Salzburger Nachrichten

Was ist Autismus?

Um sich für einen Lieblingsc­lub zu entscheide­n, muss er aber zuerst alle Vereine im Stadion erleben.

- Katharina Maier Jason liebt Fußball.

Jason ist anders. Auf seiner eigenen Geburtstag­sfeier bleibt er lieber allein in seinem Zimmer und sortiert die Legosteine nach Farben und Formen, während die Gästekinde­r draußen im Garten spielen. Wenn ihn jemand umarmt oder küsst, fühlt er sich bedrängt. Und wenn die Spaghetti mit der Soße vermischt werden, kann das schnell im Schreikram­pf enden. Jason hat das Asperger-Syndrom, genau wie die Klimaschüt­zerin Greta Thunberg aus Schweden. Asperger ist eine Form von Autismus. Was das ist, lest ihr im Kasten rechts neben dem Bild. Eine große Leidenscha­ft von Jason ist Fußball. Als er sechs Jahre alt war, besuchte er gemeinsam mit seinem Vater und seinem Opa das erste Mal ein Fußballsta­dion. Bayer Leverkusen spielte gegen den FC Valencia in der Champions League. Das spannende Match, das große Stadion, die lauten Fans: All das konnte Jason nicht davon überzeugen, Fan von einer der beiden Mannschaft­en zu werden – oder überhaupt Fußballfan zu werden. Für Jason war das nur logisch, denn wie sollte er Fan von etwas werden, wenn er bis dahin nur zwei Vereine kannte? Und was bedeutet es eigentlich, ein Fan zu sein, wie fühlt sich das an? Entschloss­en wandte sich Jason an seinen Vater Mirco von Juterczenk­a: „Um zu wissen, von welcher Mannschaft ich Fan werden will, muss ich erst alle sehen.“Damit begann ein jahrelange­s Projekt von Vater und Sohn, das die beiden quer durch Europa führte. Und das bis heute. Auf der Suche nach Jasons Lieblingsv­erein besuchen sie so gut wie jedes Wochenende Fußballspi­ele von verschiede­nen Vereinen.

Dabei hat es eine Mannschaft ganz schön schwer, Jason als Fan zu gewinnen: Der künftige Lieblingsv­erein muss jede Menge Bedingunge­n erfüllen. In einem Fernsehint­erview mit dem Hessischen Rundfunk erklärte er zum Beispiel einmal, dass Mannschaft­en, die vor Beginn des Spiels einen Kreis bilden, niemals die Chance hätten, seine Lieblingsm­annschaft zu werden. Ein weiteres Tabu sind Maskottche­n, die als Stofftiere verkleidet auf dem Feld herumrenne­n. „Das geht gar nicht“, sagt Jason.

Es kann also sein, dass Jason nie einen Lieblingsv­erein finden wird. Darum geht es bei den Reisen mit seinem Vater aber auch nicht ausschließ­lich. Seit 2012 fahren sie von einem Stadion zum nächsten. In dieser Zeit haben die beiden viel erlebt und vor allem viel gelernt: Jasons Asperger-Syndrom wird von anderen Menschen oft nicht akzeptiert. Viele wissen nicht, wie sie mit ihm umgehen sollen.

Die hartnäckig­e Suche nach dem Lieblingsv­erein brachte Jason und seinem Vater viel Aufmerksam­keit. Die nutzen sie, um über Autismus aufzukläre­n. Ihre Erlebnisse aus dem Fußballsta­dion haben sie in ihrem Buch „Wir Wochenendr­ebellen“aufgeschri­eben. Außerdem betreiben die beiden einen Podcast namens „Radiorebel­l“. Jason und sein Vater wollen zeigen, dass man unter Autismus nicht leiden muss, sondern dass es auch Vorteile haben kann, autistisch zu sein. Eine „Heilung“käme für Jason ohnehin nicht infrage, wie er im Buch beschreibt: „Gäbe es ein Medikament, mit dem man das AspergerSy­ndrom heilen könnte, müsste ich nicht lange überlegen, um zum Schluss zu kommen, es nicht zu nehmen.“

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BILD: SN/SABRINA NAGEL Jason und Mirco von Juterczenk­a reisen seit Jahren von einem Fußballpla­tz zum nächsten. Sie sind auf der Suche nach Jasons Lieblingsm­annschaft.

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