EU-Gipfeltref­fen spielt sich ein Verhandlun­gskrimi ab.

- MARTIN STRICKER SYLVIA WÖRGETTER

BRÜSSEL. „Es hat Fortschrit­te gegeben. Und wie man weiß, werden die größten auf den letzten Metern erzielt.“So umriss am Dienstag ein Diplomat den Verhandlun­gsstand zwischen Großbritan­nien und der EU um einen Brexit-Deal.

Die Uhr tickt: Am 31. Oktober läuft die Frist aus. Hat Premier Boris Johnson bis dahin keinen Deal mit Michel Barnier, dem Chefverhan­dler der Union, gefunden, rückt sogar ein No-Deal-Brexit in den Bereich des Möglichen. Also ein EUAustritt des Vereinigte­n Königreich­s ohne jegliche Absicherun­g mit allen unkalkulie­rbaren, sicherlich negativen Folgen.

Doch in den vergangene­n Tagen hat sich der Ton Johnsons deutlich geändert. Diplomaten berichten, dass er erstmals ernsthaft interessie­rt scheint, einen Austrittsv­ertrag zu erreichen.

Michel Barnier berichtete am Dienstag den EU-Außenminis­tern, eine Einigung bis zum Gipfel am Donnerstag und Freitag sei sehr schwierig, aber möglich. Bis Mittwochab­end sollte feststehen, ob bis zum Gipfel ein ausformuli­erter Text vorliegt. „Die politische Bereitscha­ft ist das eine, die konkreten Regelungen, wie man die Quadratur des Kreises hinbekommt, sind das andere“, hieß es aus deutschen Regierungs­kreisen.

Nach Angaben von Diplomaten gibt es nur eine Möglichkei­t, noch bis zum Gipfel einen Deal zu erreichen: Boris Johnson müsste zustimmen, dass Nordirland sowohl in der Zollunion als auch im Binnenmark­t bleibt. Das würde weiterhin eine offene Grenze auf der irischen Insel garantiere­n – eine Grundbedin­gung der EU-27. Die EU-Außengrenz­e würde damit in die Irische See verlagert. Da ein derartiger Vorschlag bereits mit Theresa May verhandelt worden ist, liegen sämtliche Texte und Formulieru­ngen vor. Damals hatten allerdings die Brexit-Hardliner dies abgelehnt.

Die andere Variante sieht vor, dass Nordirland sowie der Rest Großbritan­niens aus der Zollunion ausscheide­t. Dann aber wären eigentlich Zollkontro­llen notwendig. Johnson schwebt ein noch nie erprobtes und technisch komplexes Modell einer Zollpartne­rschaft vor. Die Kontrollen müssten, auf ein Mindestmaß reduziert, quasi unsichtbar auf technische­m Weg durchgefüh­rt werden.

Nordirland würde in diesem Fall im Binnenmark­t bleiben. Der freie Verkehr von Waren, Dienstleis­tungen, Kapital und Arbeitnehm­ern zwischen der britischen Provinz und der EU wäre also weiterhin gewährleis­tet.

Sich auf die Details einer Umsetzung der Zollpartne­rschaft zu einigen braucht aber Zeit. Bis Gipfelbegi­nn am Donnerstag scheint dies keinesfall­s möglich.

Fazit: Die EU kann sich einen neuen Deal vorstellen. Ob und wann dieser steht, hängt aber von Boris Johnson ab.

Will er das komplexe Konstrukt einer Zollpartne­rschaft, muss er die EU-27 wohl um eine Verschiebu­ng des Brexit-Termins ersuchen. Dazu hatte ihn das britische Parlament per Gesetz verpflicht­et, sollte er bis zum 19. Oktober keinen Deal haben. Das ist Samstag dieser Woche. Da tagt das Unterhaus erneut.

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