Wirtschaftswunder – nur für Männer
Wenn das Gehalt nicht einmal zum Wohnen reicht. In Portugal geht die Lohnschere zwischen Männern und Frauen immer weiter auf, das Lohnniveau ist extrem niedrig. Für die meisten Single-Frauen ist es unmöglich, eigenen Wohnraum zu mieten.
Rita ist 42 Jahre alt und selbstständig. Aus ihrem Secondhandshop im Zentrum von Lissabon, in dem sich neben Keramik, Schmuck und Platten allerhand andere mit Liebe arrangierten Dinge finden, bezieht Rita ein für portugiesische Verhältnisse durchschnittliches Einkommen. Und dennoch: Obwohl sie mehr als 40 Jahre alt ist, ihr Leben lang gearbeitet hat und ihr Geschäft nicht schlecht läuft – Rita wohnt bei ihrer Mutter.
Damit ist sie nicht allein: „Keine Single-Frau hier kann sich eine eigene Wohnung leisten“, erklärt die Unternehmerin, deren Einkommen noch ein bisschen höher ausfällt als das der Frauen, die in der Privatwirtschaft angestellt sind. Denn egal ob Verkäuferin, Friseurin oder Kellnerin – die meisten der Frauen, die man in Portugal trifft, beantworten die Frage nach ihrem Verdienst mit der gleichen Zahl: 600 Euro. Brutto. Pro Monat für einen Vollzeitjob. Das ist der gesetzliche Mindestlohn.
Dieser ist zwar unter Premierminister António Costa, der seit 2015 Regierungschef ist und dessen sozialistische Partei kürzlich mit 36,6 Prozent wiedergewählt wurde, gestiegen (und soll auf 850 steigen) – Portugals Löhne zählen aber mit durchschnittlich 1158 Euro brutto pro Monat zu den niedrigsten in Westeuropa. Eine eigene Wohnung, und sei es nur ein Ein-Zimmer-Apartment, ist für eine alleinstehende Person mit einem „Durchschnittsjob“einfach nicht drin.
„Die meisten leben mit ihren Familien oder in einer WG mit Freunden und wer doch eine eigene Wohnung hat, vermietet sie an Touristen“, erklärt Euridice, die Künstlerin ist und in der Nähe von Ritas Shop wunderschöne Stickereien und Drucke anbietet. Sie sind zwei der zahlreichen Selbstständigen, die nicht zuletzt wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise, die Portugal im Jahr 2008 mit voller Wucht traf und deren Auswirkungen bis heute stark zu spüren sind, noch mehr geworden sind.
Neben den vielen Selbstständigen und dem allgemein extrem niedrigen Lohnniveau fällt eine Sache auf dem portugiesischen Arbeitsmarkt sofort auf: der sogenannte Gender Pay Gap, also die Kluft zwischen den Einkommen von Männern und Frauen. Im Gegensatz zu den meisten anderen EU-Ländern, in denen sich der Gender Pay Gap – wenn auch nur in Zeitlupe – verringert, geht in Portugal die Schere seit Jahren wieder auf. War man mit einem Unterschied von 8,4 Prozent im Jahr 2006 noch auf dem siebten Platz in der EU, hat sich bis 2017 die Zahl mit 16,3 Prozent nahezu verdoppelt. Damit ist das südliche EU-Land auf den siebtletzten Platz abgerutscht. Und auch wenn sich der portugiesische in vielerlei Hinsicht vom österreichischen Arbeitsmarkt unterscheidet – „was die niedrigen Löhne für Frauen und den Gender Pay Gap betrifft, sind einige Fallen dieselben“, sagt Katharina Mader, Assistenzprofessorin am Institut für heterodoxe Ökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU). Denn auch Österreich zählt beim Gender Pay Gap keineswegs zu den EU-Vorbildern. Mit einem Unterschied von 19,9 Prozent rangiert Österreich sogar noch hinter Portugal im Ranking. Faktoren wie Arbeitszeit, Ausbildung, Branche, Hierarchien oder Karenzzeiten sind bei diesen knapp 20 Prozent nicht berücksichtigt. Rechnet man diese Faktoren ein, bleibt aber immer noch ein Unterschied von mehr als 13 Prozent. „Das ist einfach der Umstand, dass du eine Frau bist“, erklärt Mader. Dass insofern immer wieder behauptet wird, die Lohndiskriminierung sei „ja gar nicht so groß“, lässt sie nicht gelten: „Bloß weil wir in der Ökonomie etwas erklären können, heißt das nicht, dass es gerecht ist.“
Denn in der ganzen Rechnung fehle der am meisten relevante Faktor völlig: die unbezahlte Arbeit. Also Kindererziehung, Haushalt, Pflege von Angehörigen, Freiwilligenarbeit und dergleichen. „Es wird immer so getan, als gäbe es keine Wechselwirkung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit. Dabei hat sie enormen Einfluss darauf, wie Frauen erwerbstätig sein können.“Das kann Mader schlüssig erklären: „Frauen erledigen den größten Teil der unbezahlten Arbeit, deshalb arbeiten sie Teilzeit. Weil sie Teilzeit arbeiten, verdienen sie weniger. Weil sie weniger verdienen, haben sie weniger Verhandlungsmacht im Haushalt und sind die, die unbezahlte Arbeit machen. Das pflanzt sich fort bis ins hohe Alter – sie erhalten eine geringere Pension und haben im Erwerbsleben weniger Vermögen aufbauen können als Männer.“So sind laut Mader all diese „Gaps“, die sich im Laufe der Jahre auftun, vor allem darauf zurückzuführen, dass die Verteilung von unbezahlter Arbeit nicht 50:50 ist.
Und dieser Umstand stimme nicht nur für Österreich, sondern auch zu weiten Teilen für Portugal. Neben der unbezahlten Arbeit führt sie die typischen „Frauenbranchen“an: Handel, Tourismus, Gastronomie. Aber nicht nur die Fallen sind in Österreich und Portugal ähnlich, auch die Maßnahmen, mit denen man dem Gender Pay Gap beikommen möchte, schlagen in die gleiche Kerbe: Transparenz. Aber auch wenn Österreich und Portugal auf „Einkommensberichte“setzen, die ungleiche Bezahlung in Unternehmen aufzeigen sollen: Im Gegensatz zu Island, wo Unternehmen, die Männern und Frauen nicht die gleichen Löhne bezahlen, Strafe zahlen müssen, bleibt das hierzulande ohne Konsequenzen. Das sieht Mader als generelles Problem: „In Österreich gibt es in keinem Bereich der Gleichstellungspolitik einen Sanktionsmechanismus.“Wenngleich zwischen Vorbild Island und Portugal, wo sich alleinstehende Frauen zumeist nicht einmal eigenen Wohnraum leisten können, Welten liegen – es würde Österreich nicht schaden, sich beide Länder genauer anzuschauen. Denn eines gibt Mader auch noch zu bedenken: „Die Situation in Portugal zeigt vor allem, wie stark finanzielles Empowerment von Frauen die Selbstbestimmung allgemein gefördert hat. Insbesondere die Möglichkeit, aus einer Beziehung beziehungsweise aus der gemeinsamen Wohnung gehen zu können, weil man finanziell nicht von einem Mann abhängig ist – das ist etwas ganz Wesentliches.“ Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Projekts „eurotours 2019“.