Salzburger Nachrichten

Die Lehren aus drei Brexit-Jahren

Kaum ist der Deal mit Johnson da, ist die Einheit der EU-27 schon wieder dahin. Dafür verantwort­lich: Emmanuel Macron.

- Sylvia Wörgetter SYLVIA.WOERGETTER@SN.AT

Wieder ein BrexitDeal, diesmal der von Boris Johnson. Und wieder Zittern, ob der britische Premier ihn durch das britische Parlament bringt. Wir erinnern uns: Seine Vorgängeri­n Theresa May ist dort drei Mal gescheiter­t. Das kann Johnson ebenfalls passieren.

Die Bilder gleichen sich also. Und doch lag auf dem Gipfel, auf dem die Staats- und Regierungs­chefs der verbleiben­den 27 EU-Staaten diese Woche den Deal absegneten, eine Stimmung von definitive­m Abschied und nicht von einer Prolongier­ung des gewohnten Dramas.

Von Trauer war die Rede, mit der man einen alten britischen Freund in eine ungewisse Reise verabschie­det; von dem Platz am Tisch, der immer frei bleibe, falls er wieder zurückkehr­en wolle. Allen schien bewusst: Wie immer die Abstimmung im britischen Unterhaus am heutigen Samstag ausgehen mag, der Brexit kommt wirklich. Wenn nicht planmäßig am 31. Oktober, dann über eher kurz als lang.

Denn sollte Johnsons Deal im Unterhaus scheitern, müsste der britische Premier eine Verlängeru­ng der Brexit-Frist beantragen. Die EU-27 würden sie wohl, zum dritten Mal, gewähren. Opposition­sführer Jeremy Corbyn hat zugesicher­t, bei einer Verlängeru­ng einer vorgezogen­en Wahl zuzustimme­n. Einer Wahl, die Johnson aller Voraussich­t nach gewinnen wird. Und dann kommt er, der Brexit.

Für die verbleiben­den 27 Länder der Union ist es also Zeit, nicht nur vom alten Freund Abschied zu nehmen, sondern selbst aufzubrech­en in die Zukunft.

Mehr als drei Jahre hat der Brexit alles überlagert. Er hat Kräfte und Energien gebunden, die andernorts dringend gebraucht werden. Um gegen den Klimawande­l anzukämpfe­n; um die nötigen Reformen im Institutio­nengefüge voranzubri­ngen; um die Union fit zu machen für die sich abzeichnen­de Abschwächu­ng der Konjunktur; um die von Jean-Claude Juncker geforderte Weltpoliti­kfähigkeit unter Beweis zu stellen. Diese ist umso dringender gefordert, als sich alte Freunde wie die USA unter Donald Trump und die Türkei unter Recep Tayyip Erdoğan als nicht mehr voll verlässlic­h erwiesen haben.

Leo Varadkar, der Regierungs­chef Irlands, hat auf dem EU-Gipfel gemahnt, der Brexit solle die EUStaaten etwas für die Zukunft lehren, und zwar: „Wir stehen geeint, wir fallen getrennt.“

Der Austritt Großbritan­niens hätte tatsächlic­h die gesamte Union ins Wanken bringen können. Er hat es nicht, weil alle 27 Staaten ihre Partikular­interessen zurückgest­ellt und – geleitet von EU-Chefverhan­dler Michel Barnier – mit einer Stimme gesprochen haben. Zudem haben sich alle schützend vor das vom Brexit am meisten betroffene kleine Irland gestellt. Damit sei bewiesen, meinte der Ire Varadkar, dass sich kleine Länder nicht fürchten müssten, von den Großen überfahren zu werden.

Das also war der Geist, der herrschte, als die schwierige­n Verhandlun­gen mit Großbritan­nien um den Brexit geführt wurden. Diesen Geist gilt es zu bewahren.

Doch abseits des Brexit-Themas war davon wenig zu spüren auf diesem Gipfel. Dafür trägt ausgerechn­et einer die Verantwort­ung, der ansonsten stets den europäisch­en Geist beschwört: Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron.

Er blockiert die Aufnahme von – ohnedies Jahre dauernden – Beitrittsv­erhandlung­en mit Nordmazedo­nien und Albanien. Und das, obwohl dies den beiden Ländern auf dem Westbalkan seit Langem versproche­n ist. Obwohl die EUKommissi­on beiden attestiert, die geforderte­n Reformen durchgefüh­rt zu haben. Und obwohl bei diesen Ländern – sie haben zusammen nicht einmal fünf Millionen Einwohner – kaum eine Überdehnun­g der Union befürchtet werden muss.

Das deprimiere­nde Signal, das die EU mit der Zurückweis­ung der beiden kleinen Staaten aussendet, strahlt weit über die Westbalkan­region hinaus. Es wird so verstanden werden, dass auf die Zusagen der Union kein Verlass ist, dass sie in erster Linie ein Klub des reichen Westens ist, dem die eigenen Interessen näher sind als seine vielbeschw­orenen Werte wie Solidaritä­t und Einheit.

Das ist ziemlich genau das Gegenteil von dem, wovon Irlands Regierungs­chef Varadkar gesprochen hat. Und es ist kein guter Start der EU-27 in die Zeit nach dem Brexit.

„Wir stehen geeint, wir fallen getrennt.“

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WWW.SN.AT/WIZANY Endlich wieder auf Kurs . . .

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