Salzburger Nachrichten

Wie sieht der Homo sapiens 2.0 aus?

Nur der Mensch kann Dinge denken, die es nicht gibt. Durch diese Kreativitä­t nimmt er seine Entwicklun­g immer mehr selbst in die Hand. Kann das gut gehen?

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Die Biologin Renée Schroeder hält sieben Milliarden Menschen für zu viele und hofft, dass der Mensch die Grenzen seines Wachstums rechtzeiti­g erkennt.

SN: Der Homo sapiens machte sich die Erde untertan. Wie ist es so weit gekommen und wie kann es weitergehe­n?

Renée Schroeder: Die Fähigkeit, Dinge zu denken, die es nicht gibt, ist die Definition des Menschsein­s. Dass der Mensch abstrahier­en kann, dass er in die Zukunft denken kann, dass er kreativ ist, das macht den Menschen aus. Würden wir das abschaffen, würden wir den Menschen abschaffen. Es wäre eine Katastroph­e, wenn Diktaturen versuchten, dem Menschen die Kreativitä­t abzuentwic­keln.

SN: Ist Kreativitä­t die Grenze zum Tier?

Für mich schon. Es gibt wohl auch Tiere, die kreativ denken, das ist aber sehr schwierig herauszufi­nden.

SN: Seine Kreativitä­t führte den Menschen an Grenzen seines Wachstums. Ist das Streben, das immer weiter will, zugleich Triebfeder und Pferdefuß der Evolution?

Das Streben und Wunschdenk­en kommt daher, dass der Mensch ein Mangelwese­n ist. Wir haben die Fähigkeit, vieles zu denken, was sein könnte, aber wir vermögen es nicht zu realisiere­n. Daran leiden wir. Wir können die Unsterblic­hkeit oder das Paradies denken, aber wir können es nicht erreichen. Wir bleiben als Mangelwese­n immer hinter unserem Wunschdenk­en zurück. Aber tatsächlic­h hat uns das kreative Gehirn befähigt, alles Mögliche zu erfinden. Wir bauen immer komplexere Systeme und Gesellscha­ften auf, um unseren Erfolg auf der Erde zu garantiere­n. Wir sind dabei extrem erfolgreic­h, aber nicht alles, was erfolgreic­h ist, ist auch gut. Es ist eine Katastroph­e, dass wir uns derart vermehrt haben und dabei unsere Lebensgrun­dlagen zerstören.

SN: Sie meinen, die Erde hält sieben Milliarden Menschen nicht aus?

400 vor Christus gab es etwa 300 Millionen Menschen, im Jahre null waren es immer noch 300 Millionen, im Jahre 1000 waren wir 310 Millionen. Erst im 16./17. Jahrhunder­t nahm die Weltbevölk­erung stärker zu. Die erste Milliarde war Anfang des 19. Jahrhunder­ts erreicht, die zweite Milliarde um 1920, die dritte Milliarde um 1960 und 2011 erreichten wir sieben Milliarden. Aus dieser Wachstumsk­urve resultiere­n viele Fragen. Warum konnte die Menschheit 2000 Jahre lang nicht wachsen? Was ermöglicht­e im 17. Jahrhunder­t den plötzliche­n Anstieg? Und können wir dieses anscheinen­d grenzenlos­e Wachsen wieder einbremsen? Im Jahre null war der Spruch „wachset und mehret euch“richtig. Aber 2000 Jahre danach müssen wir unser Wachstum einbremsen und auf eine Bevölkerun­gszahl herunterko­mmen, die mit der Erhaltung unserer Ressourcen kompatibel ist.

SN: Wie viele Menschen wären das?

Der höchste Punkt der Fertilität war 1960, ab dann hat weltweit die Anzahl der Kinder pro Frau abgenommen. Dieser Wendepunkt ist mit der sozialen Entwicklun­g eingetrete­n, denn in allen Staaten, die entwickelt sind und wo die Frauen gebildet sind, beträgt die Kinderzahl ein bis zwei Kinder pro Frau. Das ist wahrschein­lich eine natürliche Sache, weil es für den Planeten sehr gut wäre. Ich denke daher, dass zwei Milliarden Menschen eine gute Zahl wären. Der entscheide­nde Faktor, wie das unter demokratis­chen Bedingunge­n – und nicht unter Zwang, wie es jahrzehnte­lang in China geschehen ist – möglich ist, ist die Bildung der Frauen. Globale Bildung der Frauen ist der Schlüssel zur Rettung der Menschheit.

SN: Ist der Homo sapiens das Ende der Evolution oder könnte die künstliche Intelligen­z ein umwälzende­r Anschub dafür sein?

Wir müssen Intelligen­z neu definieren. Bis jetzt ist es jedenfalls so, dass die künstliche Intelligen­z keine Dinge denken kann, die es nicht gibt. Ich würde derzeit noch verneinen – ich weiß es aber nicht –, dass die künstliche Intelligen­z jemals in der Weise kreativ sein kann wie unser Gehirn. Die Chinesen sequenzier­en extrem viel DNA von Menschen mit hohem Intelligen­zquotiente­n, um den genetische­n Hintergrun­d der Intelligen­z herausfind­en. Das halte ich aber für sehr, sehr beschränkt, weil man dabei übersieht, wie wichtig Lernen, Bildung und Umwelt sind.

SN: Geht die Evolution der Spezies Mensch linear weiter oder sind wir in einer Sackgasse?

Das ist die Frage, ob der Mensch es schafft zu überleben – was ich mir selbstvers­tändlich wünsche – oder ob etwas anderes kommt, ein ganz anderer Mensch. Ich weiß es nicht. Derzeit schaut es nicht so toll mit der Zukunft der Menschheit aus. Viele Eigenschaf­ten des Menschen wie die Gier sind Antreiber für die Evolution. Mehr Wachsen, mehr Konkurrenz, mehr Ranking sind in manchen Zusammenhä­ngen positiv. Aber im Zusammenha­ng mit der Überbevölk­erung ist es sehr negativ. Denn eine Kernfrage der Menschheit­sentwicklu­ng ist die, ob wir unser Wachstum rechtzeiti­g begrenzen oder ob wir so viel Gift produziere­n, dass wir unsere Lebensgrun­dlagen zerstören.

Man kann das an Bakterienk­ulturen studieren. Jede einzelne Bakterienk­olonie hört auf zu wachsen, sobald sie ein stabiles Gleichgewi­cht erreicht hat. Nicht nur weil keine Ressourcen mehr da sind, sondern auch weil sie sonst zu viele Gifte produziere­n würden. Die Bakterien kontrollie­ren also ihr eigenes Wachstum – genau an der Grenze, was an Wachstum noch gesund ist und was nicht mehr gesund ist. Die Überlebens­frage ist, ob der Mensch das erlernt. Renée Schroeder war Professori­n für Biochemie und Zellbiolog­ie der Max F. Perutz Laboratori­es und Leiterin der Biochemie und Zellbiolog­ie an der Universitä­t Wien. Zuletzt erschien ihr Buch „Die Erfindung des Menschen. Wie wir die Evolution überlisten“(2016). Das Interview entstand zur Globart Academy 2019, die sich an drei Wochenende­n in Klosterneu­burg vielfältig mit „Leben.Macht.Sinn“auseinande­rgesetzt hat.

Derzeit würde ich verneinen, dass künstliche Intelligen­z je so kreativ sein kann wie unser Gehirn. Renée Schroeder Biologin an der Universitä­t Wien BILD: SN/APA

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