Der Fremde in meinem Bett
ICH würde mich selbst ohne nachzudenken als spontanen und offenen Menschen bezeichnen. Aber das ist selbst für mich ungewöhnlich: Den Typen in meinem Bett kenne ich tatsächlich überhaupt nicht. Nicht ein Wort habe ich zuvor mit dem gewechselt. Was hat mich bloß geritten, den in meine Wohnung zu lassen?
Nun, zunächst ist er Schwede. Das lässt bei mir sämtliche Sicherungen durchbrennen. Ich bin quasi verliebt in das ganze Land. Dann …, nix dann. Mehr Gründe braucht’s nicht. Denn weil er Schwede ist, hat er auch eine Wohnung dort. Und genau da liege ich jetzt, in seinem Bett. Wir haben für unseren Urlaub Wohnung getauscht.
Ich habe mir eingeredet, dass in Hotelbetten auch andere Leute vor mir geschlafen haben. Und dass das hier nicht viel anders ist. Aber es ist etwas komplett anderes. (Es riecht auch anders. Nicht unangenehm, aber persönlich.) Ich schlüpfe sprichwörtlich in die Hausschuhe von Bo, so heißt mein Wohnungstauschpartner. Ich esse von seiner hausgemachten Marillenmarmelade, benutze sein Besteck, trinke aus seinen Gläsern, schnuppere an seinem Duschgel, nein, ich luge nicht in alle Laden, aber ich blättere in seinen Büchern, gieße seine Blumen, grüße seine Nachbarn und blicke durch seine Fenster auf Stockholm. Und, als wäre da irgendwas in der Marillenmarmelade gewesen: Plötzlich interessiere ich mich brennend für Sternbilder und studiere das entsprechende Poster über seinem Bett. Auch das Einlegen von Gurken, Bos Kühlschrank ist voll von fein säuberlich beschrifteten Gurkengläsern, erscheint mir auf einmal als eine unglaublich erstrebenswerte Fähigkeit, die ich mir schleunigst aneignen sollte. Ich schlage in einem von Bos unzähligen Kochbüchern nach, während Birgit Nilssons Sopranstimme durch die hohen Räume der Wohnung schallt. Auch neu. Oper hat mich vorher so fasziniert wie einen Wal das Leben an Land. In Bos Hausschlapfen ist das anders. Ich bin quasi ein bisschen er für eine Weile. Nur ohne Bart, wie mich ein Blick in den Spiegel beruhigt.
Da fällt mir ein, dass nicht nur ich in Bos Bett liege, sondern er auch in meinem. Was, wenn der in meinem Tagebuch liest? Was, wenn er die CDs in der zweiten Reihe und somit meinen Hang zu Kitsch entdeckt? Was, wenn er alle Whiskyflaschen leert und dann grölend im Stehen pinkelt? Was, wenn er sabbernd mit offenem Mund schläft oder gar Orgien in meinem Bett feiert? Selbst Birgit Nilsson verstummt angesichts dieser Vorstellung.
Als ich heimkomme, sind alle Bedenken und Spuren etwaiger Orgien weggewischt. Die Wohnung war noch nie so picobello! Bis ich beginne, Gurken einzulegen.