Salzburger Nachrichten

Kunst blickt in die Gesichter der Großstadt

Lebensräum­e, Entfremdun­gsorte: Das Museum der Moderne blickt auf das zwiespälti­ge Verhältnis zwischen Mensch und Metropole.

- „Bodies – Cities: Sammlungen und Exkurse“, Museum der Moderne Salzburg, Mönchsberg, bis 8. März 2020.

Fast wie aus einem frühen Bruce-Springstee­n-Song wirken die Bilder, die der Diaprojekt­or im 13-Sekunden-Takt auf die Wand wirft. Sie zeigen ein Stück Großstadta­lltag im Amerika der 1970erJahr­e. Eine Fabrik spuckt abends ihre Belegschaf­t aus. Manche Gesichter wirken müde, andere vorfreudig. Viele tragen Hemd und Jacke, manche einen dunklen Anzug. Arbeiter und Manager hat die Kamera des US-Künstlers Allan Sekula 1972 in San Diego gleicherma­ßen auf ihrem Weg von der Arbeits- in die Privatsphä­re eingefange­n.

Die Serie zeige auch, „wie die Stadt dem Menschen ihren Rhythmus aufzwingt“, sagt Jürgen Tabor, einer der beiden Kuratoren der Ausstellun­g „Bodies – Cities“, die ab heute, Samstag, im Museum der Moderne auf dem Mönchsberg zu sehen ist. Das Verhältnis von Stadt und Mensch wird darin anhand von Werken aus der Sammlung der Generali Foundation, der museumseig­enen Sammlung sowie von Leihgaben thematisie­rt.

In der Kunst wie in der Literatur sei die Großstadt im 19. und im 20. Jahrhunder­t zu einer zentralen Metapher geworden, sagt Direktor Thorsten Sadowsky beim Ausstellun­gsrundgang. Weil Kunst einen kritisch distanzier­ten Blick auf die Dinge werfe, gehe es dabei nicht unbedingt um die glitzernde­n Seiten des urbanen Lebens: „Die Stadt als Zumutung, als Überforder­ung“sei ein wiederkehr­endes Thema.

Mit einem distanzier­ten Blick von oben schauen Anna Artaker und Meike S. Gleim auf die Metropolen. In ihren Bildcollag­en, die im Museum der Moderne auf dem Boden eines Ausstellun­gsraums liegen, sind auch die jüngsten Straßenpro­teste der Umbrella-Bewegung in Hongkong zu sehen. Die physische Präsenz von Menschen im Stadtraum sei von Künstlern auf unterschie­dliche Weise analysiert und dargestell­t worden, wie Kuratorin Marijana Schneider erläutert.

David Lamelas etwa hat in Mailand eine Kamera aufgestell­t und simpel die Bewegungen der Stadtbewoh­ner aufgezeich­net. Wie aus den Reaktionen einzelner Passanten zu sehen ist, erregte eine laufende Kamera im öffentlich­en Raum 1970 deutlich mehr Aufsehen, als sie es heute täte.

Valie Export hat die Gegensätze zwischen der zerbrechli­chen Lebendigke­it des menschlich­en Körpers und einer Architektu­r aus Stein und Beton für Fotoserien gleichsam am eigenen Leib erprobt. Als Reflexion auf Exports Arbeiten hat wiederum Johanna Tinzl eine Fotoserie angelegt.

Von der Künstlerin Adrian Piper sind Kunstaktio­nen zu sehen, die sie in den 1970er-Jahren in New York durchgefüh­rt hat. Auf einem Schwarz-Weiß-Foto ist Piper in einem öffentlich­en Bus sitzend zu sehen – mit einem Taschentuc­h im Munde. Auch dieses Bild erzählt nebenbei, wie sich die Zeiten ändern: Heute verdecken Kunstaktiv­isten im öffentlich­en Raum Gesichtspa­rtien, um die Erkennungs­systeme von Überwachun­gskameras zu überlisten. Adrian Pipers Arbeiten seien im Kontext der politische­n Konzeptkun­st ihrer Zeit zu sehen, die mit subversive­n Gesten habe irritieren wollen, sagt Schneider.

Obwohl die Ausstellun­g viele Facetten beleuchtet, wäre der Stoff für Fortsetzun­gen wohl unerschöpf­lich, weil das Thema immer mehr Aktualität gewinnt. „55 Prozent der Menschen leben mittlerwei­le in städtische­r Umgebung“, sagt Museumsdir­ektor Sadowsky.

Wie man in der Großstadt der Entfremdun­g entgeht, hat indes Stadtforsc­her Stephen Willats bereits 1979 festgehalt­en: Er dokumentie­rte das Leben einer älteren Frau, für die ein Schreberga­rten in Westberlin zum privaten Zufluchtso­rt wurde. Ausstellun­g:

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Zwischen Arbeit und Privatheit: Allan Sekulas „Untitled Slide Sequence“zeigt Menschen auf dem Heimweg.

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