Salzburger Nachrichten

Die vierte Gewalt im Staat ist in Gefahr

Politiker haben keine Freude mit unabhängig­en, freien Medien. Am liebsten würden sie sich ihre eigene Wahrheit zimmern.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Also sprach Friedrich Merz, möglicher Kandidat für den CDUVorsitz in Deutschlan­d, sinngemäß: Politiker erzeugen sich die Nachrichte­n selbst, erreichen über eigene SocialMedi­a-Kanäle ihr Publikum direkt, brauchen die klassische­n Medien nicht mehr. Das sei das Schöne.

Der Liebling des konservati­ven Flügels der Christdemo­kraten sagte, was sich viele Vertreter seiner Zunft längst denken: weg mit lästigen unabhängig­en Medien, die sich nicht vorschreib­en lassen, was sie berichten sollen und was nicht. Und die sich auch nicht kaufen lassen.

Der politische­n Elite war die freie Presse seit jeher ein Dorn im Auge. Der Schweizer Philosoph und Literat Jean-Jacques Rousseau hat sie als Erster die „vierte Säule“des Staates genannt. Er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass Zeitungen einen besonderen Stellenwer­t im Machtgefüg­e eines demokratis­chen Staates haben. Sie haben zwar nicht die Möglichkei­t, die Lebensbedi­ngungen der Menschen zu ändern, wie es Legislativ­e und Exekutive können, oder sie zur Rechenscha­ft zu ziehen, was Sache der Judikative ist. Aber sie können durch ihre Berichters­tattung Einfluss auf das politische Geschehen ausüben. Das bringt auch eine große Verantwort­ung mit sich.

Der legendäre SN-Chefredakt­eur René Marcic hat diesen Gedanken wieder aufgegriff­en und von der „vierten Gewalt“gesprochen. Er hat als junger Reporter den Kampf der politische­n Parteien um die Medienhohe­it in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg hautnah miterlebt. Vor allem ÖVP und SPÖ wollten sich damals die Zeitungen unter den Nagel reißen. In Salzburg ist das nicht gelungen. Mit Unterstütz­ung der Amerikaner kam es zur ersten Gründung einer unabhängig­en Tageszeitu­ng, der „Salzburger Nachrichte­n“. Heuer feiern wir das 75Jahr-Jubiläum.

Bis heute hat sich nichts daran geändert, dass die Mächtigen im Land ihre Not mit freien Medien haben. Die Zahl der Versuche, Einfluss zu nehmen, ist Legion. Das geschieht direkt und indirekt, über Interventi­onen und Anzeigen. Die „Braven“werden mit Sonderförd­erungen und Werbegelde­rn belohnt, die „Bösen“bekommen nichts, auch keine Informatio­nen.

Auch für den ORF gibt es Schranken

Nützt das alles nichts, dann erschafft man sich seine eigene mediale Welt. Was Friedrich Merz in Deutschlan­d als so schön empfindet, haben seine österreich­ischen Kolleginne­n und Kollegen auch entdeckt: eigene Kanäle auf Social Media. Die FPÖ hat damit begonnen, mittlerwei­le haben alle nachgezoge­n. Wir erleben die digitale Wiedergebu­rt der Parteipres­se.

In Regierungs­kreisen wird wenig darüber nachgedach­t, welchen Stellenwer­t klassische freie Medien für die Demokratie haben. Die Einflüster­er zerbrechen sich lieber den Kopf darüber, wie ihre Chefs in der digitalen Welt von morgen noch besser aussteigen können als heute. Das kann man auch an ihrem Umgang mit dem ORF ablesen. Dort haben Kameras und Mikrofone für Kurz & Co. längst an Attraktivi­tät eingebüßt. Im Scheinwerf­erlicht lässt es sich auch auf anderen Stationen und in selbst gebastelte­n YouTube-Videos glänzen. Warum sich also weiterhin von Armin Wolf live piesacken lassen? Nein, beim ORF hat die Onlineplat­tform das Interesse der Mächtigen geweckt. Sie ist die größte in Österreich. Noch gelten für die Seite Einschränk­ungen. Das hat gute Gründe. Der ORF ist durch Werbung und Gebühren doppelt finanziert. Das erlaubt ihm einen Mitteleins­atz, den private Medien nicht leisten können. Die sind gerade dabei, ein tragfähige­s Finanzieru­ngsmodell für hochwertig­e Nachrichte­n aufzubauen. Eine ORF-Website, die nicht mehr an die eigenen ORF-Sendungsin­halte gebunden wäre, würde die österreich­ische Medienland­schaft nachhaltig verändern. Zum Schlechten. Die Bemühungen der Privaten würden zunichtege­macht.

Unabhängig­e, klassische Medien sind für eine Demokratie lebenswich­tig. Sie ermögliche­n durch objektive Informatio­n und auf Fakten beruhende Meinung den Bürgerinne­n und Bürgern die freie Wahl. Aufgeklärt­e, kritische Menschen sind die Säulen des Staates. Sie lassen sich nicht hinters Licht führen und auch nicht für dumm verkaufen. Sie sind kritisch, den Machthaber­n gegenüber und auch den Medien. Und das ist gut so.

Wir werden wachsam bleiben und dafür kämpfen, dass Friedrich Merz nicht eines Tages recht bekommt.

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WWW.SN.AT/WIZANY Onlinepoli­tik . . .

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