Vieles ist nur Schall und Rauch
Am Jahresende macht sich ja so manch einer Gedanken über die Zukunft. Was wird das kommende Jahr bringen, was die Zeit danach? Viele der Prognosen werden wieder einmal meilenweit danebenliegen.
„Das Internet wird 1996 katastrophal in sich zusammenbrechen“, dessen war sich Robert Metcalfe im Jahr 1995 noch ganz sicher. Der Vater des Ethernets war so von seiner Zukunftsprognose überzeugt, dass er seine Worte hinunterschlucken wollte, falls es doch nicht dazu käme. Metcalfe spielte hier mit der englischen Redewendung „eat your words“, was im übertragenen Sinne so viel wie „zurücknehmen“bedeutet, wortwörtlich aber „iss deine Worte“heißt.
Wie wir nun alle wissen, blieb der katastrophale Zusammenbruch aus, was Metcalfe aber mit viel Humor aufnahm: Auf einer IT-Konferenz steckte er vor den Augen einer johlenden Menge von Internetnutzern das Papier mit seiner Prognose darauf kurzerhand zusammen mit einem guten Schluck Wasser in einen elektrischen Mixer und schluckte seine Worte anschließend hinunter – und zwar wortwörtlich.
Nichts altert eben schneller als die Prognosen von gestern. Gerade was die technische Entwicklung angeht, kann man sich da schnell einmal vergaloppieren. Selbst Fachleute
wie Metcalfe sind dagegen nicht gefeit, was auch Steve Ballmer im Jahr 2007 erfahren musste, als der damalige Microsoft-CEO zwei Monate vor dem Verkaufsstart des allerersten iPhones prognostizierte: „Das iPhone hat keine Chance auf einen signifikanten Marktanteil.“Fehlprognosen sind natürlich keine Erscheinung unserer Tage. Auch früher ist man oft schon meilenweit danebengelegen. So war sich Rudolf Martin im Jahr 1910 nämlich ganz sicher: „Im Jahre 2008 verfügen die europäischen Luftlinien zusammen über mehr als 10.000 Vakuumluftschiffe.“Vakuumluftschiffe? Diese sollten dem flugbegeisterten Zukunftsvisionär zufolge nicht „von Gas getragen werden“, sondern „auf Grund der Leere des Raumes aufsteigen“. Eigentlich eine gute Idee, könnte man meinen – also zumindest dann, wenn man die Physik außer Acht lässt. „Das Vakuumluftschiff kann sich so lange in der Höhe halten, wie die Luftpumpen ordnungsgemäß arbeiten, also Monate lang und unter Umständen Jahre lang“, schrieb Martin in seinem Beitrag für den Bestseller aus dem Jahr 1910 „Die Welt in 100 Jahren“. Doch das wunderhübsche, ewig und drei Tage fliegende Vakuumluftschiff hatte leider ein klitzekleines Problem mit der Physik, und das war auch 1910 bekannt. Auf die Idee mit dem Vakuum war nämlich lange vor Martin schon ein anderer gekommen: der italienische Jesuitenpriester Francesco Lana Terzi, und zwar im Jahr 1670. Dieser wollte ein Boot mittels vier luftleer gepumpter kupferner Kugeln mit je 7,5 Metern Durchmesser durch die Luft schweben lassen.
Gottfried Wilhelm Leibniz wies allerdings bereits im Jahr 1710 nach, dass sich Terzi verrechnet hatte und das Ganze dann doch nicht so einfach funktionieren konnte. Auch die hochklappbaren Gehsteige und die komplett überdachten Millionenstädte auf dem Mars oder zumindest doch in der Tiefsee, die uns einige visionäre Zukunftsforscher noch in den 1950er- und 1960erJahren versprochen haben, sind bis heute noch nicht aufgetaucht.
Und vor allem: Wo bleiben die vorhergesagten fliegenden atomgetriebenen Autos? Vielleicht gibt es da ein Problem mit der Kernkraft? Das zumindest vermutete der Schriftsteller Kurt Walter Roecken (C. V. Rock) schon im Jahr 1968 ungewohnt hellsichtig: „Ab 1990 kontrolliert der Mensch die thermonukleare Energieversorgung, hat allerdings noch ernste Schwierigkeiten mit der Beseitigung des Atommülls.“Während sich Roecken vor gut einem halben Jahrhundert in einigen Dingen gehörig irrte, etwa: „Ab 2010 können wir das menschliche Altern chemisch kontrollieren“, so lag er in anderen Bereichen nicht ganz so falsch, etwa wenn er vom automatischen Fahren sprach, das Unfallfreiheit garantieren würde, auch wenn er dies noch als „unwichtig“abtat. Aktuelle Fahrassistenzsysteme und autonomes Fahren lassen grüßen. Leider klappt das Ganze im prognostizierten Jahr 2010 noch nicht so schön, wie es sich der Visionär 1968 hat träumen lassen.
Der Physiker Robert Brenner war sich in seinem Werk „So leben wir morgen“von 1972 sicher: „Wir werden uns dank einem Heer von mechanischen und elektronischen Sklaven – den Automaten und Computern
– einer Freizeit erfreuen wie altrömische Patrizier oder indische Nabobs.“Damit angesichts derart paradiesischer Zustände niemand ins Zweifeln kam, fügte er vorsichtshalber noch hinzu: „Das ist keine Übertreibung.“Zwar sind die mechanischen und elektronischen Helferlein da, doch wie Patriziern und Nabobs geht es deshalb längst noch nicht allen von uns. Schade eigentlich.
Aber an welche Prognosen von gestern kann man sich denn dann noch halten? Vielleicht ja an die Vorhersage des Smartphones, wie es Robert Stoss in seinem Bericht über „Das Telephon in der Westentasche“schon im Jahr 1910 prognostiziert hat: „Die Bürger der drahtlosen Zeit werden überall mit ihrem ,Empfänger‘ herumgehen.“Und weiter: „Wenn aber dieser Apparat erst so vervollkommnet sein wird, dass auch der gewöhnliche Sterbliche sich seiner wird bedienen können, dann werden dessen Lebensgewohnheiten dadurch noch weit mehr beeinflusst werden, als sie dies schon jetzt durch die Einführung unseres gewöhnlichen Telephones geworden sind.“
Na, wenn das nicht hellsichtig war.
„Ab 2010 können wir das menschliche Altern chemisch kontrollieren.“
Kurt Walter Roecken, Schriftsteller