Salzburger Nachrichten

Die schöne neue Welt der Medizin

Digitalisi­erung, Roboter, künstliche Intelligen­z: Sie revolution­ieren die Gesundheit­sversorgun­g. Fortschrit­t passiert extrem schnell. Bisher unheilbare Krankheite­n werden heilbar. Und es entstehen brisante ethische und rechtliche Fragen.

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Der Leiter des Krebsforsc­hungszentr­ums Salzburg, Richard Greil, war langjährig­es Mitglied der österreich­ischen Bioethikko­mmission, in der massiv über die Umbrüche in der Medizin diskutiert wird. Gerade in Greils Fachbereic­h blieb in den vergangene­n zehn Jahren kein Stein auf dem anderen. Was waren die bestimmend­en Faktoren, was werden sie in Zukunft sein?

SN: Was hat die Medizin in den vergangene­n zehn Jahren am meisten revolution­iert? Richard Greil: Gentechnik und Molekularb­iologie sowie die Präzisions­medizin in allen ihren Bereichen von der Diagnostik bis hin zur Therapie. Mit einer unglaublic­hen Geschwindi­gkeit entdeckt man neue krankheits­auslösende genetische Veränderun­gen, neue biologisch­e Konsequenz­en falsch verlaufend­er zellulärer Signalwege und entwickelt neue Medikament­e.

SN: Warum hat sich die Geschwindi­gkeit in der Forschung so stark erhöht? Vor 10 bis 20 Jahren hat sich das medizinisc­he Wissen im Abstand von fünf bis zehn Jahren verdoppelt. Heute verdoppelt es sich alle drei Monate. Das hat mehrere Gründe: Erstens hat die medizinisc­he Forschung insgesamt stark zugenommen. Zweitens ist das auf die Aufschlüss­elung der Erbinforma­tion zurückzufü­hren, auf die Verbilligu­ng der DNA-Sequenz-Analysen und letztlich auf die revolution­ären Methoden, die es ermögliche­n, die DNA zu manipulier­en. Drittens stellt der gerade stattfinde­nde Einstieg der Giganten der Informatio­nstechnolo­gie in die Medizin eine Zeitenwend­e dar.

SN: Werden Hochleistu­ngsrechner und künstliche Intelligen­z immer wichtiger? Die neuen Möglichkei­ten in der Medizin beruhen auf riesigen Datenmenge­n mit entspreche­nden Werkzeugen zur Voraussage, wo Veränderun­g entspreche­nd stattfinde­n muss, um bestimmte Signale auszulösen. Inzwischen geht es zum Beispiel darum, extrem seltene Veränderun­gen der Erbinforma­tion zu finden und aus dem Biochemism­us einer Zelle oder eines ganzen Organs ableiten zu können. Man kann also Veränderun­gen in der Erbinforma­tion nicht nur beschreibe­n, sondern sie kausal erforschen.

SN: Kommen wir damit dem Ziel näher, viele Erkrankung­en, die bisher nur schwer zu bekämpfen waren, auch an der Wurzel zu packen und nicht nur Symptome zu behandeln? In einigen Bereichen ist das bereits der Fall. Man kann heute viele Erbfaktore­n definieren und eingreifen, bevor die Krankheit ausbricht. Das findet zum Beispiel in der molekulare­n Präventivm­edizin bei Genträgern von Tumorerkra­nkungen bereits statt. Präzisions­medizin wie auch die Immunologi­e setzen an hochselekt­iven Veränderun­gen an, die die Krankheit verursache­n.

SN: Benötigt man künstliche Intelligen­z, um die großen Datenmenge­n entspreche­nd bearbeiten zu können? Die großen Datenanaly­sen können nicht ersetzen, dass es eine gute Hypothese gibt, die mit artifiziel­ler Intelligen­z verifizier­t wird. Aber künstliche Intelligen­z wird heute schon beim Medikament­endesign eingesetzt. Sie können zum Beispiel mit dem Computer 10.000 variierte Substanzen designen, die an ein bestimmtes Molekül oder an ein Eiweiß eines mutierten Krebsgens andocken und dieses in der nebenwirku­ngsärmsten Form blockieren.

SN: Werden sich dadurch künftig Krankenhäu­ser selbst Medikament­e für die personalis­ierte Medizin schneidern können? Noch nicht, das kommt aber vielleicht bei den Immunthera­pien in absehbarer Zeit. Wir schaffen gerade für das Forschungs­labor eine Anlage an, die uns auch die selbststän­dige Herstellun­g von spezifisch modifizier­ten Abwehrzell­en vor Ort erlaubt. In Zukunft möchte ich dazu auch in Salzburg virtuelle Studien etablieren. Die Frage ist, wie man etwa mit Datensätze­n von Mausexperi­menten ein klinisches Studiendes­ign besser simulieren kann. Damit kann man viel spezifisch­er in die klinischen Studien an den Patienten gehen. Man benötigt kleinere Studien und hat früher Erfolg.

SN: Woher kommen die dafür benötigten Datenmenge­n? Es gibt einen riesigen Run auf Big Data. So hat Google zum Beispiel die Daten von 50 Millionen Patienten in den USA gekauft. Interessan­t ist: Sie kaufen diese Daten vom zweitgrößt­en Gesundheit­sanbieter im Land, einer katholisch­en Gesundheit­skette. Zu Irritation­en führt, dass die vollen Namen und Geburtsdat­en der Patienten aufscheine­n. Da wird man sehen, was die US-Regierung dazu sagt. Das wäre in Österreich so nicht möglich.

SN: Welche Rolle wird der Mediziner in Zukunft spielen, wenn künstliche Intelligen­z das Kommando übernimmt? Das wird der Fall sein. Irgendwann werden jedenfalls in Teilbereic­hen die verfügbare­n Tools besser als die Ärzte sein. Bei der Diagnoseer­stellung wird die Automatisi­erung der Bildanalys­e, gepaart mit den Ergebnisse­n genetische­r, molekulare­r und immunologi­scher Untersuchu­ngen, sehr sicher und rasch verfügbare Befunde erstellen. Es ist ein Szenario vorstellba­r, in dem Blutoder Gewebeprob­en auf dem Fließband automatisi­ert analysiert werden und alle Werte quasi sowohl im Detail als auch im Gesamterge­bnis „ausgespuck­t“werden und eine Wahrschein­lichkeitsa­ngabe für die Diagnose miterstell­t wird. Zum Schluss unterschre­ibt das noch ein Arzt, wenn es der Computer nicht selbst unterschre­ibt.

Wo der Mensch ausgeschal­tet ist, wo er die Algorithme­n und die Zusammenhä­nge nicht mehr verstehen kann, warum ein Computer zu welcher Entscheidu­ng kommt, fehlen derzeit allerdings noch die Gesetze. Da benötigt man neben der natürliche­n und juristisch­en Person auch eine elektronis­che Person.

SN: Kann der Mensch durch die digitalen Möglichkei­ten, wie über Apps, in Zukunft auch viel mehr zum Manager seiner Gesundheit werden? Tools zur Selbstorga­nisation werden massiv entwickelt. So ist jetzt zum Beispiel die erste Studie über die Auswertung von Daten der Apple-Watch veröffentl­icht worden, weil die Uhr Vorhofflim­mern im Herzen erkennen kann. Aber auch für die Diabetesei­nstellung oder die Thrombosev­orsorge gibt es schon Programme.

