Selbst schuld, wer darauf verzichtet
Ein anekdotischer Stadtführer, ein Stück Kulturgeschichte, Utopien ohne Happy End: Bücher von 2019, die noch ins Gespräch kommen sollten.
Bücher haben Schicksale. Dazu gehört, dass einige ins Gespräch kommen und andere von der breiten Wahrnehmung ausgenommen sind. Das hat nichts mit der Qualität der Texte zu tun, sondern mit der Gschaftlhuberei im Literaturbetrieb, in dem das Bewährte beste Chancen hat. Wer ausschert, wird bestraft, und so bleibt es bei der Feier der ewig gleichen Namen.
Selbst schuld, wenn man glaubt, auf Bianca Kos verzichten zu können. Ihr Debüt ist eine kühne Anekdotensammlung und ein Erlebnisbericht darüber, was einem Menschen widerfährt, wenn er sich für ein Jahr in der ukrainischen Großstadt Charkiw aufhält wie die Erzählerin. Sie unterrichtet Deutsch und findet dabei ausreichend Zeit, sich mit der Stadt und ihren Bewohnern auseinanderzusetzen. Die skurrilen Beschreibungen auf heiter gestimmt leben zum großen Teil vom Kontrast zwischen den Erwartungen
einer, die auf Verlässlichkeit programmiert ist und einem System, in dem gar nichts klappt. Große Politik oder banaler Alltag, Kos macht keinen großen Unterschied zwischen den Ereignissen. Sie benennt, was ihr unterkommt, bleibt bei der Beschreibung der Phänomene, was abenteuerlich genug ist.
Sie kommt auf den Fall der Tochter eines Oligarchen zu sprechen, die „an einer Kreuzung mit Vollgas bei Rot über den Zebrastreifen gerast war und dabei sechs Menschen, darunter drei junge Mädchen, getötet“hatte. Was das bewirkt in der
Gesellschaft und welche Folgen das für die Lenkerin hat, erfährt sie nicht. Sie befindet sich auf politisch heißem Boden, im Osten der Ukraine tobt ein Krieg, das Land wird regiert von einem Diktator. Präsident Poroschenko ist Inhaber der größten Schokoladefabrik des Landes mit dem Namen „Roshen“. Für die Dauer seiner Amtszeit ist die Firma an seine Frau übertragen. Auch das sind europäische Verhältnisse.
Bernd Schuchter verwandelt ein Stück österreichischer Kulturgeschichte in einen Roman. Richard Kola war ein gerissener Geschäftsmann, der nach dem Ersten Weltkrieg groß herauskam. Als Unternehmer hatte er sich ein Imperium aufgebaut, in der Politik war er gefragt als wirtschaftlicher Berater. Der Erfolg war ihm zu wenig, er wollte brillieren als Kulturmensch und gründete einen Verlag, den er zu einem der Bedeutendsten machen wollte. Immerhin konnte er große Namen aufweisen, sogar Thomas Mann gewann er als Autor. Das Unterfangen scheiterte nicht nur am Größenwahn eines Lebemannes, der vom Büchermachen keine Ahnung hatte, sondern auch an den Zeitumständen. Die Wirtschaftskrise machte allen hochtrabenden Plänen ein Ende.
Dass Richard Kola Jude war, kam erschwerend dazu. Dabei wäre er bereit gewesen, um des Gewinns willen schreckliche Deals einzugehen. Hitler hätte im Rikola-Verlag publizieren sollen. Am Ende ist er ein Gefallener, von dem frühere Weggefährten abfallen. Der Roman ist ein Lehrstück darüber, wie Erfolg und Schmeicheleien, Scheitern und Häme einander bedingen.
Wenn Waltraud Mittich in ihrem Roman „Sanpietrini“der „Geografie der Wut“nachspürt, folgt sie den Formen des Widerstands gegen prekäre Lebensverhältnisse. Barbara könnte sich in Rom mit ihrem gesicherten Leben abfinden, lässt sich aber auf große Veränderungen ein. Sie trifft auf den Afghanen Darian, mit dem sie nicht nur eine Beziehung eingeht, er schärft auch ihr politisches Profil. Schon früher ist ihr aufgefallen, dass die soziale Lage in Rom immer bedrückender wird, jetzt kommt sie in Berührung mit jenen, die Darian als den „Müll“der Gesellschaft bezeichnet. Sie haben sich zurückgezogen auf Areale, in denen sie eine Gegenkultur schaffen und eine neue Gesellschaft planen. Die jungen Leute organisieren nicht den Umsturz, sie rechnen mit dem Kollaps. Damit unterscheiden sie sich von den 68ern, an deren revolutionäre Umtriebe Barbara Erinnerungen hegt.
Mittich erzählt von den Unterströmungen der Gesellschaft, die die herrschende Ordnung aushöhlen. Mittendrin eine, die den Ausgeschlossenen Sympathie entgegenbringt, sich ihnen anschließt. So erschüttert ein Beben, das aus einem aufgewühlten Bewusstsein kommt, jede Gewissheit, dass alles weitergehen wird wie bisher. Und am Ende ein resignatives Abfinden mit dem Unabänderlichen. Darian wird abgeschoben, Barbara kehrt zurück in ihre Mittelstands-Durchschnittlichkeit. Ein Happy End sieht anders aus.