Jahre, in denen wir nur eine Hand frei hatten
Smartphones und Social Media veränderten in den vergangenen zehn Jahren Wirtschaft, Politik und vor allem unseren Alltag.
Das Bild ist ähnlich, ob im Park, im Bus oder in einem Lokal: Menschen der ausgehenden 10erJahre haben in einer Hand ein Smartphone. Immer und überall. Im öffentlichen Raum greifen 60 Prozent der Menschen mindestens alle zehn Minuten zum Handy, das ergab eine Feldstudie der Hochschule Heidelberg, bei der vergangenen Sommer 1000 Personen je zehn Minuten beobachtet wurden. Neun von zehn Österreichern haben ein Smartphone. Ein Drittel hat es immer im Blickfeld, um keine Neuigkeit zu verpassen, das zeigt die aktuelle „Social Impact Studie“, die seit 20 Jahren im Auftrag von A1 durchgeführt wird und so einen guten Überblick über sich wandelnde Nutzungsgewohnheiten gibt.
Und vor zehn Jahren? Damals hatte erst jeder Dritte ein Smartphone. „Durch die Wischtechnik des iPhones kam der Durchbruch“, erklärt Walter Peissl, stellvertretender Direktor des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung der Akademie der Wissenschaften, im SN-Gespräch. Vor allem Anwendungen für die Freizeit seien damit gekommen. „Ich hab vor zehn Jahren gedacht, dass auch vieles an Unnötigem passieren würde und dass viele erzeugte Bedürfnisse entstehen würden – was auch so eingetreten ist.“
Durch das Smartphone sind die Menschen ständig mit dem Internet verbunden. „Always on“, nennen das Experten. Dieses „always on“befördere aber auch, dass die Trennung zwischen privat und Beruf immer schwieriger werde. Das betreffe aber nicht nur klassische Büroberufe. Auch Handwerker und Dienstleister sind über das Smartphone immer an der langen Leine ihrer Kunden und Chefs.
Für Thomas Steinmaurer, Leiter des Center for Information and Communication Technologies & Society an der Uni Salzburg, ist der Zustand der Dauervernetzung durch das Smartphone die entscheidende Veränderung, die in den vergangenen zehn Jahren vonstattenging. Kommunikation und Aufmerksamkeit wurden dadurch gravierend verändert. „Wir beobachten da und dort auch Phänomene einer digitalen Nervosität.“Denn die Dauervernetzung führe dazu, „dass wir uns über das Smartphone ständig unserer sozialen Vernetzung rückversichern, also ,ins Netz gehen‘, ohne aktiv angefragt worden zu sein“, sagt Steinmaurer.
Was uns zum zweiten großen Technikphänomen der ausgehenden 10er-Jahre führt: Social Media. Darunter versteht man digitale Medien, die es Nutzern ermöglichen, sich über das Internet zu vernetzen, sich auszutauschen und mediale Inhalte zu erstellen, die in einer kleinen Gemeinschaft oder offen in der Gesellschaft weitergegeben werden. Facebook, Twitter, WhatsApp sind aktuell die populärsten Dienste, die zwar von den meisten genutzt werden, dennoch aber in Verruf geraten sind. Warum eigentlich?
Für Technikfolgen-Abschätzer Peissl fand eine Verkehrung der Grundidee des sozialen Netzwerks statt. „In den Anfängen gab es die Hoffnung auf Demokratisierung. Die Idee war, dass sich jeder zu Wort melden könne“, erklärt Peissl. Internetnutzer sollten nicht mehr nur konsumieren, sondern auch Inhalte zur Verfügung stellen. Nach Jahren der Kommerzialisierung und Oligopolisierung habe sich aber gezeigt, dass das, was aus der Idee geworden sei, „eine echte Gefahr für die Demokratie ist“. Auch für Steinmaurer haben uns Social Media „an der Achillesferse unseres Bedürfnisses nach sozialer Vernetzung erwischt“. Denn dort fänden „neue Formen der Vergiftung öffentlicher Diskurse statt, die für unser demokratisches Miteinander zunehmend zu einem Problem werden“. Mit der Kommerzialisierung der sozialen Netzwerke habe sich ihr anfänglicher Charakter verändert, sie seien zu monopolistischen Plattformen geworden, die „unsere Daten und Aufmerksamkeit zu Geld machen“. Diese Entwicklung habe weite Teile des Netzes erfasst und werde auch nicht rückholbar sein.
Für Steinmaurer bedarf es neuer Initiativen, um alternative, dem Gemeinwohl verpflichtete Modelle zu entwickeln. Auch Peissl fordert, den Begriff der Universaldienste zu erweitern. Man müsse neu diskutieren, „welche Formen der Kommunikation zu den Grundbedürfnissen gehören und auch entsprechend geschützt werden müssen“. Vor dem viel zitierten Überwachungsstaat? Für Peissl ist das Bild des Big Brother von George Orwell, der alles kontrolliert und überwacht, nicht stimmig. Was wir erlebten, sei eher wie das Soma in Aldous Huxleys Dystopie „Schöne neue Welt“. Dort nehmen Menschen regelmäßig die Droge ein, um größere Gefühlsschwankungen zu vermeiden, die zu negativen Verstimmungen führen könnten. Wie die von Eli Pariser vor knapp zehn Jahren erstmals beschriebenen Filterblasen, in denen sich nur jene Informationen befinden, die dem Standpunkt des Benutzers entsprechen. Egal ob in Social Media oder einem anderen Dienst auf unseren Smartphones.
Und in zehn Jahren? Für Peissl zeichnen sich schon jetzt Technologien ab, die das Smartphone in bestimmten Bereichen herausfordern. Sprachassistenten wie Alexa zum Beispiel, die auf Zuruf Fragen beantworten oder Geräte steuern.
Nachsatz: Wenn sich Sprachassistenten durchsetzten, hätten wir zumindest wieder beide Hände frei.