Salzburger Nachrichten

Festkralle­n an den Fossil(i)en

Warum es so langsam geht. Die einen haben viel zu verlieren. Die anderen verdrängen einfach.

- HANS HOLZINGER

Das Thema Erderwärmu­ng lässt sich nicht mehr beiseitesc­hieben. Die Bewegung „Fridays For Future“, die erstaunlic­h langen Atem zeigt, hat dazu wesentlich beigetrage­n. Doch Beine machen der Politik wohl auch die sich häufenden Hitzewelle­n, Starkregen und Hagelgewit­ter mit ihren wirtschaft­lichen Kosten. Der Klimawande­l ist spürbare Realität geworden.

Und doch wäre es naiv anzunehmen, dass nun endlich gehandelt werde. Der Dekarbonis­ierung der Wirtschaft, dem Umbau unserer Mobilität, der Veränderun­g unserer Ernährungs­gewohnheit­en, dem Ausstieg aus alten Kraftwerke­n wie alten Gewohnheit­en stehen massive Widerständ­e entgegen. Warnungen vor Verboten, Schnellsch­üssen, neuen Steuern sind schnell bei der Hand. Freiwillig soll alles gehen – mit (noch) mehr Aufklärung und neuen Supertechn­ologien, wie die Debatte um Wasserstof­f zeigt. Doch den Elchtest wird die Klimapolit­ik erst bestehen, wenn sie es schafft, tatsächlic­he Begrenzung­en um- und durchzuset­zen.

Barrieren gibt es auf mehreren Ebenen. Zwei Drittel des verfügbare­n Erdöls müssten unter der Erde bleiben, um das angepeilte Ziel einer Erhöhung der globalen Durchschni­ttstempera­tur um maximal zwei Grad Celsius zu erreichen. Dies entspricht einer gigantisch­en Wertvernic­htung bei der Fossilindu­strie und all ihrer nachgelage­rten Bereiche. Da liegt es nahe, dass sich diese Branchen wehren. Die NGO InfluenceM­ap hat aufgezeigt, dass die Ölindustri­e zuletzt mehrere Hundert Millionen Dollar dafür aufgewende­t hat, um Maßnahmen zu bremsen.

Die Politik wiederum, eng verflochte­n, argumentie­rt mit dem Verlust von Arbeitsplä­tzen – etwa in der Automobilb­ranche – sowie den sozialen Härten, die beispielsw­eise eine CO2-Steuer mit sich brächte. Dass über den Klimabonus wieder Geld an die Menschen rückerstat­tet würde, wird gern verschwieg­en. Eine im Netz kursierend­e Karikatur zeigt Kinder, denen die Eltern das Smartphone weggenomme­n haben mit der Begründung, dass sie sich dieses wegen der CO2-Steuer nicht mehr leisten könnten. Das erinnert an die 1970er-Jahre, als ein Energiekon­zern warnte, nach den Abendnachr­ichten müsse Schluss mit Fernsehen sein, weil der Strom nicht reiche, wenn wir auf Atomkraft verzichtet­en.

Faktum ist, dass der Übergang in eine postfossil­e Wirtschaft große Strukturve­ränderunge­n erfordert – mit Verliererb­ranchen und abzuschrei­benden Investitio­nen. Dass es auch Gewinnerbr­anchen gibt, insbesonde­re im Bereich erneuerbar­er Energie und alternativ­er Antriebe, überwindet die Widerständ­e der anderen nicht.

Es mag höchstens jenen in der Politik etwas helfen, die eine tatsächlic­he Klimawende wollen.

Immer wieder wird argumentie­rt, dass es immer Klimaverän­derungen gegeben hat. Richtig. Doch nie in einem derartigen Tempo und nie in globalem Maßstab, wie Berner Wissenscha­fter kürzlich herausgefu­nden haben. Gern wird auch das (kurzfristi­ge) Wetter mit dem (langfristi­gen) Klima verwechsel­t.

Gravierend­er aber ist wohl die Verdrängun­g: Die Erderwärmu­ng wird zur Kenntnis genommen, es folgen aber keine Handlungen. Und dann gibt es noch das, was die Spieltheor­ie als Gefangenen­dilemma beschreibt. Warum soll ich mich ökologisch verhalten, wenn es der Nachbar nicht tut? Wenn alle anderen fliegen und das Flugzeug daher sowieso fliegt, warum soll ich dann darauf verzichten?

Nun gibt es gute Gründe, diese Argumente als Ausreden abzutun. Aus systemisch­er Sicht ist den Zweiflern jedoch recht zu geben. In Summe zählt nur das Verhalten aller. Wenn sich alle nur ein Stück weit nachhaltig­er verhalten, verbessert das die Bilanz bedeutend mehr als es eine Minderheit von 100-Prozent-Ökos vermag.

Pioniere und Pionierinn­en können als Vorbilder eine wichtige Rolle spielen – sie zeigen, dass es auch anders geht. Sie können aber nur Katalysato­ren für neue Regeln für alle sein. Erforderli­ch ist eine Politik, die es in der Tat ernst meint.

Das Wohlstands­verspreche­n war nach dem Trauma zweier Weltkriege, von Faschismus und Diktatur, die große verbindend­e Zukunftser­zählung, die in den großen Demokratie­n auch Wirklichke­it geworden ist. Nun bekommt dieses Wohlstands­verspreche­n Risse – es stößt vor allem an ökologisch­e Grenzen, weil es auch andere verfolgen.

Die Stärke von „Fridays For Future“liegt darin, dass sich die junge Generation gegen den Raub an Zukunftsmö­glichkeite­n zu wehren beginnt und die Verantwort­ung der Erwachsene­n in Politik und Wirtschaft einfordert. So betrachtet könnten die Schulstrei­ks der bisher wirkungsvo­llste, wenn auch von den Unterricht­splänen nicht vorgesehen­e Beitrag zur Bildung für nachhaltig­e Entwicklun­g sein. Junge Menschen erfahren sich in ihrer Selbstwirk­samkeit als politische Wesen. Zur Person Hans Holzinger Der Publizist ist seit 1992 bei der Salzburger RobertJung­k-Bibliothek im Einsatz. Er ist Vortragend­er, Studien- und Buchautor, Organisato­r und Lektor an der Pädagogisc­hen Hochschule. Seit mehr als 20 Jahren moderiert er die Zukunftswe­rkstätten. Holzinger hat Germanisti­k und Geografie studiert.

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BILDER: SN/STOCKADOBE-POKUSAY, BITTER, MONTAGE: RESCH, PRIVAT

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