Zwei Amerikaner, die ihr Glück gefunden haben
Die SN baten Eishockey-Coach Matt McIlvane und Fußballtrainer Jesse Marsch zum Doppelinterview. Herausgekommen ist ein Gespräch über Steuersätze, Teamgeist, US-Politik und warum Salzburg „Utopia“ist.
Gerade einmal 90 Meilen liegen zwischen den Städten am Lake Michigan, in denen Jesse Marsch und Matt McIlvane aufgewachsen sind. Und obwohl sie beide vom selben Fleck in den USA stammen, mittlerweile seit mehreren Jahren zur Sportfamilie von Red Bull gehören und ihre Teams in Salzburg quasi im Gleichschritt auf Platz eins in der Fußballbundesliga und in der Erste Bank Eishockey Liga geführt haben, kam es erst im Rahmen dieses SN-Interviews zum allerersten Treffen zwischen den Erfolgstrainern des Fußball- und Eishockeyteams von Red Bull Salzburg. Marsch, der 45-jährige Fußballlehrer aus Racine im Süden von Wisconsin, und McIlvane, der 33-jährige Eishockeycoach aus Naperville in Illinois, verstanden sich auf Anhieb blendend. Denn auch wenn die Sportarten unterschiedlicher kaum sein könnten, so gibt es doch einen erstaunlich gleichen Nenner: den Teamgedanken.
SN: Können wir das Interview auf Deutsch abhalten?
Jesse Marsch: Ich habe maximal Denglisch anzubieten (lacht). Matt McIlvane: Mein Deutsch ist, glaube ich, nicht so gut wie das von Jesse. Vielleicht liegt es auch daran, dass im Eishockey durch die vielen Fachausdrücke insgesamt mehr Englisch gesprochen wird. (Das Interview wurde in weiterer Folge vom Englischen übersetzt.)
SN: Welche Unterschiede erkennen Sie generell zwischen dem amerikanischen und dem europäischen Sport?
Marsch: Fußball ist in den USA noch ein eher junger Sport, der im Vergleich zu Europa in manchen Bereichen noch nicht so weit ist: Fankultur, Taktik, Trainingsmethoden. Ich genieße hier vor allem diese Passion, diese Leidenschaft für den Sport. Das gibt es in Amerika in dieser Form nicht. Andererseits hat der Sport in Amerika dem europäischen auch etwas voraus – und zwar die Mentalität einer Gruppe. Das nennt man wohl Teamspirit. In Europa ist zumindest im Fußball der individuelle Erfolg oft wichtiger, als Teil einer Gruppe zu sein. McIlvane: Die besten Momente in deinem Leben entstehen ja immer in einer Gruppe. Denkt an Erlebnisse mit der Familie oder mit Freunden. Das ist im Sport nichts anderes. Wir reden darüber sehr viel in unserem Eishockeyteam.
SN: Teambuilding: Ist das der Schlüssel zum Erfolg?
McIlvane: Wir befassen uns viel mit dem Training und der Entwicklung der Spieler. Aber ein funktionierendes Team zu bekommen, das ist wesentlich schwieriger.
Marsch: Es braucht dafür sicher mehr Arbeit als in den USA, wo dieses Teamverständnis fast von selbst entsteht. Vielleicht weil es dort generell mehr etablierten Mannschaftssport gibt wie Basketball, Baseball oder Hockey. In Salzburg habe ich aber eine Gruppe junger Spieler vorgefunden, die da schon sehr weit war. Auch weil es von der Clubführung so vorgelebt wird.
SN: Was vermissen Sie sonst noch aus Ihrer Heimat USA?
Marsch: Meine Zahnpasta, an die ich gewöhnt bin (lacht). Es sind eher banale Dinge wie gutes mexikanisches Essen, ein bestimmtes Deodorant oder Altoids, diese Peppermint-Pastillen liebe ich. Im Gegensatz dazu ist der Kaffee in Europa viel, viel besser und es gibt noch so viele andere schöne Dinge. In Salzburg ist das Leben sehr speziell. Die Natur, die Menschen, der Club – das alles ist großartig. Ich habe hier ein kleines Utopia vorgefunden.
McIlvane: Ich muss auch gleich ein Geständnis ablegen: Ich vermisse große Parkflächen, wo ich mir aus 50 freien Stellplätzen einen aussuchen kann. Und vor allem welche, die nichts kosten (lacht). Nein, im Ernst: Ich fühle mich in Salzburg nicht als Fremder. Die Leute machen es einem hier auch einfach. Was mir hin und wieder noch abgeht ist ein richtig fettes amerikanisches Frühstück: Baked Beans, Pancakes und riesige Omelettes.
