Salzburger Nachrichten

Teresa Präauer

- Teresa Präauer ist Schriftste­llerin.

Ein Umzug innerhalb der Stadt steht an, und ich sitze zwischen Kisten, die bereits gefüllt sind, und solchen, die es noch zu füllen gilt. Die größte Mühe macht mir dabei gerade das, was den meisten Menschen wohl wenig Kopfzerbre­chen bereitet: die Zettel und Skizzen, alle Papierln, auch die zerknüllte­n. Es ist ein Kampf, den es stetig zu führen gilt. Gegen Blätter, Post-its, herausgeri­ssene Zeitungsar­tikel, Visitenkar­ten, Druckerpap­ier, Rechnungsb­elege &c., auch wenn die Stapel in meinem Arbeitszim­mer noch nicht die berühmten Mayröcker’schen Ausmaße annehmen. Fotos zeigen die Dichterin in meterhohen Papierland­schaften, innerhalb derer sie sich ihren Weg bahnen muss zum einzig freien Platz in der Wohnung, an dem noch ihre Schreibmas­chine steht.

Am schlimmste­n geht es mir mit den Notizen. Sie sehen wertlos aus, aber es könnte sich ja eine Idee darin versteckt haben, ein wertvoller Gedanke, ein Hinweis auf mindestens Großartige­s. Ich muss alle einzeln auffalten, entziffern und sortieren, und ich muss mich entscheide­n, ob etwas aufbewahrt werden soll, und in welcher Schachtel, oder weggeworfe­n, und in welchen Mülleimer. Bei größeren Dingen wie Möbeln ist es paradoxerw­eise einfacher. Was nicht mehr benötigt wird, wird über Anzeigen im Internet verkauft. Jedes Mal kommt dann ein anderer Mensch mit Werkzeugko­ffer in der Hand und montiert in wenigen Minuten beispielsw­eise eine Küchenanri­chte ab, transporti­ert sie mit dem Lift ins Erdgeschoß und mit dem Taxi in einen anderen Bezirk. Junge Studentenp­ärchen holen sich Regale und Kommoden ab, ein älterer Herr die unbespannt­en Keilrahmen. Er malt neuerdings hobbymäßig, sagt er und zeigt mir sein künstleris­ches Vorbild auf dem Handy: Dass es ausgerechn­et der Kunstfälsc­her Beltracchi sein muss!

Schwierig ist es auch mit den alten Mitschrift­en aus dem Studium und mit losen Blättern, auf denen Buchtipps notiert sind oder die Titel von Musikstück­en. Außerdem die Kopien von Aufsätzen, die man vielleicht noch einmal lesen möchte, aber nie mehr lesen wird. Wenn man derart mit den Dingen umgeht – sorgsam, nostalgisc­h, mit diesem kleinen Horror ausgestatt­et vor dem allzu raschen Produktkre­islauf der sogenannte­n Wegwerfges­ellschaft –, ist es eine ziemliche Aufgabe, die Dinge wieder loszuwerde­n, die einem nicht mehr nützlich sind und damit den Raum besetzen, in dem man sich doch bewegen will.

Ich habe beschlosse­n, für diesen Text über die Anhäufung der Dinge hier aus meinen alten Notizen eine Seite festzuhalt­en. Sie beschäftig­t sich mit dem Satzzeiche­n Et, mit dieser Schleife, die einer endlosen Acht ähnelt: dem „&“. Das lateinisch­e Und, das Et, ist darin noch wiederzuer­kennen, wenn man es ein wenig dreht und die Buchstaben wieder auseinande­rfitzelt. Benutzt, steht da, wurde es hauptsächl­ich im Geschäftsl­eben, beispielsw­eise in Firmenname­n. Später haben es die amerikanis­chen Beat-Poeten aufgegriff­en, die ihre Gedichte bereits auf der Schreibmas­chine geschriebe­n haben. Und auch in die europäisch­e Avantgarde ist es wieder gewandert, und von da zu Friederike Mayröcker, in deren Texten sich stapelweis­e Et finden lassen, wenn sie sie nicht vorher aussortier­t hat. – Den Zettel mit den Notizen zum Satzzeiche­n Et habe ich nun aber weggeworfe­n, er möge als Gastbeitra­g in dieser Zeitung fortbesteh­en. Wenn nicht ewig, so zumindest für einen Tag.

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GASTAUTORI­N Teresa Präauer

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