„Wir haben in den Abgrund geschaut“
Der frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber über das Verhältnis der CSU zur Schwesterpartei CDU, über den heutigen Ministerpräsidenten Markus Söder und den Klimaschutz, auf den Bayern schon immer geachtet habe.
Bayern und die CSU gehören zusammen wie Weißwurst und Brezeln: So plakativ konnte das Verhältnis der Partei zu ihren Wählern zu Zeiten von Edmund Stoiber beschrieben werden. Von 1993 bis 2007 war der CSU-Politiker Ministerpräsident von Bayern. Mit ihm haben die Christsozialen 2003 eine Zweidrittelmehrheit im Landtag gewonnen. Anders vergangenes Jahr: Die CSU erlitt ihr historisch schlechtestes Ergebnis. Auf dem Parteitag dieses Wochenende stellt sich der CSU-Vorsitzende Markus Söder seiner Wiederwahl – eine reine Formsache. Sein einstiger Ziehvater, Edmund Stoiber, über die Lage der CSU und die Frage, wer Angela Merkel nachfolgen könnte. SN: Seit eineinhalb Jahren ist Markus Söder Ministerpräsident. Wie zufrieden sind Sie mit seiner Regierungsarbeit? Edmund Stoiber: Sehr zufrieden! Markus Söder ist voller Dynamik und Kraft und er verspürt eine klare Verpflichtung: Bayern an der ersten Stelle in Deutschland zu halten. SN: 2018 nach der Landtagswahl hielt sich die Euphorie in Grenzen. Nur 37,2 Prozent, keine absolute Mehrheit mehr. Hat die CSU ihre Vormachtstellung in Bayern verloren? Nein, gar nicht. Aber die Zeiten haben sich geändert. Die heutigen Herausforderungen liegen in einer veränderten Parteienlandschaft. Wir haben zwei stärker werdende Parteien: die Grünen und die rechtsextremistische Alternative für Deutschland. Wenn ich die Parteienlandschaft in Europa betrachte, sehe ich ähnliche Tendenzen. Rechtspopulisten gewinnen immer mehr Zuspruch. Die Zersplitterung der Parteienlandschaft ist also nicht nur in Bayern ein Problem. In Anbetracht dieser Entwicklung ist die CSU die stabile Mitte. SN: Die Grünen konnten bei der Landtagswahl 2018 kräftig zulegen und sind nun zweitstärkste Kraft. Söder trommelt mittlerweile auch grüne Themen. So will er den Klimaschutz ins Grundgesetz aufnehmen. Eine ganz schöne Wende für den Ministerpräsidenten, finden Sie nicht? Aus meiner Sicht ist das keine Wende. Umwelt- und Klimaschutz wurde in Bayern schon immer großgeschrieben. So waren wir 1970 das erste Bundesland in Deutschland, das ein Umweltministerium gründete – in dem ich ein Jahr später als junger Regierungsrat zu arbeiten angefangen habe. Die Bewahrung der Umwelt ist Teil der christlichen Agenda. Auf der anderen Seite sind wir auch eine Industriegesellschaft. Deutschland bezieht rund 30 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes aus der Industrie, mehr als die meisten anderen Länder in der Welt. Und Industrie braucht Energie. Eine Industriegesellschaft, die auf erneuerbare Energieträger setzt, die noch nicht völlig die Kernenergie oder auch die Kohle ersetzen kann, steht vor einer gewaltigen Herausforderung. Aber klar ist: Die Priorität des Klimaschutzes ist eine höhere als früher. Das in den Mittelpunkt zu rücken ist eine Menschheitsaufgabe. Das hat Markus Söder gesehen und richtet seine Politik danach aus. SN: Dann hätte er doch gleich mit den Grünen statt den Freien Wählern koalieren können? Die CSU setzt auf Vernunft statt auf Ideologie. Und: Die Positionen von CSU und den Grünen sind gerade in der Sicherheits- und Gesellschaftspolitik grundverschieden. Die Grünen fordern beispielsweise eine völlige Änderung der Flüchtlingspolitik oder die Abhängung der Kreuze in öffentlichen Einrichtungen. Das ist mit der CSU nicht möglich. Mit den Freien Wählern gibt es dagegen in den wichtigsten Politikfeldern eine große Übereinstimmung. CSUPolitik kann mit den Freien Wählern nachhaltiger durchgesetzt werden als mit den Grünen. SN: Zwischenzeitlich schien es ja, als ob sich die CSU mit den Freien Wählern besser versteht als mit ihrer Schwesterpartei CDU. Der Streit um die Flüchtlingspolitik hätte beinahe einen Bruch in der Union ausgelöst. Wie ist momentan die Stimmung zwischen CSU und CDU? Wir haben damals in den Abgrund gesehen. Aber mit den neuen Spitzen (Annegret Kramp-Karrenbauer statt Angela Merkel und Markus Söder statt Horst Seehofer, Anm.) und der Bereinigung der tief greifenden Meinungsverschiedenheiten steht die Union wieder zusammen. Für die Demokratie in Deutschland ist die Einheit der Union von großem Vorteil. Und als früherer CSU-Vorsitzender weiß ich, wovon ich rede. SN: Sie waren 2002 Kanzlerkandidat der Union. Und verloren knapp gegen den SPD-Politiker Gerhard Schröder. Wem würden Sie eher die Nachfolge Merkels zutrauen: Söder oder KrampKarrenbauer? Natürlich hat die CSU bei der Frage nach dem nächsten Kanzlerkandidaten der Union ein entscheidendes Wort mitzureden. Aber Markus Söder hat immer gesagt, zuletzt auf dem Deutschlandtag der Jungen Union: Mein Platz ist in Bayern. Das hat er vor einer Woche mit einer großen Regierungserklärung für eine bayerische Hightech-Agenda nachhaltig unterstrichen. Das ist gut so und dem habe ich nichts hinzuzufügen. SN: Ruft Markus Söder Sie als seinen ehemaligen Mentor ab und zu an, um sich Ihren Rat einzuholen? Söder hat eine enorme Auffassungsgabe, er saugt alles auf, was sich in Bayern und in der Welt entwickelt und er zieht daraus auch Konsequenzen. Söder ist ein Macher. Wir haben selbstverständlich nach den vielen Jahren der engen politischen und persönlichen Verbundenheit einen kurzen Draht zum Meinungsaustausch. Zur Person:
Edmund Stoiber war von 1993 bis 2007 Ministerpräsident von Bayern. Davor arbeitete er als CSUGeneralsekretär unter Franz Josef Strauß. Privat ist der 78-Jährige seit 1968 mit Karin Stoiber verheiratet. Das Ehepaar hat drei Kinder und sieben Enkelkinder.