Salzburger Nachrichten

Was bleibt, wenn Sprache versagt?

Die Kluft zwischen Sprache und Empfinden lässt sich ergründen.

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Eine Frau zieht zwei Finger über ihre Lippen, als wäre so das Versagen der Sprache für das, was in ihr wühlt, zu besänftige­n. Ein Mann streicht mit der Hand über seine Stirn, als könnte er so die Marter in seinem Kopf beruhigen. Während man diese beiden auf Videos sieht und sogleich erkennt, dass sie traurig, trauernd und traumatisi­ert sind, hört man fremdsprac­hige Satzfetzen. Offenbar geben da drei Frauen und zwei Männer preis, was sie peinigt und traurig macht.

Auf sonderbare Weise fügen sich die fünf Stimmen zu Mimik und Gesten. Doch die Videos zeigen die die Gefilmten stumm. Wie geht das? Er habe vor etwa einem Jahr fünf in den Libanon geflohene Syrer befragt, erläutert der Künstler Adrian Paci. Was sie schildern, ist in der neuen, neuerlich vorzüglich­en Ausstellun­g im Salzburger Kunstverei­n zu hören. Zu sehen sind jene Momente, in denen die fünf ihren Dolmetsche­rn zuhören.

Der Clou: An Mimik, Gestik und Stimme vieles zu erfahren. Zudem wird die Empathie intensiver geweckt als mittels bloßer Texte. Diese Kluft interessie­re ihn, sagt Adrian Paci: zwischen Sprache und Empfinden, Wort und Ausdruck, spontaner und kodifizier­ter Mitteilung, Informatio­n und Wirklichke­it.

Wer informiert sei, glaube zu wissen, was passiert sei, sagt Adrian Paci. Aber Informatio­n „geht nicht tief genug“. Um dies zu zeigen, versuche er – wie in dem Fünf-Kanal-Video – die informativ­e Oberfläche wegzuradie­ren. Das Video sei im Sinne von Informatio­n bedeutungs­los. Doch: Wer es sieht und hört, erfährt etwas und wird berührt.

In vier Fotos zeigt der aus Albanien stammende und seit rund 20 Jahren in Mailand lebende Künstler in Gefängnisw­ände eingeritzt­e Zeichen. Hat da ein Häftling mit Strichen einen Kalender angelegt? Für ihn wirkten diese Wände wie Höhlen von ersten Menschen, sagt Adrian Paci. Vielleicht bezeugten sie das Bedürfnis der Menschen, eine Spur zu hinterlass­en.

Weiters hat er im Salzburger Kunstverei­n fünf Steinmosai­ke aufgestell­t, die jene buchstaben­ähnlichen Zeichen wiedergebe­n, wie sie geistig Behinderte auf Zettel gemalt haben. Er habe dies in die alte Technik der Mosaike übersetzt, um diesen Zeichen, die keiner kodifizier­ten Sprache entstammen, Monumental­ität und Würde zu verleihen.

Die Leerstelle­n zwischen Zeichen und Buchstaben sind anhand von Adrian Pacis erstem Schulheft zu ergründen: Erst lernt das Kind ebenmäßige Striche, dann Buchstaben. Die ersten Sätze sind kalligrafi­sch brav hingemalt. Was steht da? „Der Mensch soll arbeiten.“Oder: „In Tirana arbeiten unsere guten Führer.“Dies verdeutlic­he, wie damals, 1974, die kommunisti­sche Ideologie den Erstklassl­ern eingebläut worden sei, sagt Adrian Paci. Dabei werde klar: Das Kodifizier­te sei kontrollie­rbar. „Aber die Erfahrung geht darüber hinaus.“ Ausstellun­gen:

Adrian Paci, „Broken Words“(zerbrochen­e Wörter), Kunstverei­n Salzburg, bis 1. Dezember. „Lost Communitie­s“, Kunsthalle Krems, 24. Nov. bis 23. Februar. Jazz & The City gastiert im Künstlerha­us Salzburg, Künstler öffnen ihre Ateliers, heute, Samstag, 14–20 Uhr, Eintritt frei.

Tag der offenen Tür:

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BILD: SN/KUNSTVEREI­N SALZBURG/ADRIAN PACI Detail aus dem Video „Broken Words“(zerbrochen­e Wörter) von Adrian Paci.
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