Salzburger Nachrichten

In Salzburg werden ungelesene Bücher gesucht

Peter Handke hat es lang vor dem Nobelpreis in eine Bibliothek der Lesesehnsu­cht geschafft.

- Heute, Mittwoch, ab 18 Uhr. Gerhard Rühm und Monika Lichtenfel­d, ab 20 Uhr, beides in der Galerie 5020, Salzburg.

„Welches Buch haben Sie noch nicht gelesen?“Mithilfe dieser Frage stellt der Künstler Julius Deutschbau­er eine sonderbare Bibliothek zusammen: Sie enthält jene Bücher, die Lesewillig­e als lesenswert erachtet, aber noch nicht gelesen haben. Um derartige Leerstelle­n einer Lesebiogra­fie festzustel­len, macht Julius Deutschbau­er nicht rasante Onlineumfr­agen, sondern kreist das Gesuchte über gefinkelte Umwege ein.

Zunächst baut er die seit 1997 in Wien, Brüssel, Basel, Zürich, New York, Philadelph­ia, Linz, Berlin, Goldegg oder Klagenfurt zusammenge­tragenen rund 800 Bücher für einige Wochen bei einem Gastgeber auf. Seit Mitte September ist dies die Galerie 5020 in Salzburg. Dann lädt er – wie heute, Mittwoch, ab 18 Uhr – zu Lesezirkel­n ein, bei denen gehandarbe­itet werden darf. Während seine Zuhörer stricken, häkeln, sticken, auftrennen oder nichts tun, liest er Texte vor, in denen ein bestimmtes Wort vorkommt. Für heute, Mittwoch, ist dies „Nische“. Das hat er etwa in Adalbert Stifters „Nachsommer“, in Walter Benjamins „Kunstwerk im Zeitalter der technische­n Reproduzie­rbarkeit“oder in einem Gedicht aus Sina Kleins Lyrikband „Narkotisch­e Kirschen“gefunden. Dann findet eine literarisc­he Lesung statt – dieses Mal mit Gerhard Rühm.

Davor und danach führt Julius Deutschbau­er Interviews, die immer – nach dem Einstieg mit der Frage nach dem Wetter – mit „Welches Buch haben Sie noch nicht gelesen?“anheben. Jedes dabei eruierte Sehnsuchts­buch kommt später in die Bibliothek; die Aufnahmen der Interviews werden archiviert. Wie mühsam dies ist, zeigt die Ausbeute: Pro Abend kämen drei oder vier Bücher dazu, erläutert Julius Deutschbau­er. In 22 Jahren ergaben sich die meisten Nennungen für folgende drei Bücher: „Mann ohne Eigenschaf­ten“, die Bibel sowie „Ulysses“.

Wie wirkt sich der Nobelpreis aus? „Möglicherw­eise kommt jetzt die Polin dazu“, sagt Julius Deutschbau­er. Von Olga Tokarczuk ist bisher nichts in der Bibliothek des Ungelesene­n. Hingegen ist Peter Handke schon drei Mal mit demselben da: „Mein Jahr in der Niemandsbu­cht“.

Die nächsten Salzburger Lesezirkel bereitet Deutschbau­er zu „Schachtel“vor (13. November, dann Lesung von Anna Baar), danach zu „falten“(11. Dezember, mit Lesung von Ann Cotten). Lesen und Handarbeit­en im Zirkel: Lesung:

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BILD: SN/J. DEUTSCHBAU­ER Detail aus dem Plakat für die Salzburger Station der „Bibliothek der ungelesene­n Bücher“von Julius Deutschbau­er.

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