Kurden erobern Stadt zurück
Mit einem neuen Partner im Rücken gehen die Kurdenmilizen zur Gegenoffensive auf die türkische Armee über. Sie wissen aber um die Fallstricke des Abkommens mit Syriens Armee.
Manbidsch war eine der ersten Städte, aus denen sich die reguläre syrische Armee im Sommer 2012, ein Jahr nach Beginn des Aufstands gegen das Assad-Regime, zurückziehen musste. Der am Westufer des Euphrats gelegene Ort wurde drei Jahre lang vom „Islamischen Staat“(IS) kontrolliert, ehe im August 2016 die kurdisch dominierten „Syrisch-Demokratischen Kräfte“(SDF) die Terrormilizen vertrieben.
Seit Dienstag ist Manbidsch wieder in der Hand der regulären syrischen Armee und ihrer russischen Partner. Im Zentrum wehen riesige syrische Flaggen. Die Bürger hatten die einrückenden Soldaten am Montagabend mit dem Slogan „Gott beschütze die syrische Armee“begrüßt und ihnen Reis gestreut.
Die Truppen von Diktator Baschar al-Assad haben inzwischen den Euphrat, der die Grenze zum syrischen Kurdistan markiert, an mehreren Stellen überschritten und damit die ölreichen Regionen im Nordosten Syriens erreicht.
Der mit dem Regime in Damaskus eingegangene „Kompromiss“sei schmerzhaft gewesen, betonte Mazloum Abdi, der Kommandant der Kurdenmilizen. Letztlich habe man aber nur die Wahl zwischen dem „kleineren Übel“(Assad) und dem „Völkermord an unseren Leuten“gehabt.
Ob eine Präsenz der Assad-Armee im überwiegend kurdischen Nordosten tatsächlich Sicherheit bedeutet, ist fraglich. Allerdings hat der Vormarsch der syrischen Regierungstruppen schon jetzt eine abschreckende Wirkung auf die türkische Invasionsarmee und ihre unter dem falschen Namen „Syrische Nationalarmee“auftretenden dschihadistischen Helfershelfer. Die Kurden scheint das Abkommen zu beflügeln: Sie haben einen Gegenangriff auf türkische Truppen begonnen und laut Berichten am Dienstag die strategisch wichtige Grenzstadt Ras al-Ain zurückerobert.
Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan dürfte sich im Klaren darüber sein, dass es sich bei Assads Soldaten um die Verbündeten seines russischen Kollegen und Partners Wladimir Putin handelt. Eine direkte Konfrontation mit ihnen wird er wohl nicht riskieren. Es gibt Hinweise darauf, dass sich Damaskus und Ankara unter russischer Vermittlung auf eine Aufteilung des syrischen Nordostens geeinigt haben könnten. Wo die neuen roten oder grünen Linien verlaufen, ist jedoch noch unklar.
Jedenfalls dürfte sich damit die Verhandlungsposition der syrischen Kurden weiter verschlechtern. Das wiedererstarkte Assad-Regime wird den Preis für die von den Kurden verlangte Fortsetzung der Teilautonomie immer weiter in die Höhe treiben. Vor allem die Öl- und Gasvorkommen im Nordosten Syriens, die von Damaskus bis zum erzwungenen Abzug im Jahr 2012 ausgebeutet wurden, wecken Begehrlichkeiten.
Eine klare Haltung gegenüber dem Vormarsch der Regierungstruppen im syrischen Kurdistan haben die Europäer bisher nicht erkennen lassen. Zwar haben sich die EU-Außenminister am Montag auf eine Verurteilung der Invasion geeinigt, ein gemeinsames Waffenembargo allerdings nicht beschlossen. Das Heft des Handelns wird damit Putin überlassen, der sowohl in Damaskus als auch in Ankara die besten Karten hat und auch über genug Druckmittel verfügt, um die von den USA so schmählich im Stich gelassenen syrischen Kurden in die gewünschte Richtung zu drängen.
Eine extrem gefährliche Unbekannte bleiben die IS-Kämpfer, deren Gefangenenlager von der türkischen Luftwaffe offenbar gezielt bombardiert werden.
Ungeachtet der Sanktionsdrohungen aus den USA gingen am Dienstag die Kämpfe weiter. Strafmaßnahmen wurden gegen drei türkische Minister verhängt. Vermögen der Betroffenen in den USA wird eingefroren. US-Präsident Donald Trump kündigte zudem die Anhebung von Strafzöllen auf Stahlimporte aus der Türkei auf 50 Prozent an. Verhandlungen über ein Handelsabkommen würden „umgehend“abgebrochen.
Am Dienstag wurde bekannt, dass bei einem Luftangriff auf einen zivilen Konvoi im Krisengebiet mindestens zwei kurdische Journalisten getötet wurden. Weitere acht Journalisten verschiedener regionaler Medien wurden verletzt. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat Dienstagabend angekündigt, aufgrund der „extrem instabilen Situation“alle Mitarbeiter aus Nordsyrien abzuziehen.