Das unsichtbare Band der Liebe
Kinder müssen sich geborgen fühlen. Warum eine sichere Bindung so wichtig ist und Eltern ihre Babys nicht schreien lassen sollen.
Eine sichere Bindung ist von großer Bedeutung für die Entwicklung eines Kindes. Was Eltern in der Erziehung beachten und welche Fehler sie vermeiden sollen, erklärt der Bindungsforscher Karl Heinz Brisch im SN-Gespräch.
SN: Das Bedürfnis, mit anderen Menschen in Beziehung zu stehen, haben alle Menschen. Was ist das Besondere an der Eltern-Kind-Bindung?
Karl Heinz Brisch: Eltern-Kind-Bindung ist mehr, als nicht allein zu sein. Es bedeutet, dass Eltern oder andere Bindungspersonen für das Kind Schutz und Sicherheit zur Verfügung stellen. Ein Baby würde ohne Bindungspersonen sterben. Diese Erfahrung nimmt ein Kind mit in den späteren Verlauf des Lebens. Wenn Menschen, die in der Kindheit eine sichere Bindung hatten, im Erwachsenenleben in Not sind, holen sie sich Hilfe. Menschen, die diese sichere Bindung nicht hatten, glauben, sie müssen das alleine lösen. Menschen mit Bindungsstörungen lösen auch im späteren Leben Probleme oft mit Gewalt oder sie ziehen sich zurück.
SN: Eine sichere Bindung gilt als Quelle psychischer Widerstandskraft. Ist das der einzige Grund, warum Eltern auf eine gute Bindung schauen sollten?
Die psychische Widerstandskraft ist sicher ein wichtiger Faktor. Aber Kinder, die bindungssicher sind, kommen auch in Gruppen besser zurecht, sie haben Freunde und Partnerschaften. Auch kognitive Fähigkeiten, die Sprachentwicklung, die Fähigkeit, Probleme zu lösen, Kreativität und Ausdauer sind bei bindungssicheren Kindern besser ausgeprägt als bei Kindern, die keine so gute Bindung hatten.
SN: Wann beginnt die Bindung zur Mutter? Schon in der Schwangerschaft? In den ersten Wochen nach der Geburt?
Es beginnt sicher schon in der Schwangerschaft, nur kann man es da nicht so gut messen. Sehr spezifisch bindet sich das Kind im ersten Lebensjahr, da kann es zwischen zwei oder vier Bindungspersonen unterscheiden. Die Bindung hängt nicht an der genetischen Verwandtschaft. Auch andere Personen, wie die Tagesmutter, oder auch die Erzieherin, Lehrer und Lehrerinnen können Bindungspersonen werden.
SN: Warum ist die erste Lebensphase für die Bindung so entscheidend?
Die ersten drei Lebensjahre sind sehr wichtig für die Entwicklung. Menschliche Babys sind sehr wenig in der neuronalen Entwicklung vorgeprägt, im Unterschied zu Säugetieren, die sehr klare Verhaltensmuster haben, wenn sie geboren werden. Wir Menschen sind also bei Geburt sehr wenig in unserem Verhalten festgelegt. Das hat den Vorteil, dass wir uns an verschiedene Situationen anpassen können. Es hat aber auch zur Folge, dass sich Erfahrungen mit Bindungspersonen in Netzwerken im Gehirn sehr deutlich niederschlagen und uns damit sehr prägen.
SN: Was müssen Eltern tun, damit das Kind in den ersten Jahren positive Bindungserfahrungen macht?
Eltern müssen lernen, die Signale ihres Babys richtig wahrzunehmen. Wenn das Baby weint, müssen sie richtig interpretieren, warum es weint, wegen Schmerzen oder aus Langeweile. Und sie müssen dann angemessen reagieren. Und Eltern müssen innerlich auf das Baby eingestellt sein. Man kann das natürlich nicht 24 Stunden am Tag machen. Aber wenn das Baby weint, muss irgendjemand darauf reagieren, weil es sonst in großen Stress gerät, etwa wenn es Hunger hat. Sonst hat es das Kind schwer, eine emotionale Stabilität auszubilden.
SN: Welche Fehler sollte man in der Erziehung unbedingt vermeiden?
Man sollte zum Beispiel vermeiden, Babys einfach schreien zu lassen in der Hoffnung, dass es sich schon selbst in den Schlaf schreien wird. Denn Babys sind nicht dafür gemacht, sich in den Schlaf zu schreien. Rund um die Welt schlafen Babys in enger Nähe zu ihren Bindungspersonen. Das lässt sich evolutionär erklären. Früher suchten Babys die Nähe zu Bindungspersonen, weil nachts wilde Tiere unterwegs waren. Babys im Stress zu lassen ist für die Entwicklung von emotionaler Sicherheit überhaupt nicht hilfreich.
