Türkis-Grün braucht Aufbruchstimmung
Wollen Sebastian Kurz und Werner Kogler erfolgreich sein, müssen sie ihr Projekt zum Schillern bringen.
Dass die Koalitionsverhandlungen drei Monate nach der Nationalratswahl endlich in die Zielgerade biegen, ist eine gute Nachricht. Denn bei allem Respekt für das Kabinett Bierlein: Die regierungspolitiklose Zeit hat lange genug gedauert. Seit Mai ist viel liegen geblieben, es ist jede Menge zu tun.
Ob und wie die neue Regierung die offenen Fragen anpacken wird, weiß man noch nicht. ÖVP und Grüne halten sich weiterhin mit bewundernswerter Konsequenz an ihr Schweigegelübde. Das spricht einerseits für die Disziplin der Verhandler und die Ernsthaftigkeit ihres Bemühens. Es überlässt aber andererseits den Skeptikern und Unkenrufern das Feld.
Von allen Seiten ist derzeit zu hören, wie schrecklich die neue Regierung sein wird. Von rechts heißt es, die ÖVP sei drauf und dran, ihre Seele an die Grünen zu verkaufen und mit einem neuen Linkskurs ins Verderben zu rennen. Und von links hört man spiegelbildlich genau die gleiche Kritik an den Grünen. In den diversen Foren ist Skepsis, mitunter sogar Furcht vor der neuen Regierung zu spüren.
Nun ist es bei Weitem nicht das Wichtigste, was in den sogenannten sozialen und oft genug extrem unsozialen Medien verbreitet wird. Dennoch birgt es für das türkis-grüne Projekt eine gewisse Gefahr. Denn eine neue Regierung muss mit Freude und Elan starten. Das Tempo muss speziell am Anfang hoch sein. In den folgenden Mühen der Ebene geht es ohnehin noch früh genug verloren.
Das eigentümliche Nichts, das diese Koalitionsverhandlungen umgab und selbst nach der Grundsatzeinigung immer noch umgibt, ist so gesehen kein guter Start. Bis zur Präsentation ihres Paktes sollten sich ÖVP und Grüne dringend überlegen, wie sie eine Aufbruchstimmung, einen Aha-Effekt, eine gewisse Vorfreude im Land erzeugen können.
Koalitionen von Mitte-rechts-Parteien und Grünen hat es in Europa bisher nur ganz wenige gegeben, und sie waren selten erfolgreich. Wollen Sebastian Kurz und Werner Kogler erfolgreicher sein, müssen sie ihr Projekt zum Schillern bringen. Sonst läuft Türkis-Grün Gefahr, das gleiche Schicksal zu erleiden wie die Große Koalition: SPÖ und ÖVP saßen zuletzt nur noch deshalb gemeinsam in der Regierung, um einander am Regieren zu hindern.
Statt sich in Schach zu halten, was unweigerlich zum Stillstand führt, müssen Koalitionsparteien aber ihre Fähigkeiten bündeln, um etwas weiterzubringen und gemeinsam erfolgreich zu sein. Man darf gespannt sein, wie ÖVP und Grüne das schaffen.