Auf der Flucht fehlt das Kaninchen: Judith Kerrs Buchklassiker im Kino
WIEN. Für viele Kinder gehört der Roman zu den ersten Begegnungen mit der Realität, dass Jüdinnen und Juden aus Nazideutschland flüchten mussten: In „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“verarbeitete die jüdische Illustratorin und Schriftstellerin Judith Kerr ihre eigenen Kindheitserinnerungen der Flucht aus Berlin. Kurz vor dem Wahlerfolg der NSDAP im März 1933 war ihr Vater, der Theaterkritiker Alfred Kerr, in die Schweiz gereist, und hatte seine Familie nachgeholt, weil er ahnte, was kommen würde. Als der Vater in der Schweiz keine Arbeit fand, emigrierten die Kerrs nach Paris, schließlich nach London.
Im Roman hat die jüdische Familie den Namen Kemper, Judith Kerrs alter Ego ist Anna Kemper. Caroline Link hat die Geschichte verfilmt, noch in enger Abstimmung mit der im Mai verstorbenen Autorin. „Sie erzählte mir, dass sie die Jahre in der Schweiz und in Paris in überwiegend positiver Erinnerung hat. Für sie und ihren Bruder waren das vor allem abenteuerliche Jahre“, sagt Link darüber, wie Kerr den optimistischen Tonfall ihres Buchs erklärte, das doch von Flucht und Vertreibung handelt.
Die Verfilmung ist dementsprechend kein düsteres Kino, nur am Beginn der Flucht ist die Begegnung mit einer argwöhnischen Nachbarin verstörend für die kleine Anna (gespielt von Riva Krymalowski).
Dass sie ihr rosa Kaninchen zurücklassen muss und den Lieblingsonkel Julius, diese Dinge kann sie in ihrer Tragweite erst allmählich erfassen. Später sind es vor allem Freundschaften, die sie knüpft und die wieder abreißen müssen, die das Bittere am Flüchtlingsein für die kleine Anna umreißen.
Trotz der Sorgfalt und der Zusammenarbeit mit Kerr wirkt die Verfilmung jedoch so glatt, als hätten zu viele Fernsehanstalten mitgeredet. Was Link bei der Verfilmung von Hape Kerkelings autobiografischem Roman „Der Junge muss an die frische Luft“gelungen war, nämlich die Vermittlung echter Empathie für ein Kind, das es schwer hat, versinkt hier wohlig in geschmackvoller Ausstattung. Nichts ist je ernsthaft dreckig, widerlich oder mühsam, was natürlich blanke Lüge ist, immerhin verliert ein Kind hier das Zuhause. Das tut aber erstaunlich wenig weh, ein Tränchen wohl, immer wieder der neue Verlust von vertrauter Umgebung. Stimmt schon, auch Kerrs Vorlage ist kein Buch zum Fürchten; vor lauter Kindgemäßheit ist die Verfilmung aber bestürzend harmlos.