Salzburger Nachrichten

Erdo˘gan will in Syrien 140 Dörfer für Flüchtling­e bauen

Die Türkei sucht dafür internatio­nale Geldgeber. Menschenre­chtsgruppe­n befürchten einen Eingriff in ethnische Strukturen.

- Recep Tayyip Erdoğan

ANKARA. Es ist ein gigantisch­es Vorhaben: Zehn Städte will der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan in Nordsyrien wieder aufbauen oder neu errichten, 140 Dörfer anlegen. Geplant sind Wohnungen, Moscheen, Schulen und Kliniken – eine neue Heimat für eine Million syrische Flüchtling­e, die sich jetzt noch in der Türkei aufhalten.

Nach eigenen Angaben beherbergt die Türkei 3,7 Millionen Flüchtling­e aus dem Nachbarlan­d, mehr als jeder andere Staat. Geschätzt 26 Milliarden Euro soll das Umsiedlung­sprojekt kosten. Seit Monaten propagiert Erdoğan seinen Plan einer „Schutzzone“in einem 3600 Quadratkil­ometer großen Gebiet Nordsyrien­s, das die türkische Armee im Oktober besetzte. Zuletzt warb Erdoğan beim UNO-Flüchtling­sforum in Genf für seinen Plan – und beklagte den Mangel an internatio­naler Unterstütz­ung: „Wenn wir von einer Schutzzone sprechen, sagen alle: Wie schön. Wenn wir sagen, unterstütz­t uns, dann lächeln jene nur, die das meiste Geld haben.“

Dass es keine große Begeisteru­ng für Erdoğans Vorhaben gibt, überrascht nicht. Die türkische SyrienInva­sion ist nach Auffassung fast aller namhaften Juristen völkerrech­tswidrig. Wenn sich ausländisc­he Regierunge­n oder Organisati­onen wie die UNO an der Finanzieru­ng der geplanten „Schutzzone“beteiligte­n, würden sie damit zugleich die Besetzung Nordsyrien­s durch die Türkei legitimier­en.

Menschenre­chtsgruppe­n warnen, Erdoğan plane unter dem Deckmantel der Flüchtling­shilfe einen Eingriff in die ethnischen Strukturen der Region, die bis zur türkischen Invasion zu einem großen Teil von Kurden bewohnt war. Der Einmarsch hatte das erklärte Ziel, die Kurdenmili­zen der YPG aus der Grenzregio­n zu vertreiben. Die Türkei sieht in der YPG einen Ableger der verbotenen Terrororga­nisation PKK und eine Gefahr für ihre Sicherheit. Mit der Ansiedlung ethnisch arabischer Flüchtling­e könnte die Türkei die Bevölkerun­gsstruktur­en dauerhaft verändern. Auch UNO-Generalsek­retär António Guterres, dem Erdoğan seinen Plan bereits Anfang November erläuterte, zeigte sich zurückhalt­end: Wichtig sei, „dass Flüchtling­e freiwillig, sicher und in Würde zurückkehr­en“. Nach Erdoğans Angaben sind bereits 371.000 Flüchtling­e in syrische Gebiete zurückgeke­hrt, die von der Türkei kontrollie­rt werden. Ob sie alle freiwillig gingen, ist aber strittig. Menschenre­chtsorgani­sationen berichten jedenfalls immer wieder von Deportatio­nen. Trotz der weitverbre­iteten Skepsis im Ausland will Erdoğan an seinem Umsiedlung­splan festhalten. Und er macht Druck: Seit Wochen droht er, „die Grenztore“zu öffnen und Millionen Migranten nach Europa zu schicken, wenn er keine finanziell­e Unterstütz­ung für seine Schutzzone bekommt.

Dass dies keine leeren Drohungen sind, merken die Griechen. Immer mehr Migranten kommen aus der Türkei über die Ägäis. Seit Anfang Oktober haben sich die Zahlen gegenüber dem Vorjahr fast verdreifac­ht. Im November kamen sogar fast vier Mal so viele wie vor einem Jahr. Noch im April warteten auf den Ägäisinsel­n rund 14.000 Migranten auf Asylbesche­ide. Jetzt hausen mehr als 41.500 Menschen in den Auffanglag­ern auf den Ägäisinsel­n, die offiziell nur Schlafplät­ze für 8800 Menschen haben. Und der Andrang wächst: Zuletzt kamen innerhalb von drei Tagen über 1000 Migranten aus der Türkei.

„Wenn wir von einer Schutzzone sprechen, sagen alle: Wie schön.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria