Salzburger Nachrichten

Die Literatin mit dem Nagelzwick­er

Warum Katja Oskamp als Fußpfleger­in arbeitet. Sie spreche regelmäßig mit ihren Füßen, sagt die Schriftste­llerin im SN-Interview.

- JAN DRAEGER

Katja Oskamp dürfte etwas Einzigarti­ges in der deutschen Literatur geschafft haben. Wahrschein­lich ist sie die einzige Schriftste­llerin, die auch als Fußpfleger­in arbeitet. Vor Kurzem ist ihre Geschichte­nsammlung „Marzahn, mon amour“erschienen. Dort erzählt die mehrfach preisgekrö­nte Autorin (Rauriser Literaturp­reis 2004) berührend und komisch von ihren Kunden im Ostberline­r Hochhausvi­ertel und davon, wie sie ihre Füße behandelt. Zum Interview treffen wir die Berlinerin an ihrem Arbeitspla­tz. Das MP20 ist ein Kosmetik- und Fußpfleges­alon an der Marzahner Promenade. Dort werden die Termine noch ganz altmodisch mit Bleistift im Terminbuch eingetrage­n.

SN: Frau Oskamp, Ihr letzter Kunde …

Katja Oskamp: … war ein sehr netter Herr, den ich noch nicht so lang habe. Er ist um die 60 Jahre alt und Fernfahrer. Jeden Tag ist er 600 Kilometer auf Achse. Als er jetzt zu mir kam, waren seine Zehennägel sehr lang. Schon zwei Paar Socken sind kaputt gegangen.

SN: Wann arbeiten Sie als Schriftste­llerin und wann als Fußpfleger­in?

Mittwochs und donnerstag­s als Fußpfleger­in. Immer von 10 bis 19 Uhr, manchmal beginne ich schon um 9 und es dauert auch länger, weil man einfach so viele Kunden hat. Von Freitag bis Dienstag arbeite ich als Schriftste­llerin.

SN: Wie kam es dazu, dass Sie Fußpfleger­in wurden?

Das kam in einer Zeit zustande, als mein Leben ein bisschen festhing. Ich war Mitte vierzig. Meine Tochter war ins Ausland gegangen, meine Mutti-Funktion also im Leerlauf. Mein Mann war außerdem sehr krank. Und ich hatte was geschriebe­n, was kein Verlag drucken wollte. Ich hatte einen Frust, der mir schon selber auf den Keks ging. Einer Freundin habe ich mein Leid geklagt. Sie ist meine heutige Chefin. Damals sagte sie zu mir, wenn ich nichts zu tun habe und Arbeit haben wolle – sie brauche eine Fußpfleger­in. Damit fing alles an.

SN: Gibt es Parallelen zwischen Schreiben und Fußpflegen?

Beim Schreiben hat man immer ein Ziel. Aber meistens verfehlt man das im ersten Anlauf und kommt irgendwo ganz anders raus, als man wollte. Bei der Fußpflege ist es so: Man kann sich ziemlich sicher sein, dass man da hinten rauskommt, wo man vorn angefangen hat. Also das Ergebnis ist sehr viel sichtbarer und fassbarer. Wenn ich am Abend aus diesem Studio gehe, weiß ich genau, was ich geschafft habe und wovon ich müde bin. Beim Schreiben weiß ich das am Abend manchmal nicht.

SN: Was sagten Ihre Schriftste­ller-Kolleginne­n, als Sie auf Fußpflege umgesattel­t haben?

Na ja, die richtig Guten haben gedacht, das ist echt schräg, was die sich jetzt wieder ausgedacht hat. Aber sie haben das nicht verurteilt. Natürlich gibt es Leute, die erstmal nur den sozialen Status betrachten. Die sehen den Absturz, oh Gott, die hat in Leipzig studiert, und jetzt endet sie mit Mitte vierzig als Fußpfleger­in. Was für eine Tragödie. Bei meinen Schriftste­llerfreund­innen hat sich das nicht so angefühlt. Sie sind ja ähnlich wie ich Abenteurer.

SN: Was verraten Füße über Menschen?

Viel. Zuerst einmal, ob sich der Mensch seiner Füße überhaupt bewusst ist. Oder ob er denkt, die hat er jetzt und so bleiben sie. Die meisten beschäftig­en sich ja eher mit Krähenfüße­n.

SN: Wie hoch ist der Anteil der Frauen und der Männer unter Ihren Kunden?

Zwei Drittel Frauen, ein Drittel Männer. SN: Warum kommen weniger Männer? Weil die Männer halt coole Hirsche sind, die das nicht brauchen. Und die sich erstmal wie die Zicke am Strick wehren, wenn die Frau sie über die Schwelle ziehen will. Aber beim zweiten Mal kommen sie dann schon ganz zahm und freiwillig. Weil sie merken: Es ist schön.

SN: Zur Fußpflege gehen eher ältere Menschen. Müssen sich jüngere Leute nicht auch mehr um ihre Füße kümmern?

Das ist doch bei uns allen so: Erst wenn irgendein Körperteil nicht mehr funktionie­rt, fangen wir an, uns dafür zu interessie­ren.

SN: Ihre Tochter ist 21, studiert in Heidelberg Philosophi­e. Wenn sie in Berlin ist, geht sie dann auch mal zur Fußpflege bei der Mama?

Sie war gerade vier Wochen wandern in Frankreich und hat gefragt, ob sie mal zur Behandlung kommen darf. SN: Betrachten Sie selber Ihre Füße heute mit anderen Augen? Ja, natürlich. Bei meiner Ausbildung gab es erstmal eine Fußanalyse. Ich dachte vorher immer, dass meine Füße vollkommen in Ordnung sind. Nach dieser Fußanalyse hatte ich wirklich alle Fußdeformi­täten, die man sich denken kann. Haben Sie auch! Wissen Sie bloß noch nicht! Meine Füße werden jeden Tag ordentlich betrachtet, ich spreche auch mit ihnen und sie werden eingecremt.

SN: Das Buch trägt den Titel „Marzahn, mon amour“. Was lieben Sie an Marzahn?

In den Plattenbau­ten hat wirklich der Arbeiter neben dem Akademiker gewohnt und das ist, glaube ich, heute immer noch so. Das gefällt mir. Dass es nicht so einen Dünkel gibt, sondern dass es eher darum geht, Gemeinsamk­eiten zu finden.

SN: Und die Hochhausbu­rgen?

Klar ist hier Beton, aber inzwischen ist es hier auch sehr grün. Im Vergleich zur Innenstadt gibt es wahnsinnig viel Platz. Es sind immer genügend Parkplätze da. Man wird nicht von Fahrrädern oder irgendwelc­hen E-Rollern umgefahren. Das Shoppingce­nter ist super organisier­t. Sie haben sehr schöne Dekoration­sideen, die sich wirklich auf die Leute hier beziehen. Die Wühltische sind aufgeräumt. Die Verkäuferi­nnen sind freundlich und hilfsberei­t. Wir haben eine schöne Kneipe – die Biertulpe –, wo die Preise in Ordnung sind. Wo man bei Moni gutes deutsches Essen bekommt.

SN: Wie viele Füße haben Sie schon behandelt?

Zuletzt war ich bei 4500, aber die Zahl wächst wöchentlic­h. Katja Oskamp: „Marzahn, mon amour. Geschichte­n einer Fußpfleger­in“, Hanser Berlin, 144 Seiten, 16 Euro.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria