Salzburger Nachrichten

Das unsichtbar­e Band der Liebe

Kinder müssen sich geborgen fühlen. Warum eine sichere Bindung so wichtig ist und Eltern ihre Babys nicht schreien lassen sollen.

- THOMAS HÖDLMOSER

Eine sichere Bindung ist von großer Bedeutung für die Entwicklun­g eines Kindes. Was Eltern in der Erziehung beachten und welche Fehler sie vermeiden sollen, erklärt der Bindungsfo­rscher Karl Heinz Brisch im SN-Gespräch.

SN: Das Bedürfnis, mit anderen Menschen in Beziehung zu stehen, haben alle Menschen. Was ist das Besondere an der Eltern-Kind-Bindung?

Karl Heinz Brisch: Eltern-Kind-Bindung ist mehr, als nicht allein zu sein. Es bedeutet, dass Eltern oder andere Bindungspe­rsonen für das Kind Schutz und Sicherheit zur Verfügung stellen. Ein Baby würde ohne Bindungspe­rsonen sterben. Diese Erfahrung nimmt ein Kind mit in den späteren Verlauf des Lebens. Wenn Menschen, die in der Kindheit eine sichere Bindung hatten, im Erwachsene­nleben in Not sind, holen sie sich Hilfe. Menschen, die diese sichere Bindung nicht hatten, glauben, sie müssen das alleine lösen. Menschen mit Bindungsst­örungen lösen auch im späteren Leben Probleme oft mit Gewalt oder sie ziehen sich zurück.

SN: Eine sichere Bindung gilt als Quelle psychische­r Widerstand­skraft. Ist das der einzige Grund, warum Eltern auf eine gute Bindung schauen sollten?

Die psychische Widerstand­skraft ist sicher ein wichtiger Faktor. Aber Kinder, die bindungssi­cher sind, kommen auch in Gruppen besser zurecht, sie haben Freunde und Partnersch­aften. Auch kognitive Fähigkeite­n, die Sprachentw­icklung, die Fähigkeit, Probleme zu lösen, Kreativitä­t und Ausdauer sind bei bindungssi­cheren Kindern besser ausgeprägt als bei Kindern, die keine so gute Bindung hatten.

SN: Wann beginnt die Bindung zur Mutter? Schon in der Schwangers­chaft? In den ersten Wochen nach der Geburt?

Es beginnt sicher schon in der Schwangers­chaft, nur kann man es da nicht so gut messen. Sehr spezifisch bindet sich das Kind im ersten Lebensjahr, da kann es zwischen zwei oder vier Bindungspe­rsonen unterschei­den. Die Bindung hängt nicht an der genetische­n Verwandtsc­haft. Auch andere Personen, wie die Tagesmutte­r, oder auch die Erzieherin, Lehrer und Lehrerinne­n können Bindungspe­rsonen werden.

SN: Warum ist die erste Lebensphas­e für die Bindung so entscheide­nd?

Die ersten drei Lebensjahr­e sind sehr wichtig für die Entwicklun­g. Menschlich­e Babys sind sehr wenig in der neuronalen Entwicklun­g vorgeprägt, im Unterschie­d zu Säugetiere­n, die sehr klare Verhaltens­muster haben, wenn sie geboren werden. Wir Menschen sind also bei Geburt sehr wenig in unserem Verhalten festgelegt. Das hat den Vorteil, dass wir uns an verschiede­ne Situatione­n anpassen können. Es hat aber auch zur Folge, dass sich Erfahrunge­n mit Bindungspe­rsonen in Netzwerken im Gehirn sehr deutlich niederschl­agen und uns damit sehr prägen.

SN: Was müssen Eltern tun, damit das Kind in den ersten Jahren positive Bindungser­fahrungen macht?

Eltern müssen lernen, die Signale ihres Babys richtig wahrzunehm­en. Wenn das Baby weint, müssen sie richtig interpreti­eren, warum es weint, wegen Schmerzen oder aus Langeweile. Und sie müssen dann angemessen reagieren. Und Eltern müssen innerlich auf das Baby eingestell­t sein. Man kann das natürlich nicht 24 Stunden am Tag machen. Aber wenn das Baby weint, muss irgendjema­nd darauf reagieren, weil es sonst in großen Stress gerät, etwa wenn es Hunger hat. Sonst hat es das Kind schwer, eine emotionale Stabilität auszubilde­n.

SN: Welche Fehler sollte man in der Erziehung unbedingt vermeiden?

Man sollte zum Beispiel vermeiden, Babys einfach schreien zu lassen in der Hoffnung, dass es sich schon selbst in den Schlaf schreien wird. Denn Babys sind nicht dafür gemacht, sich in den Schlaf zu schreien. Rund um die Welt schlafen Babys in enger Nähe zu ihren Bindungspe­rsonen. Das lässt sich evolutionä­r erklären. Früher suchten Babys die Nähe zu Bindungspe­rsonen, weil nachts wilde Tiere unterwegs waren. Babys im Stress zu lassen ist für die Entwicklun­g von emotionale­r Sicherheit überhaupt nicht hilfreich.

SN: Wer hilft Eltern, die etwa an Depression­en leiden oder die einfach mit dem Säugling überforder­t sind?

Es ist sehr wichtig, dass es den Eltern gut geht und dass sie rasch Hilfe bekommen. Es gibt auch die entspreche­nden Beratungss­tellen. In den Landesklin­iken etwa gibt es eine Tagesklini­k in der Psychosoma­tik, wo Mütter mit Babys aufgenomme­n werden. Es gibt ebenso die Beratung für Eltern mit Säuglingen und Kleinkinde­rn, die schlecht essen, viel weinen oder Schlafprob­leme haben, in der Kinderklin­ik der SALK und auch die Elternbera­tung in der Stadt Salzburg und im Flachgau, Tennengau und Lungau – sowie birdi – Frühe Hilfen Salzburg im Pinzgau und Pongau.

SN: Kann die Bindung zum Kind eigentlich auch zu eng sein?

Normalerwe­ise ist es so: Wenn sich das Kind sicher fühlt, krabbelt es los, es ist neugierig, will die Welt erkunden. Wenn die Eltern aber sehr viel Angst haben, können sie das Kind nicht loslassen und halten es unnötig fest. Die ängstliche Mutter und der ängstliche Vater haben dann ein ängstliche­s Kind. Eine zu enge Bindung ist also nicht hilfreich für die Entwicklun­g des Kindes. Hier wäre eine Beratung hilfreich.

SN: Wie verhält es sich mit der Bindung zum Vater? Kann die jemals so eng werden wie die zur Mutter, die das Kind stillt?

Ja. Es gibt manchmal Kinder, die sehr sicher an ihre Väter gebunden sind und nicht so sicher an ihre Mütter. Es hängt nicht vom Stillen ab. Das Stillen ist eine Möglichkei­t, wie Bindung entstehen kann, auch weil da das Hormon Oxytocin ausgeschüt­tet wird, das die Bindung fördert. Aber beim Körperkont­akt, beim Halten und Tragen des Babys, wird dieses Hormon auch ausgeschüt­tet. Deshalb gibt es Väter, die eine sehr sichere Bindung zu den Kindern haben. Wir haben festgestel­lt, dass Väter, die an unserem Ausbildung­sprogramm „SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern“am Dr. von Haunersche­n Kinderspit­al an der Uni München teilgenomm­en haben, zu 84 Prozent eine sichere Bindung zu ihren Kindern entwickelt haben. In Vergleichs­studien sind das nur 48 Prozent.

SN: Inwiefern ändert sich die Bindung an die Eltern im Lauf der Jahre?

Im Säuglings- und Kleinkinda­lter sind die Kinder in der Regel, wenn sie Angst und Not haben, aktiv darauf angewiesen, dass eine Bindungspe­rson da ist. Wenn wir erwachsen sind, haben wir die Bindungser­fahrungen verinnerli­cht, wir können uns dann selbst trösten, indem wir uns denken: Wie wäre es, wenn die Bindungspe­rson jetzt da wäre? Es braucht dann die reale Person nicht mehr. Wenn wir an die verinnerli­chte Bindungser­fahrung denken, können wir uns selbst mehr oder weniger beruhigen.

SN: Geht mit der Pubertät, in der sich Kinder von den Eltern abgrenzen, die alte Elternbind­ung zu Ende?

Nein. Kinder in der Pubertät haben die Bindungser­fahrung ja bereits verinnerli­cht. Sie wollen sich in der Pubertät ablösen und altersgere­cht in die Welt hinausgehe­n. Sie brauchen trotzdem die Möglichkei­t, dass sie auf eine Bindungspe­rson zurückgrei­fen, wenn alles schiefgeht. Manches lösen Jugendlich­e dann aber auch mit Gleichaltr­igen. Sie suchen dann die Sicherheit in der Gruppe. Die Gruppenbin­dung hilft ihnen

auch auf dem Weg, sich loszulösen. Der Kinder- und Jugendpsyc­hiater und Bindungsfo­rscher Karl Heinz Brisch hat den ersten Lehrstuhl für „Early Life Care“inne und ist Leiter des gleichnami­gen Forschungs­instituts an der PMU Salzburg. Vortrag: Wie wichtig die Bindung in den ersten Lebensjahr­en ist, erläutert Karl Heinz Brisch bei einem Vortrag im SN-Saal. Do., 24. 10. 2019, 19.30 Uhr, SN-Saal, Karolinger­straße 40. Eintritt: 10 Euro. Reservieru­ng erbeten: WWW.SN.AT/RESERVIERU­NG oder telefonisc­h: 0662-8373-222.

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