Zwei Päpste, ein Problem
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. bricht immer wieder sein Schweigegelübde und mischt sich in die aktuelle Kirchenpolitik ein. Das kann nicht gutgehen.
„Päpstlicher als der Papst“, titelte die deutsche Tageszeitung „Die Welt“angesichts der jüngsten Krise in der katholischen Kirche, die ohnehin schon von Missbrauchsskandalen und Austrittswellen gebeutelt ist. Es geht um die Einmischung des emeritierten Papstes Joseph Ratzinger in die Diskussion um den Pflichtzölibat. Auch wenn nicht klar ist, ob der 92-jährige Benedikt XVI. auch wirklich Co-Autor eines erzkonservativen Buchs zu dem Thema ist oder dazu nur einen Aufsatz beigetragen hat, seine darin veröffentlichte Meinung ist klar und eine Kampfansage an alle Bemühungen, das Gebot der Ehelosigkeit für katholische Priester zu lockern. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist nicht willkürlich. Sein Nachfolger Papst Franziskus hat mit der Einberufung der AmazonienSynode im Oktober die Diskussion über die Lockerung des Pflichtzölibats eröffnet. In einigen Wochen will er seine eigenen Schlussfolgerungen zu dem Thema veröffentlichen.
Das Wort Benedikts XVI. hat auch nach seinem Rücktritt im Jahr 2013 großes Gewicht in der katholischen Kirche. Und trotz seines Versprechens beim Rücktritt, fortan „verborgen vor der Welt“zu leben, mischt sich Benedikt XVI. immer wieder ein. Anlässlich der Familiensynode 2015 veröffentlichte er eine Stellungnahme gegen die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion; er äußerte sich 2018 zum Verhältnis von Christenund Judentum; nach dem Antimissbrauchsgipfel im vergangenen Frühjahr verfasste der emeritierte Papst auch hierzu seine Meinung; nun folgte der Zölibatsaufsatz.
Benedikt XVI. ist trotz schwerer körperlicher Gebrechen geistig noch äußerst wach. Es ist nicht glaubwürdig, die fortdauernde Überschreitung seines Schweigegelübdes der Manipulation durch sein Umfeld, also seinen Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein, anzulasten. Joseph Ratzinger will sich äußern, er handelt vermutlich im guten Glauben, seiner Kirche und ihren angeblich ewigen Wahrheiten einen Gefallen zu tun.
Das Gegenteil ist der Fall. Unter den Religionen hat die katholische Kirche mit dem Papst, dem Nachfolger des Apostels Petrus, ein Alleinstellungsmerkmal. Die Führung der Weltkirche, die dem Papst zusammen mit den Bischöfen, den Nachfolgern der Apostel, obliegt, ist die Aufgabe dieses einen Mannes, mit allen seinen Schwächen. Der Vatikan und mit ihm die Kirche sind eines der letzten Beispiele absolutistischen Herrschens. Das macht die
Kirche antiquiert, aber dennoch in gewisser Weise effizient und faszinierend. Während andere Kirchen auf Streitigkeiten mit der Gründung neuer Glaubensgemeinschaften reagieren, garantiert der Papst die Einheit im Katholizismus.
Die Welt hört dem Papst zu, auch wenn sie ihn nicht immer ernst nimmt. Die Voraussetzung dafür ist die Einzigartigkeit dieser Figur.
Seit März 2013 existieren zwei Päpste, ein mit allen Vollmachten ausgestatteter Amtsinhaber und ein emeritierter. Benedikt XVI. schuf diese Figur neu. Dass er immer noch in gewisser Weise Papst ist, dafür gibt es mehrere Hinweise. Benedikt XVI. behielt seinen Namen, er trägt weiterhin die weiße Soutane und lässt sich mit „Seine Heiligkeit“ansprechen. Diese gewagte Konstellation hätte gutgehen können, solange der Emeritus tatsächlich geschwiegen hätte. Entgegen dieser Ankündigung äußert sich Benedikt XVI. kalkuliert zu jeder großen kirchlichen Streitfrage. Wollte er damit nicht immer noch Einfluss auf den Kurs der Kirche nehmen, würde er schweigen. Er tut es nicht, beansprucht also Mitspracherecht. Die Folgen sind fatal, für die Kirche und das Amt des Papstes. Von Kasperltheater bis Kirchenspaltung ist alles drin.
Ratzingers Nachfolger, der aktuelle Papst, zeigt sich demonstrativ unbesorgt. In einer Organisation mit Hunderten Millionen Personen wie der katholischen Kirche gebe es immer jemanden, der mit etwas nicht einverstanden sei, sagte Franziskus laut „La Repubblica“.