Säbelrasseln im Mittelmeer
Der Konflikt zwischen Griechen und Türken um die Bodenschätze und Hoheitszonen im östlichen Mittelmeer spitzt sich gefährlich zu. Der Streit entbrennt auch über eine geplante Pipeline.
ATHEN. Dass türkische Militärjets über ihre Insel fliegen, daran haben sich die 750 Einwohner von Inousses im Laufe der vergangenen Jahre gewöhnt. Aber so oft? Und so tief? „Es häuft sich“, sagt Giorgos Daniil, der Bürgermeister des kleinen Eilands, das zwischen der griechischen Insel Chios und der türkischen Küste liegt. 98 Mal flogen allein am vergangenen Freitag türkische Kampfflugzeuge durch den griechischen Luftraum. In Inousses donnerten türkische Jets in nur 500 Metern Höhe über die Dächer. „Wir haben keine Angst“, sagte Bürgermeister Daniil, „wir wollen friedlich mit unseren Nachbarn zusammenleben.“
Aber wollen das auch die Nachbarn? Seit der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan Ende November in Istanbul mit dem libyschen Ministerpräsidenten Fajis alSarradsch ein Abkommen über die „Abgrenzung der Einflussbereiche auf See“unterschrieb, ist der seit Jahrzehnten zwischen Griechenland
und der Türkei schwelende Konflikt um die Hoheitsrechte und Bodenschätze im östlichen Mittelmeer neu aufgebrochen. Mit dem Abkommen eignet sich die Türkei Meeresgebiete an, die nach internationalem Seerecht zur Wirtschaftszone Griechenlands gehören.
Die EU erklärte, die türkisch-libysche Vereinbarung stehe nicht im Einklang mit dem Seerecht und verletze die Rechte von Drittstaaten. Ankara lässt sich davon nicht beeindrucken. Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu kündigte an, die Türkei werde ihre Gebietsansprüche, wenn nötig, mit militärischer Gewalt durchsetzen.
Es geht nicht nur um die Bodenschätze. Erdoğan will mit dem türkisch-libyschen Abkommen auch die Pläne zum Bau der EastmedErdgaspipeline durchkreuzen, wie er selbst im Staatsfernsehen TRT sagte. Am 2. Jänner wollen die Regierungschefs von Israel, Zypern und Griechenland in Athen ein Abkommen über eine Fernleitung unterzeichnen, die in Wassertiefen von bis zu 3000 Metern verlaufen soll und damit die tiefste Unterwasserpipeline der Welt überhaupt wird. Über eine Distanz von 2100 Kilometern soll die Pipeline Erdgas aus den Fördergebieten im östlichen Mittelmeer nach Italien und von dort nach Nordeuropa bringen. Die USA unterstützen das EastmedProjekt, weil es Europa unabhängiger von russischen Gaslieferungen machen soll. Und auch die EU fördert das Projekt. Brüssel hat für die Planung 34,5 Millionen Euro bereitgestellt. Die Türkei fürchtet aber wegen des Projekts um ihre Rolle als Transitland für Gaslieferungen aus Russland und Mittelasien nach Europa.
Vor Kreta oder Kastelorizo könnte es nun zum Showdown kommen. Erdoğan kündigte in einem Interview Gasexplorationen bei beiden griechischen Inseln an. Es dürfte nur eine Frage weniger Wochen sein, bis die Türkei in den umstrittenen Seegebieten mit Forschungsund Bohrschiffen aufkreuzt. Wahrscheinlich ist, dass Erdoğan ein Forschungsschiff von Einheiten der Kriegsmarine, vielleicht auch von Kampfjets eskortieren lässt. Dann bekäme die Konfrontation eine gefährliche Dimension.
Athen setzt vorerst auf diplomatische Initiativen. Die Türkei sei mit ihren Gebietsansprüchen international isoliert, sagt Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis. Man glaube nicht, dass die Entwicklung „außer Kontrolle“geraten werde, heißt es im Umfeld des Premiers.
Wie schnell eine solche Krise eine gefährliche Eigendynamik entwickeln kann, zeigte sich Ende Jänner 1996 beim Streit um die von der Türkei beanspruchten Imia-Felseninseln. Auf dem Höhepunkt der Konfrontation lagen sich vor den Inseln 15 griechische und 18 türkische Kriegsschiffe gefechtsbereit gegenüber. Erst in letzter Minute konnte der damalige US-Präsident Bill Clinton in nächtlichen Telefonaten mit Ankara und Athen den Konflikt entschärfen.