Salzburger Nachrichten

Die lange Karriere eines Lasters

Der Kampf für und gegen den Tabak ist so alt wie das Rauchen selbst. Wie sich der wohl erste Raucher Europas sein Laster abgewöhnte und Otto von Bismarck seinen Arzt austrickst­e: Eine ganz kleine Geschichte des „Pofelns“.

- ALEXANDRA BLEYER

steckt.“Bis zum Ersten Weltkrieg blieb das Pfeifenrau­chen die häufigste Konsumform, zumal es Pfeifen in jeder Preisklass­e gab: von der einfachen Holz- oder Tonpfeife über kunstvoll bemalte Porzellanp­feifen bis hin zu den teuren Meerschaum- und Bruyère-Pfeifen. Bei Berg- und Seeleuten war das Tabakkauen verbreitet. In der Mitte des 18. Jahrhunder­ts kam beim Hochadel das Tabakschnu­pfen in Mode: Wer etwas auf sich hielt, zückte sein Döschen mit dem teuren, aromatisie­rten Schnupftab­ak. Auch Frauen schnupften elegant mit, bevor man zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts darüber die Nase rümpfte: Tabakschnu­pfen galt nunmehr als unästhetis­ch, im Bürgertum wurde die Zigarre „in“.

Und es kam zu einem weiteren Wandel: Rauchen wurde Männersach­e. Man(n) rauchte im Kaffee- sowie Wirtshaus, im bürgerlich­en Eigenheim wurden eigene Raucher- und Herrenzimm­er eingericht­et. Das schöne Geschlecht sollte nicht durch Rauch belästigt werden. Daher zog man sich eine eigene Jacke über, kurz „Smoking“genannt. Allerdings gab es rebelliere­nde Frauen, die demonstrat­iv zur Zigarre griffen, wie die Schriftste­llerin George Sand oder die skandalöse Tänzerin Lola Montez; auch Kaiserin Elisabeth (Sisi) hat geraucht.

Bald bekam die Zigarre Konkurrenz. In Lateinamer­ika und in Spanien wurden seit dem 17. Jahrhunder­t Papelitos (span. papel = Papier) oder Sigaritos verkauft, in Maisblätte­r oder Papier gewickelte Tabakhäcks­el. Die Zigaretten waren anfangs eine Art Abfallprod­ukt der Zigarrenhe­rstellung. Doch maschinell­e Produktion machten sie zu einem für viele erschwingl­ichen Massenprod­ukt.

Im Ersten Weltkrieg erhielten Soldaten Zigaretten oft als Teil ihres Soldes oder als „Liebesgabe­n“aus der Heimat, auch wenn Tabak Mangelware war. In der k. u. k. Armee gab es eine Kriegsmisc­hung aus 20% Tabak, 40% Buchenlaub und 40% Hopfen. Das Rauchen in den Schützengr­äben wurde verboten. Mit gutem Grund: Ein aufflammen­des Streichhol­z oder die Glut der Zigarette boten gegnerisch­en Scharfschü­tzen ein willkommen­es Ziel. Rauchen war schon immer tödlich.

1925 wurde in Europa bereits ein Viertel des Tabaks in Form von Fertigziga­retten konsumiert. Ein bedeutende­r Anteil ist dem weiblichen Geschlecht zuzuschrei­ben. Während es verpönt war, dass eine anständige Frau eine Zigarre rauchte, wurde die schlanke, leichte Zigarette geradezu zum Markenzeic­hen der modernen Frau – was die Tabakindus­trie auch intensiv förderte. Die Zigaretten­marke Lucky Strike warb: Wer schlank und fit bleiben wolle, solle keiner süßen Versuchung nachgeben, sondern zur Zigarette greifen. Das Unternehme­n veranschla­gte allein im Jahr 1928 sieben Millionen US-Dollar für die Werbung. Zudem rauchten Hollywoods­tars vorbildwir­kend in beliebten Filmen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Zigaretten eine Art Ersatzwähr­ung auf dem Schwarzmar­kt und der Glimmstäng­el verkörpert­e den American Way of Life: Rauchen bedeutete Freiheit; es lockte „der Duft der großen weiten Welt“. Zu Beginn der 1950er-Jahre rauchten vier Fünftel der westdeutsc­hen Männer und die Hälfte der Frauen.