Marsch: Dazu muss ich eine Geschichte erzählen: Ich bin vergangene Woche auf den Untersberg gewandert und habe wahrscheinlich 100 Personen getroffen und jeder Einzelne hat „Servus“oder „Grias di“zu mir gesagt. Diesen Platz hier machen vor allem die Menschen besonders.
SN: Können Sie nachvollziehen, dass viele Menschen in Europa der Politik in den USA kritisch gegenüberstehen? Stichwort Trump, Stichwort Waffenrecht.
Marsch: Wir sind in den USA jetzt in einem speziellen Moment unserer Geschichte. Ohne zu politisch zu werden, möchte ich sagen, dass es viele Menschen gibt, die nicht stolz darauf sind, dass es so viele Probleme gibt und das Land immer mehr auseinanderdriftet.
McIlvane: Klar kann ich verstehen, dass die Leute in Europa so denken. Früher war es so, dass jeder immer stolz darauf war, Amerikaner zu sein. Das ist heute nicht mehr so.
Marsch: Die Kultur eines Landes, wie zwischenmenschlich miteinander umgegangen wird, das hängt auch viel von der Politik ab. In den USA polarisiert die Politik derzeit zu stark. Es gibt so viel Wut. Jetzt habe ich den Vergleich mit Österreich: Wie ich das erste Mal auf meinen Gehaltszettel geschaut habe, da dachte ich: Wow, was sind das für Steuersätze? Aber dafür gibt es auch etwas zurück. Hier schaut die Politik auf die Menschen und die Menschen schauen aufeinander.
SN: Herr Marsch, Sie waren gemeinsam mit Ihrer Familie auf Weltreise. Was haben Sie daraus gelernt?
Marsch: Wir waren in sechs Monaten in 32 Ländern. Die Kinder waren damals elf, neun und fünf Jahre alt und wir haben sie ein Semester lang von der Schule genommen. Ich denke, das hat uns damals vorbereitet auf den großen Schritt, den wir jetzt gemacht haben, von Amerika nach Europa zu gehen. Als Fußballtrainer hat es mir geholfen, die Dinge mit mehr Weitblick zu sehen. Die Erlebnisse in Ländern wie Nepal, Jordanien und Laos waren meine absoluten Highlights. Die haben aus mir einen besseren Menschen gemacht. Dort haben wir Leute kennengelernt, die so freundlich und hilfsbereit waren, wie ich es nie zuvor erlebt habe.
McIlvane: Ich glaube, jede Erfahrung, die du im Leben machst, egal ob positiv oder negativ, hilft dir, dich weiterzuentwickeln. Als Mensch und als Trainer.
SN: Sie arbeiten viel mit sehr jungen Spielern: Inwieweit
können Sie die Handy- und Social-Media-Generation als Trainer verstehen?
McIlvane: Ich habe das Glück, dass ich mit meinen 33 Jahren nicht viel älter bin als viele meiner Spieler. Ich bin nicht aktiv auf Social Media. Meinen Facebook-Account hat mir noch ein Collegefreund angelegt, aber der ist inaktiv. Dennoch habe ich das Gefühl, dass ich mich in einen Spieler gut hineinversetzen kann, und das ist letztlich viel wichtiger. Gleichzeitig versuchen wir, die Technologie zu unserem Vorteil zu nutzen. Etwa wenn wir gleich nach dem Spiel den Spielern die einzelnen Spielsituationen auf ihre Mobiltelefone überspielen.
Marsch: Ich liebe es einfach, mit jungen Spielern zu arbeiten. Sie haben Energie, Hunger, wollen jeden Tag lernen und besser werden. Und ich als Trainer versuche, so jung wie möglich zu bleiben. Auch mit 45 mag ich die Musik, die die Jungs am Spieltag in der Kabine auflegen.
SN: Abschließend eine sportliche Frage: Wer wird Meister?
Marsch: Ich kann nur sagen: Matt wird es machen (lacht). McIlvane: Ich halte es mit meinem Mentor Don Jackson, der immer gesagt hat: „There is no limit to win.“Es gibt keine Grenze beim Siegen. Marsch: Wir sollten noch Tickets tauschen, denn ich war in Salzburg noch nie beim Eishockey.
SN: Können Sie sich vorstellen, in Europa zu bleiben?
Marsch: Die Erfahrung, die ich in den ersten Monaten hier gemacht habe, ist großartig. Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Warum nicht? Das Leben hier bietet alles, was man braucht.
McIlvane: Das kann ich für mich zu 100 Prozent mit Ja beantworten. Aber ich habe auch eine Frau und zwei Kinder, die da mitsprechen werden. Ich weiß nur: Ich liebe meine Heimat, aber Salzburg fühlt sich für mich wie Heimat an.