Die lange Karriere eines Lasters
Der Kampf für und gegen den Tabak ist so alt wie das Rauchen selbst. Wie sich der wohl erste Raucher Europas sein Laster abgewöhnte und Otto von Bismarck seinen Arzt austrickste: Eine ganz kleine Geschichte des „Pofelns“.
steckt.“Bis zum Ersten Weltkrieg blieb das Pfeifenrauchen die häufigste Konsumform, zumal es Pfeifen in jeder Preisklasse gab: von der einfachen Holz- oder Tonpfeife über kunstvoll bemalte Porzellanpfeifen bis hin zu den teuren Meerschaum- und Bruyère-Pfeifen. Bei Berg- und Seeleuten war das Tabakkauen verbreitet. In der Mitte des 18. Jahrhunderts kam beim Hochadel das Tabakschnupfen in Mode: Wer etwas auf sich hielt, zückte sein Döschen mit dem teuren, aromatisierten Schnupftabak. Auch Frauen schnupften elegant mit, bevor man zu Beginn des 19. Jahrhunderts darüber die Nase rümpfte: Tabakschnupfen galt nunmehr als unästhetisch, im Bürgertum wurde die Zigarre „in“.
Und es kam zu einem weiteren Wandel: Rauchen wurde Männersache. Man(n) rauchte im Kaffee- sowie Wirtshaus, im bürgerlichen Eigenheim wurden eigene Raucher- und Herrenzimmer eingerichtet. Das schöne Geschlecht sollte nicht durch Rauch belästigt werden. Daher zog man sich eine eigene Jacke über, kurz „Smoking“genannt. Allerdings gab es rebellierende Frauen, die demonstrativ zur Zigarre griffen, wie die Schriftstellerin George Sand oder die skandalöse Tänzerin Lola Montez; auch Kaiserin Elisabeth (Sisi) hat geraucht.
Bald bekam die Zigarre Konkurrenz. In Lateinamerika und in Spanien wurden seit dem 17. Jahrhundert Papelitos (span. papel = Papier) oder Sigaritos verkauft, in Maisblätter oder Papier gewickelte Tabakhäcksel. Die Zigaretten waren anfangs eine Art Abfallprodukt der Zigarrenherstellung. Doch maschinelle Produktion machten sie zu einem für viele erschwinglichen Massenprodukt.
Im Ersten Weltkrieg erhielten Soldaten Zigaretten oft als Teil ihres Soldes oder als „Liebesgaben“aus der Heimat, auch wenn Tabak Mangelware war. In der k. u. k. Armee gab es eine Kriegsmischung aus 20% Tabak, 40% Buchenlaub und 40% Hopfen. Das Rauchen in den Schützengräben wurde verboten. Mit gutem Grund: Ein aufflammendes Streichholz oder die Glut der Zigarette boten gegnerischen Scharfschützen ein willkommenes Ziel. Rauchen war schon immer tödlich.
1925 wurde in Europa bereits ein Viertel des Tabaks in Form von Fertigzigaretten konsumiert. Ein bedeutender Anteil ist dem weiblichen Geschlecht zuzuschreiben. Während es verpönt war, dass eine anständige Frau eine Zigarre rauchte, wurde die schlanke, leichte Zigarette geradezu zum Markenzeichen der modernen Frau – was die Tabakindustrie auch intensiv förderte. Die Zigarettenmarke Lucky Strike warb: Wer schlank und fit bleiben wolle, solle keiner süßen Versuchung nachgeben, sondern zur Zigarette greifen. Das Unternehmen veranschlagte allein im Jahr 1928 sieben Millionen US-Dollar für die Werbung. Zudem rauchten Hollywoodstars vorbildwirkend in beliebten Filmen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Zigaretten eine Art Ersatzwährung auf dem Schwarzmarkt und der Glimmstängel verkörperte den American Way of Life: Rauchen bedeutete Freiheit; es lockte „der Duft der großen weiten Welt“. Zu Beginn der 1950er-Jahre rauchten vier Fünftel der westdeutschen Männer und die Hälfte der Frauen.
Nicht alle fanden das Rauchen gut. Im 17. Jahrhundert wurden unter anderem mit dem Hinweis auf die Brandgefahr Rauchverbote erlassen – und 1691 in Lüneburg Rauchern gar mit dem Tod gedroht, sollten sie eine Feuersbrunst auslösen. Allerdings sprachen aus staatlicher Sicht die Steuereinnahmen und die Einkünfte aus Verkaufsmonopolen für den Tabakkonsum, sodass sich kein generelles Verbot durchsetzen konnte. „Die Raucher verpesten die Luft weit und breit und ersticken jeden honetten Menschen“, schrieb Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe seinem Freund Carl Ludwig von Knebel. Im ausgehenden 19. Jahrhundert formierten sich teils Antiraucherbewegungen. In den USA waren es vor allem Puritaner, die neben dem Alkohol auch der Zigarette als „Sargnagel“den Kampf ansagten. Die Tabakindustrie verzeichnete um 1900 einen Einbruch, erholte sich aber rasch.
Doch mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt: Rauchen schadet der Gesundheit. Der deutsche Arzt Carly Seyfarth wies 1924 darauf hin, dass sich unter Leipziger Lungenkrebsopfern erstaunlich viele Wirte und Tabakarbeiter befanden. Der Internist Fritz Lickint befasste sich in den 1920ern und 1930ern mit durch Rauchen geförderten Erkrankungen und prangerte das Passivrauchen an. Später dokumentierten die englischen Mediziner Richard Doll und Austin Bradford Hill den statistischen Zusammenhang mit Lungenkrebs. In den westlichen Industriestaaten wurde der Tabakkonsum zunehmend als Gesundheitsrisiko wahrgenommen und ist seit den 1970er-Jahren rückläufig. Langsam traten Rauchverbote und Nichtraucherschutzgesetze in Kraft.
Strittig was sogar lang, ob Rauchen überhaupt süchtig macht – auch wenn Bischof Bartolomé de Las Casas bereits 1527 beklagte: Für Spanier, die sich das Laster angewöhnt hatten, sei es unmöglich, dieses wieder abzulegen. Verantwortlich dafür ist das Nikotin, ein giftiges Alkaloid, das in kleinen Mengen stimulierend wirkt. Benannt wurde es nach dem französischen Arzt Jean Nicot; 1560 sandte er als Botschafter in Portugal Tabaksamen an den französischen Hof. Wie viele frühneuzeitliche Zeitgenossen war Nicot von der Heilkraft des „Wunderkrauts“überzeugt. Ob geraucht, als Salbe, Aufguss oder Pulver wurde Tabak gegen Husten und Geschwüre, bei Zahnschmerzen, Kopfweh sowie Verdauungsproblemen eingesetzt, ja, selbst gegen Pest sollte der Rauch desinfizierend wirken.
Und was sagt die Tabakindustrie? „Ich glaube, dass Nikotin nicht abhängig macht“, schworen 1994 (!) die Vorstandsvorsitzenden der sieben größten US-amerikanischen Tabakkonzerne vor dem Kongress in Washington. Heute wird die moderne E-Zigarette als weniger schädlich beworben, wobei Ärzte warnen: Der „gesündere Schein“trügt. Doch selbst wenn ein Raucher weiß, wie ungesund sein Verhalten ist, kann oder will er oft nicht davon ablassen. Der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck etwa litt unter starken Schmerzen im Gesicht. Dr. Ernst Schweninger riet eindringlich: Nicht mehr als vier Pfeifen pro Tag! Daraufhin organisierte sich Bismarck die größte Pfeife, die er auftreiben konnte; wenn keiner hinsah, stopfte er sie auch öfter als erlaubt.
Rodrigo de Xeres hingegen wurde um 1500 das Rauchen auf die harte Tour abgewöhnt. In seinem spanischen Heimatort waren Familie und Nachbarn entsetzt, dass einem Menschen Rauch aus Mund und Nase strömte: Das konnte nur ein Werk des Teufels sein! Das fand auch die Spanische Inquisition, die ihn für zehn Jahre einkerkerte. Ein gnadenloser erster Fall von Raucherentwöhnung.