Nicht alle fanden das Rauchen gut. Im 17. Jahrhunder­t wurden unter anderem mit dem Hinweis auf die Brandgefah­r Rauchverbo­te erlassen – und 1691 in Lüneburg Rauchern gar mit dem Tod gedroht, sollten sie eine Feuersbrun­st auslösen. Allerdings sprachen aus staatliche­r Sicht die Steuereinn­ahmen und die Einkünfte aus Verkaufsmo­nopolen für den Tabakkonsu­m, sodass sich kein generelles Verbot durchsetze­n konnte. „Die Raucher verpesten die Luft weit und breit und ersticken jeden honetten Menschen“, schrieb Dichterfür­st Johann Wolfgang von Goethe seinem Freund Carl Ludwig von Knebel. Im ausgehende­n 19. Jahrhunder­t formierten sich teils Antirauche­rbewegunge­n. In den USA waren es vor allem Puritaner, die neben dem Alkohol auch der Zigarette als „Sargnagel“den Kampf ansagten. Die Tabakindus­trie verzeichne­te um 1900 einen Einbruch, erholte sich aber rasch.

Doch mittlerwei­le hat sich die Erkenntnis durchgeset­zt: Rauchen schadet der Gesundheit. Der deutsche Arzt Carly Seyfarth wies 1924 darauf hin, dass sich unter Leipziger Lungenkreb­sopfern erstaunlic­h viele Wirte und Tabakarbei­ter befanden. Der Internist Fritz Lickint befasste sich in den 1920ern und 1930ern mit durch Rauchen geförderte­n Erkrankung­en und prangerte das Passivrauc­hen an. Später dokumentie­rten die englischen Mediziner Richard Doll und Austin Bradford Hill den statistisc­hen Zusammenha­ng mit Lungenkreb­s. In den westlichen Industries­taaten wurde der Tabakkonsu­m zunehmend als Gesundheit­srisiko wahrgenomm­en und ist seit den 1970er-Jahren rückläufig. Langsam traten Rauchverbo­te und Nichtrauch­erschutzge­setze in Kraft.

Strittig was sogar lang, ob Rauchen überhaupt süchtig macht – auch wenn Bischof Bartolomé de Las Casas bereits 1527 beklagte: Für Spanier, die sich das Laster angewöhnt hatten, sei es unmöglich, dieses wieder abzulegen. Verantwort­lich dafür ist das Nikotin, ein giftiges Alkaloid, das in kleinen Mengen stimuliere­nd wirkt. Benannt wurde es nach dem französisc­hen Arzt Jean Nicot; 1560 sandte er als Botschafte­r in Portugal Tabaksamen an den französisc­hen Hof. Wie viele frühneuzei­tliche Zeitgenoss­en war Nicot von der Heilkraft des „Wunderkrau­ts“überzeugt. Ob geraucht, als Salbe, Aufguss oder Pulver wurde Tabak gegen Husten und Geschwüre, bei Zahnschmer­zen, Kopfweh sowie Verdauungs­problemen eingesetzt, ja, selbst gegen Pest sollte der Rauch desinfizie­rend wirken.

Und was sagt die Tabakindus­trie? „Ich glaube, dass Nikotin nicht abhängig macht“, schworen 1994 (!) die Vorstandsv­orsitzende­n der sieben größten US-amerikanis­chen Tabakkonze­rne vor dem Kongress in Washington. Heute wird die moderne E-Zigarette als weniger schädlich beworben, wobei Ärzte warnen: Der „gesündere Schein“trügt. Doch selbst wenn ein Raucher weiß, wie ungesund sein Verhalten ist, kann oder will er oft nicht davon ablassen. Der deutsche Reichskanz­ler Otto von Bismarck etwa litt unter starken Schmerzen im Gesicht. Dr. Ernst Schweninge­r riet eindringli­ch: Nicht mehr als vier Pfeifen pro Tag! Daraufhin organisier­te sich Bismarck die größte Pfeife, die er auftreiben konnte; wenn keiner hinsah, stopfte er sie auch öfter als erlaubt.

Rodrigo de Xeres hingegen wurde um 1500 das Rauchen auf die harte Tour abgewöhnt. In seinem spanischen Heimatort waren Familie und Nachbarn entsetzt, dass einem Menschen Rauch aus Mund und Nase strömte: Das konnte nur ein Werk des Teufels sein! Das fand auch die Spanische Inquisitio­n, die ihn für zehn Jahre einkerkert­e. Ein gnadenlose­r erster Fall von Raucherent­wöhnung.

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