Kunst blickt in die Gesichter der Großstadt
Lebensräume, Entfremdungsorte: Das Museum der Moderne blickt auf das zwiespältige Verhältnis zwischen Mensch und Metropole.
Fast wie aus einem frühen Bruce-Springsteen-Song wirken die Bilder, die der Diaprojektor im 13-Sekunden-Takt auf die Wand wirft. Sie zeigen ein Stück Großstadtalltag im Amerika der 1970erJahre. Eine Fabrik spuckt abends ihre Belegschaft aus. Manche Gesichter wirken müde, andere vorfreudig. Viele tragen Hemd und Jacke, manche einen dunklen Anzug. Arbeiter und Manager hat die Kamera des US-Künstlers Allan Sekula 1972 in San Diego gleichermaßen auf ihrem Weg von der Arbeits- in die Privatsphäre eingefangen.
Die Serie zeige auch, „wie die Stadt dem Menschen ihren Rhythmus aufzwingt“, sagt Jürgen Tabor, einer der beiden Kuratoren der Ausstellung „Bodies – Cities“, die ab heute, Samstag, im Museum der Moderne auf dem Mönchsberg zu sehen ist. Das Verhältnis von Stadt und Mensch wird darin anhand von Werken aus der Sammlung der Generali Foundation, der museumseigenen Sammlung sowie von Leihgaben thematisiert.
In der Kunst wie in der Literatur sei die Großstadt im 19. und im 20. Jahrhundert zu einer zentralen Metapher geworden, sagt Direktor Thorsten Sadowsky beim Ausstellungsrundgang. Weil Kunst einen kritisch distanzierten Blick auf die Dinge werfe, gehe es dabei nicht unbedingt um die glitzernden Seiten des urbanen Lebens: „Die Stadt als Zumutung, als Überforderung“sei ein wiederkehrendes Thema.
Mit einem distanzierten Blick von oben schauen Anna Artaker und Meike S. Gleim auf die Metropolen. In ihren Bildcollagen, die im Museum der Moderne auf dem Boden eines Ausstellungsraums liegen, sind auch die jüngsten Straßenproteste der Umbrella-Bewegung in Hongkong zu sehen. Die physische Präsenz von Menschen im Stadtraum sei von Künstlern auf unterschiedliche Weise analysiert und dargestellt worden, wie Kuratorin Marijana Schneider erläutert.
David Lamelas etwa hat in Mailand eine Kamera aufgestellt und simpel die Bewegungen der Stadtbewohner aufgezeichnet. Wie aus den Reaktionen einzelner Passanten zu sehen ist, erregte eine laufende Kamera im öffentlichen Raum 1970 deutlich mehr Aufsehen, als sie es heute täte.
Valie Export hat die Gegensätze zwischen der zerbrechlichen Lebendigkeit des menschlichen Körpers und einer Architektur aus Stein und Beton für Fotoserien gleichsam am eigenen Leib erprobt. Als Reflexion auf Exports Arbeiten hat wiederum Johanna Tinzl eine Fotoserie angelegt.
Von der Künstlerin Adrian Piper sind Kunstaktionen zu sehen, die sie in den 1970er-Jahren in New York durchgeführt hat. Auf einem Schwarz-Weiß-Foto ist Piper in einem öffentlichen Bus sitzend zu sehen – mit einem Taschentuch im Munde. Auch dieses Bild erzählt nebenbei, wie sich die Zeiten ändern: Heute verdecken Kunstaktivisten im öffentlichen Raum Gesichtspartien, um die Erkennungssysteme von Überwachungskameras zu überlisten. Adrian Pipers Arbeiten seien im Kontext der politischen Konzeptkunst ihrer Zeit zu sehen, die mit subversiven Gesten habe irritieren wollen, sagt Schneider.
Obwohl die Ausstellung viele Facetten beleuchtet, wäre der Stoff für Fortsetzungen wohl unerschöpflich, weil das Thema immer mehr Aktualität gewinnt. „55 Prozent der Menschen leben mittlerweile in städtischer Umgebung“, sagt Museumsdirektor Sadowsky.
Wie man in der Großstadt der Entfremdung entgeht, hat indes Stadtforscher Stephen Willats bereits 1979 festgehalten: Er dokumentierte das Leben einer älteren Frau, für die ein Schrebergarten in Westberlin zum privaten Zufluchtsort wurde. Ausstellung: