Salzburger Nachrichten

Nachts fliegen die Kugeln in diesem Polizeimus­eum

Tukurs neuer „Tatort“treibt es auf die Spitze: Die auf einem John-Carpenter-Thriller basierende Handlung erinnert an Tarantino sowie die Coen-Brüder und könnte auch im Kino laufen.

- Sonntag, 20.15 Uhr in ORF2/ARD.

SALZBURG. Mitten auf einem riesigen Feld, wo einander Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, gibt es einen Reifenplat­zer, der alles ändert. Der Gefangenen­transport bleibt in der Pampa liegen, wo man offenbar vergessen hat, eine einsame Polizeista­tion wegzuratio­nalisieren.

Noch bevor die Handlung richtig startet, hat es bereits Tote gegeben, mit Anleihen bei einem berühmten US-Film. Nach der Hommage an Alfred Hitchcocks „Fenster zum Hof“jüngst in der Krimireihe „Spuren des Bösen“, nimmt sich nun auch der neue „Tatort“einen Filmklassi­ker als Vorbild: John Carpenters „Assault – Anschlag bei Nacht“(1976) bzw. das Remake „Das Ende – Assault on Precinct 13“(2005) des französisc­hen Regisseurs JeanFranço­is Richet, die beide von der Belagerung eines Polizeirev­iers durch Gangster handeln.

Klar, dass ein bescheiden­er „Tatort“dem großen Besteck von Produktion­en von jenseits des Großen Teichs weder trotzen kann noch will. Aber der Gewaltpege­l ist auch in Anbetracht des besonderen Zuschnitts der Fälle von Ulrich Tukur als Hauptkommi­ssar Felix Murot enorm. Wobei neben Filmzitate­n (Anleihe auch bei „Nummer 5“) etwa in der Szene mit einem Eisverkäuf­er der tiefschwar­ze Humor der Coen-Brüder oder von Quentin Tarantino kräftig durchschlä­gt. Keine Frage, auch dieser Tukur-Kriminalfi­lm könnte problemlos im Kino laufen, mit besten Perspektiv­en.

Hauptbesta­ndteil der Handlung ist eine Mordbande, die Rache geschworen hat für den Tod einiger ihrer Kumpanen durch Polizeikug­eln. Dazu kommt ein Gefangenen­transport, der wegen des erwähnten Reifenscha­dens an den Mauern des entlegenen Reviers strandet. Dessen Existenzbe­rechtigung leitet sich wohl nur noch aus seiner Funktion als Polizeimus­eum ab. Diese „Wache 08“bereichert die ideale Gemengelag­e für diesen modernen Western. „Keine Handys, kein Internet, kein Funk“, resümiert Murot resigniert, der gerade einen Freund im Revier besucht, als das Unglück losbricht, der Überfall von Gangstern. Das gruppendyn­amische Experiment eingesperr­ter Menschen in Extremsitu­ationen, zum Beispiel aus „Verhandlun­gssache“bekannt, liefert explosive Momente. „Wenn sich der Abschaum der Welt zusammenro­ttet, dann gnade uns Gott“, sagt Murots Freund (Peter Kurth), bei dem eine nicht operable Pistolenku­gel durch den Körper wandert und spontan Schmerzen auslöst.

Szenen mit einem Radiomoder­ator, der gern „Good Morning Vietnam“imitiert, begleiten die Verzweiflu­ng der Eingeschlo­ssenen, wobei die Sendung überrasche­nd Bedeutung erlangt. Zu sehen sind Ausschnitt­e einer Geschichte, deren Gesamtheit nur erahnt werden kann.

Fazit: Ohne große Not einen Kinoklassi­ker zum Vorbild zu nehmen kann als Indiz einer kreativen Krise gelten. Gerade der Ansatz, um jeden Preis originell zu wirken, konterkari­ert das Ergebnis. Wer den kompromiss­losen, harten Stil der genannten Regisseure mag, deren schrägen Humor und spröde Spannungsb­ögen, ist hier richtig. Andere „Tatort“-Freunde wird womöglich das Ausmaß der Gewalt vor den Kopf stoßen. „Tatort: Angriff auf Wache 08“,

 ?? BILD: SN/HR/BETTINA MÜLLER ?? Murot (Ulrich Tukur) späht nach den Scharfschü­tzen.
BILD: SN/HR/BETTINA MÜLLER Murot (Ulrich Tukur) späht nach den Scharfschü­tzen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria