Boris Johnson hat das bessere Blatt
Selbst wenn der Premier seinen Deal nicht durchbringt, dürfte er die folgende Neuwahl gewinnen – das ist alles, was er will.
Die Ausgangsposition ist diesmal besser. Nicht, weil der Brexit-Deal auf mehr Begeisterung stößt. Doch Boris Johnson ist ein skrupelloserer, aber auch gewinnender Politiker als seine Vorgängerin Theresa May. Zudem genießt er als Brexit-Cheerleader mehr Rückhalt bei den Europaskeptikern seiner Partei. Und schließlich ist auch in Großbritannien der Wunsch nach einem Schlussstrich unter das Brexit-Drama groß.
Trotzdem steht ein Erfolg Johnsons bei der Abstimmung Samstagnachmittag im britischen Unterhaus auf Messers Schneide.
In Wahrheit ist der neue Deal, den der Premier aus Brüssel mitbringt, alter Wein in neuen Schläuchen. Viele in Großbritannien sagen, er sei sogar schlechter als die May-Variante. Eine erste Einschätzung des akademischen Netzwerks „Großbritannien in einer sich ändernden Welt“lieferte Unterfutter: Nach ersten Berechnungen würden die Pro-Kopf-Einkommen gegenüber einem Verbleib in der EU beim Johnson-Deal um 2,5 Prozent schrumpfen, beim May-Deal um 1,7 Prozent und bei einem No Deal um 3,3 Prozent.
Jeremy Corbyn, Chef der LabourOpposition, lehnt den Deal vehement ab. Auch Nicola Sturgeon, Chefin der schottischen Nationalpartei, tut dies. Die zehn Mandatare der nationalistischen nordirischen DUP, im Grunde Verbündete der Konservativen, lehnen den Deal ebenfalls ab. In ihren Augen grenzt es an Verrat, dass Nordirland künftig durch eine Grenze in der irischen See von der britischen Insel getrennt sein soll.
Bleiben drei Gruppen, die Johnson und seine Helfer massiv bearbeiten:
Die Brexit-Befürworter bei der Opposition. Ohne deren Hilfe gibt es keine Chance. Sieben Abgeordnete hatten bereits für den MayDeal gestimmt. Angeblich wollen nun sogar neun zustimmen.
Dann wären da die 21 konservativen Mandatare, die Johnson aus der Fraktion geworfen hat, weil sie es gewagt hatten, seine Suspendierung des Parlaments zu bekämpfen. Sie sitzen jetzt als Unabhängige in Westminster. Auch aus ihren Reihen kamen zustimmende Signale.
Schließlich gilt es noch die eingefleischtesten Brexit-Fanatiker in den eigenen Reihen zu überzeugen, die sich selbst „Spartaner“nennen und am liebsten einen harten Brexit hätten. Als möglich gilt auch, dass die Opposition einen Misstrauensantrag gegen Johnson einbringt, falls der Deal durchkommt.
In Brüssel zeigte sich der Premier am Freitag während eines eher unterkühlten rund 25-minütigen Treffens mit seinen Regierungskollegen zuversichtlich, den Deal landen zu können. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel meinte in kleiner Runde, eine weitere Verschiebung des Brexit sei unumgänglich, sollte Westminster den Vertrag ablehnen.
Johnson befindet sich in einer nicht unkomfortablen Situation. Bringt er den Deal durch, gilt er als Held. Und selbst wenn er scheitert, dürfte er die Neuwahl gewinnen. Das ist sein Ziel. Das einzige, wie viele sagen, die ihn kennen.