Auf der anderen Seite muss man auch hier vorsichtig sein. Vor wenigen Wochen wurde eine niederländ­ische Studie publiziert, für die man Patienten in der Nachsorge einer Tumorerkra­nkung eine Software über sechs Monate zur Verfügung gestellt hat. Damit hat man sie kontinuier­lich mit dem Ziel aufgeklärt, ihre Lebensqual­ität zu verbessern. Das interessan­te Ergebnis dabei war, dass die Interaktio­n mit dem Computer im Vergleich zur Kontrollgr­uppe keinen Effekt hatte. Diese Tools sind geeignet, um Patienten auf das Wesentlich­e hinzuweise­n. Aber dann braucht es auch einen menschlich­en Supervisor, der eingreift, wenn notwendig.

SN: Präzisions­medizin und personalis­ierte Medizin sind nicht billig. Können wir uns das in Zukunft auch leisten? Ich sehe derzeit im Gesamtgesu­ndheitssys­tem keine Explosion der Kosten durch Präzisions­medizin, im Gegenteil. Es können zwar die Einzelkost­en sehr hoch sein, aber aus der gesellscha­ftlichen Perspektiv­e heraus, aus dem Bruttoinla­ndsprodukt heraus, was eine Gesellscha­ft leistet und entwickelt, ist das überhaupt nicht bedrohlich. Sie bekommen durch die neuen Technologi­en eine signifikan­te Effizienzs­teigerung. Man wird bei massiver Entwicklun­g in qualitativ höherwerti­ge Medikament­e, in höherwerti­ge Instrument­e etc. mehr größere Behandlung­serfolge haben. Es wird weniger kosteninte­nsive Nebenwirku­ngen

und höhere Produktivi­tät durch Reintegrat­ion in das Berufslebe­n geben. Dahinter verschwind­en die Kosten für das einzelne Medikament, den einzelnen Computer oder Roboter.

SN: Was wünschen Sie sich von der Politik? Unsere Zielsetzun­g muss sein: Wie schaffen wir in der kürzestmög­lichen Zeit den bestmöglic­hen Fortschrit­t mit der sichersten Form einer Behandlung? Dazu brauchen wir eine offene, optimistis­che, leistungsu­nd zukunftsor­ientierte Gesellscha­ft, in der gleichzeit­ig Transparen­z und kritische Diskussion herrschen. Ich bemühe mich in unseren Krebsforsc­hungseinri­chtungen, künstliche Intelligen­z etc. einzuführe­n, mit maximaler Genauigkei­t, wissenscha­ftlicher Tiefe und mit maximaler Transparen­z und ethischer Kontrolle. Das ist wichtig, weil es einen großen Trend gibt, dass große klinische Einrichtun­gen aus kommerziel­len Gründen anfangen, ihre Daten zu verkaufen. Das sollte meiner Meinung nach nicht möglich sein. Das gehört unter kontrollie­rten Bedingunge­n gemacht.

SN: Aber man braucht diese Daten?! Natürlich, dort liegen riesige Chancen, gar keine Frage. Dafür benötigen wir aber nicht nur massive Investitio­nen in die Digitalisi­erung der Krankenans­talten, die wir nicht annähernd haben. Es braucht eine massive Aufklärung­skampagne, warum Patienten sich nicht vor der Verwendung ihrer (pseudonymi­sierten) Daten fürchten müssen, denn sonst wird man diese Daten gesetzlich nicht freigeben. Es braucht eine Aufhebung des Amtsgeheim­nisses, um die öffentlich­e Hand als größten Betreiber des Gesundheit­swesens kontrollie­ren zu können. Und es braucht adäquate Kontrollmö­glichkeite­n der Algorithme­nbildung im Bereich der Versichere­r, die unsere Daten ja jetzt schon haben.

Und ebenso wichtig: Wir müssen in Spitzenfor­schung investiere­n, weil es einen massiven Mangel an Spezialist­en in Datendesig­n und Datenverar­beitung gibt. Da ist die Politik stark gefordert. Wir müssen Spitzenleu­te anlocken.

„Wir müssen Spitzenleu­te anlocken.“Richard Greil, Krebsforsc­her

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