SN: Wer hilft Eltern, die etwa an Depressionen leiden oder die einfach mit dem Säugling überfordert sind?
Es ist sehr wichtig, dass es den Eltern gut geht und dass sie rasch Hilfe bekommen. Es gibt auch die entsprechenden Beratungsstellen. In den Landeskliniken etwa gibt es eine Tagesklinik in der Psychosomatik, wo Mütter mit Babys aufgenommen werden. Es gibt ebenso die Beratung für Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern, die schlecht essen, viel weinen oder Schlafprobleme haben, in der Kinderklinik der SALK und auch die Elternberatung in der Stadt Salzburg und im Flachgau, Tennengau und Lungau – sowie birdi – Frühe Hilfen Salzburg im Pinzgau und Pongau.
SN: Kann die Bindung zum Kind eigentlich auch zu eng sein?
Normalerweise ist es so: Wenn sich das Kind sicher fühlt, krabbelt es los, es ist neugierig, will die Welt erkunden. Wenn die Eltern aber sehr viel Angst haben, können sie das Kind nicht loslassen und halten es unnötig fest. Die ängstliche Mutter und der ängstliche Vater haben dann ein ängstliches Kind. Eine zu enge Bindung ist also nicht hilfreich für die Entwicklung des Kindes. Hier wäre eine Beratung hilfreich.
SN: Wie verhält es sich mit der Bindung zum Vater? Kann die jemals so eng werden wie die zur Mutter, die das Kind stillt?
Ja. Es gibt manchmal Kinder, die sehr sicher an ihre Väter gebunden sind und nicht so sicher an ihre Mütter. Es hängt nicht vom Stillen ab. Das Stillen ist eine Möglichkeit, wie Bindung entstehen kann, auch weil da das Hormon Oxytocin ausgeschüttet wird, das die Bindung fördert. Aber beim Körperkontakt, beim Halten und Tragen des Babys, wird dieses Hormon auch ausgeschüttet. Deshalb gibt es Väter, die eine sehr sichere Bindung zu den Kindern haben. Wir haben festgestellt, dass Väter, die an unserem Ausbildungsprogramm „SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern“am Dr. von Haunerschen Kinderspital an der Uni München teilgenommen haben, zu 84 Prozent eine sichere Bindung zu ihren Kindern entwickelt haben. In Vergleichsstudien sind das nur 48 Prozent.
SN: Inwiefern ändert sich die Bindung an die Eltern im Lauf der Jahre?
Im Säuglings- und Kleinkindalter sind die Kinder in der Regel, wenn sie Angst und Not haben, aktiv darauf angewiesen, dass eine Bindungsperson da ist. Wenn wir erwachsen sind, haben wir die Bindungserfahrungen verinnerlicht, wir können uns dann selbst trösten, indem wir uns denken: Wie wäre es, wenn die Bindungsperson jetzt da wäre? Es braucht dann die reale Person nicht mehr. Wenn wir an die verinnerlichte Bindungserfahrung denken, können wir uns selbst mehr oder weniger beruhigen.
SN: Geht mit der Pubertät, in der sich Kinder von den Eltern abgrenzen, die alte Elternbindung zu Ende?
Nein. Kinder in der Pubertät haben die Bindungserfahrung ja bereits verinnerlicht. Sie wollen sich in der Pubertät ablösen und altersgerecht in die Welt hinausgehen. Sie brauchen trotzdem die Möglichkeit, dass sie auf eine Bindungsperson zurückgreifen, wenn alles schiefgeht. Manches lösen Jugendliche dann aber auch mit Gleichaltrigen. Sie suchen dann die Sicherheit in der Gruppe. Die Gruppenbindung hilft ihnen
auch auf dem Weg, sich loszulösen. Der Kinder- und Jugendpsychiater und Bindungsforscher Karl Heinz Brisch hat den ersten Lehrstuhl für „Early Life Care“inne und ist Leiter des gleichnamigen Forschungsinstituts an der PMU Salzburg. Vortrag: Wie wichtig die Bindung in den ersten Lebensjahren ist, erläutert Karl Heinz Brisch bei einem Vortrag im SN-Saal. Do., 24. 10. 2019, 19.30 Uhr, SN-Saal, Karolingerstraße 40. Eintritt: 10 Euro. Reservierung erbeten: WWW.SN.AT/RESERVIERUNG oder telefonisch: 0662-8373-222.