Die vierte Gewalt im Staat ist in Gefahr
Politiker haben keine Freude mit unabhängigen, freien Medien. Am liebsten würden sie sich ihre eigene Wahrheit zimmern.
Also sprach Friedrich Merz, möglicher Kandidat für den CDUVorsitz in Deutschland, sinngemäß: Politiker erzeugen sich die Nachrichten selbst, erreichen über eigene SocialMedia-Kanäle ihr Publikum direkt, brauchen die klassischen Medien nicht mehr. Das sei das Schöne.
Der Liebling des konservativen Flügels der Christdemokraten sagte, was sich viele Vertreter seiner Zunft längst denken: weg mit lästigen unabhängigen Medien, die sich nicht vorschreiben lassen, was sie berichten sollen und was nicht. Und die sich auch nicht kaufen lassen.
Der politischen Elite war die freie Presse seit jeher ein Dorn im Auge. Der Schweizer Philosoph und Literat Jean-Jacques Rousseau hat sie als Erster die „vierte Säule“des Staates genannt. Er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass Zeitungen einen besonderen Stellenwert im Machtgefüge eines demokratischen Staates haben. Sie haben zwar nicht die Möglichkeit, die Lebensbedingungen der Menschen zu ändern, wie es Legislative und Exekutive können, oder sie zur Rechenschaft zu ziehen, was Sache der Judikative ist. Aber sie können durch ihre Berichterstattung Einfluss auf das politische Geschehen ausüben. Das bringt auch eine große Verantwortung mit sich.
Der legendäre SN-Chefredakteur René Marcic hat diesen Gedanken wieder aufgegriffen und von der „vierten Gewalt“gesprochen. Er hat als junger Reporter den Kampf der politischen Parteien um die Medienhoheit in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg hautnah miterlebt. Vor allem ÖVP und SPÖ wollten sich damals die Zeitungen unter den Nagel reißen. In Salzburg ist das nicht gelungen. Mit Unterstützung der Amerikaner kam es zur ersten Gründung einer unabhängigen Tageszeitung, der „Salzburger Nachrichten“. Heuer feiern wir das 75Jahr-Jubiläum.
Bis heute hat sich nichts daran geändert, dass die Mächtigen im Land ihre Not mit freien Medien haben. Die Zahl der Versuche, Einfluss zu nehmen, ist Legion. Das geschieht direkt und indirekt, über Interventionen und Anzeigen. Die „Braven“werden mit Sonderförderungen und Werbegeldern belohnt, die „Bösen“bekommen nichts, auch keine Informationen.
Auch für den ORF gibt es Schranken
Nützt das alles nichts, dann erschafft man sich seine eigene mediale Welt. Was Friedrich Merz in Deutschland als so schön empfindet, haben seine österreichischen Kolleginnen und Kollegen auch entdeckt: eigene Kanäle auf Social Media. Die FPÖ hat damit begonnen, mittlerweile haben alle nachgezogen. Wir erleben die digitale Wiedergeburt der Parteipresse.
In Regierungskreisen wird wenig darüber nachgedacht, welchen Stellenwert klassische freie Medien für die Demokratie haben. Die Einflüsterer zerbrechen sich lieber den Kopf darüber, wie ihre Chefs in der digitalen Welt von morgen noch besser aussteigen können als heute. Das kann man auch an ihrem Umgang mit dem ORF ablesen. Dort haben Kameras und Mikrofone für Kurz & Co. längst an Attraktivität eingebüßt. Im Scheinwerferlicht lässt es sich auch auf anderen Stationen und in selbst gebastelten YouTube-Videos glänzen. Warum sich also weiterhin von Armin Wolf live piesacken lassen? Nein, beim ORF hat die Onlineplattform das Interesse der Mächtigen geweckt. Sie ist die größte in Österreich. Noch gelten für die Seite Einschränkungen. Das hat gute Gründe. Der ORF ist durch Werbung und Gebühren doppelt finanziert. Das erlaubt ihm einen Mitteleinsatz, den private Medien nicht leisten können. Die sind gerade dabei, ein tragfähiges Finanzierungsmodell für hochwertige Nachrichten aufzubauen. Eine ORF-Website, die nicht mehr an die eigenen ORF-Sendungsinhalte gebunden wäre, würde die österreichische Medienlandschaft nachhaltig verändern. Zum Schlechten. Die Bemühungen der Privaten würden zunichtegemacht.
Unabhängige, klassische Medien sind für eine Demokratie lebenswichtig. Sie ermöglichen durch objektive Information und auf Fakten beruhende Meinung den Bürgerinnen und Bürgern die freie Wahl. Aufgeklärte, kritische Menschen sind die Säulen des Staates. Sie lassen sich nicht hinters Licht führen und auch nicht für dumm verkaufen. Sie sind kritisch, den Machthabern gegenüber und auch den Medien. Und das ist gut so.
Wir werden wachsam bleiben und dafür kämpfen, dass Friedrich Merz nicht eines Tages recht bekommt.