„Ich passe die Welt an meine Musik an“
Alma Deutscher ist 14 Jahre alt, Fan von Greta Thunberg und weltweit gefeierte Komponistin. Derzeit schreibt sie an einer Oper für Salzburg.
2019 war ein arbeitsreiches Jahr für Alma Deutscher. Die gebürtige Britin, die seit zwei Jahren in Wien lebt, hat ihr Debüt an der Carnegie Hall in New York gefeiert. Ihren „Sirenenklänge-Walzer“, mit dem die 14-Jährige Anfang Dezember an der Carnegie Hall gefeiert wurde, präsentiert Alma Deutscher zu Silvester im Großen Festspielhaus. Mit Mozarts Geburtsstadt verbindet Alma Deutscher künftig mehr, wie sie im SN-Interview verrät: Das Salzburger Landestheater hat eine Oper in Auftrag gegeben, die 2022 Uraufführung feiern soll.
SN: Sie feiern zu Silvester Ihr Salzburg-Debüt. Die Stadt des großen Wunderkindes Wolfgang Amadé Mozart ist Ihnen aber nicht fremd. Alma Deutscher: Ich war schon sehr oft in Salzburg. Eine meiner frühesten musikalischen Erinnerungen ist eng mit Salzburg verbunden. Ich war drei Jahre alt und habe „Die Zauberflöte“im Großen Festspielhaus gesehen. Ich kann mich gut erinnern, dass ich ganz überwältigt von der Musik und von den Kostümen war. Ich kann mich noch an das schöne orange Kleid von Pamina erinnern. Das war das erste Mal, dass ich eine Oper auf der Bühne gesehen habe. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, dass ich jetzt mit dem Mozarteumorchester auf dieser Bühne spielen darf. Ich habe auch schon einmal auf Mozarts Geige in seinem Geburtshaus gespielt.
SN: Das heißt, Sie haben auch seit Ihrer frühesten Kindheit eine Verbindung zu Mozart. Er ist einer meiner Lieblingskomponisten. Ich liebe Mozart. Es ist auch wunderbar, dass wir jetzt, weil wir in Wien wohnen, mit dem Auto nach Salzburg fahren können, dass es so nah ist. Salzburg ist für mich eine Zauberstadt.
SN: Ist Mozart ein Vorbild für Sie? Ja, natürlich. Wäre Mozart heute noch am Leben, würde ich gern Unterricht bei ihm nehmen. Wenn ich Mozarts Stücke spiele oder höre, ist es wie meine Muttersprache. Wenn er eine ungewöhnliche Modulation an einer bestimmten Stelle anfängt, verstehe ich, warum, und sage mir: Aha, er wollte jetzt zurück zu B-Dur, wusste aber nicht, wie er dorthin kommt, und musste einen Umweg gehen. Wenn ich eines seiner Werke vom Blatt lese, weiß ich meist, was kommen wird.
SN: Orientieren Sie sich auch an seinem Kompositionsstil? Ich versuche weder einen bestimmen Stil zu kopieren noch zu vermeiden. An dieser Frage bin ich nicht so interessiert, ich forsche nicht über die Sprache der Musik. Was ich versuche, ist eine interessante, schöne oder spannende Geschichte durch Musik zu erzählen. Würde ich einen Roman schreiben, würde ich ja auch keine neue Sprache erfinden, sondern versuchen, eine Geschichte auf Englisch oder Deutsch zu erzählen.
SN: Mozart hat bekanntlich die Inspiration direkt auf das Papier gebracht. Wie gehen Sie an die Komposition heran? Eigentlich komponiere ich alles in meinem Kopf. Wenn ich alles in meinem Kopf fertig habe, dann schreibe ich es auf. Ich kann die ganze Harmonie, jede Stimme in meiner Fantasie hören. Ich glaube, bei Mozart haben die Leute auch eine falsche Idee, wenn sie glauben, er habe an seinen Kompositionen überhaupt nicht gearbeitet. Es war nur so, dass er im Kopf gearbeitet hat, und nicht auf Papier.
SN: Sie sind 14 Jahre alt und komponieren bereits seit zehn Jahren. Was hat sich verändert? Wenn ich die Stücke ansehe, die ich vor einigen Jahren geschrieben habe, dann kommen sie mir manchmal einfacher vor, aber ich mag sie trotzdem. Mit den Jahren habe ich mich mehr mit Kontrapunkt und der Orchestrierung für größeres Orchester beschäftigt und viel gelernt.
SN: Inspiration finden Sie mitunter auf der Straße. Sie spielen auf meinen „Sirenenklänge-Walzer“an. Als ich zum ersten Mal nach Österreich gekommen bin, ist mir gleich der Klang der Polizeisirene aufgefallen – (sie singt) Ta-Taaa-Ta-Ta-Ta-Ta-Ta-Taaa – und ich habe gleich versucht, diese Sirene als Melodie fortzusetzen. Ich habe versucht, die hässlichen Klänge der Welt in etwas Schöneres zu verwandeln, auch die hupenden Autos oder das Piepsen im Bus, wenn die Türen schließen.
SN: Wenn man sich das Werk anhört, dann haben Sie sich mit Dissonanzen auseinandergesetzt. Wie ist es Ihnen damit gegangen? Mir wurde gesagt, dass die Musik die Hässlichkeit der Welt widerspiegeln muss. Ich nehme den Rat an, mache aber genau das Gegenteil: Anstatt meine Musik an die Welt anzupassen, passe ich die Welt an meine Musik an.
SN: Mit Ihrem Plädoyer für mehr Schönheit und Harmonie in Neuer Musik haben Sie den Unmut des Komponisten Moritz Eggert erregt. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um?
„Wann die Melodien in meinen Kopf springen, kann ich nie sagen.“
Ich habe wirklich kein Interesse daran, mit Leuten zu streiten. Ich kann nur meine Vorstellung von Musik erklären. Oder ich erzähle eine Geschichte: Vorgestern hat mir ein Mann aus den USA geschrieben. Sein Großvater sei einen Tag vor Weihnachten gestorben, nachdem er zehn Jahre lang im Sterben gelegen war. Er hat ihm eine Aufnahme meines „Sirenenklänge-Walzer“vorgespielt, und der Walzer hat ihm ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Das hat ihn in seiner letzten Stunde glücklich gemacht. Ich glaube, das ist die Kraft der Musik – eine erlösende Kraft. Mich selbst transportiert die Musik in eine bessere Welt, wenn ich traurig bin.
SN: Ein anderes Mädchen Ihrer Generation arbeitet an einer besseren Welt: Greta Thunberg. Sind Sie ein Fan? Ja, natürlich. Ich will sogar ein Lied für „Fridays for Future“, komponieren. Ich hatte leider noch nicht die Zeit, selbst am Freitag auf die Straße zu gehen. Aber mit meiner Komposition möchte ich etwas dazu beitragen, dass diese Bewegung noch stärker wird.
SN: Die Diskussion über den Klimawandel hat auch die Klassikszene erreicht. Orchester überlegen, auf Flugreisen zu verzichten oder kürzere Strecken mit dem Zug zurückzulegen. Auch ich möchte nicht die ganze Zeit mit dem Flugzeug reisen. Ich kann mir vorstellen, als Komponistin mehr Zeit zu Hause zu verbringen. Andere Künstler können dann meine Musik interpretieren.
SN: Woran komponieren Sie derzeit? Das Salzburger Landestheater hat mich damit beauftragt, eine neue Oper zu schreiben. Es wird eine romantische Komödie, der vorläufige Titel ist „Des Kaisers neue Walzer“.
SN: Sie können sich also vorstellen, dass Ihre nächste große Oper in Mozarts Geburtsstadt Uraufführung feiert? Das ist mein großer Traum. Das Landestheater ist nicht nur gegenüber von Mozarts Wohnhaus, auch Schikaneder war hier tätig. Ich freue mich sehr darauf. Und im kommenden Jahr wird meine Oper „Cinderella“am Salzburger Landestheater aufgeführt – erstmals in Europa in der vollständigen Fassung.
SN: Werden Sie Ihre neue Oper auch in Salzburg komponieren? Wann die Melodien in meinen Kopf springen, kann ich nie sagen. Das kann in Salzburg sein oder in Wien. Salzburg ist sehr inspirierend. Wenn ich auf der Straße laufe, an Mozarts Wohnhaus vorbei oder im Park von Schloss Leopoldskron: Vielleicht kommt dann die Inspiration, die ich einfließen lasse.