Österreichs Gefängnisse platzen aus den Nähten
Gefängnisauslastung bis zu 117 Prozent, keine Beschäftigungsmöglichkeit für Häftlinge: Der Rechnungshof durchleuchtete den Strafvollzug.
Die Justiz werde „einen stillen Tod sterben“, wenn sie nicht mehr Ressourcen bekomme: Mit dieser Mahnung machte Übergangs-Justizminister Clemens Jabloner im Sommer des vergangenen Jahres auf die prekäre Lage in seinem Tätigkeitsfeld aufmerksam.
Am Freitag wurde Jabloners damaliger Befund durch einen neuen Rechnungshofbericht untermauert. „Österreichs Gefängnisse sind am Limit“, stellten die staatlichen Prüfer fest. Die bundesweite Gesamtauslastung der Justizanstalten liege bei 95 Prozent, einige Haftanstalten seien „deutlich überbelegt“– in der Justizanstalt Wien-Josefstadt etwa betrug die Auslastung 117 Prozent.
Die RH-Prüfer empfahlen, die Häftlingszahlen zu senken, beispielsweise durch Einsatz der Fußfessel. Kritik übte der Rechnungshof an der Senkung des Leistungsniveaus für die Rekrutierung des Justizwachepersonals. So wurden in den Bereichen „Rechtschreibung“und „Allgemeinwissen“die Kriterien für „bestanden“von 50 Prozent auf 40 Prozent gesenkt, bei „Rechnen“von 50 Prozent auf 33
Prozent. Ursache dieser Maßnahme war der Umstand, dass (laut Zahlen aus 2018) 30 Prozent der Justizwachebeamten bereits über 50 Jahre alt waren und sie durchschnittlich mit 58 Jahren in Pension gingen. Man suchte also dringend Personal.
Einige weitere Feststellungen des RH: Die Haftzahlen steigen seit 2015 kontinuierlich an, derzeit gibt es mehr als 9000 Häftlinge. Für etliche von ihnen gebe es keine Beschäftigungsmöglichkeit, sie hätten daher keine Tagesstruktur, und dies wiederum belaste das Klima in den Gefängnissen. Das Ziel, ausländische Straftäter (sie stellen in Österreichs Gefängnissen bereits die Mehrheit) ihre Strafhaft in deren Heimat absitzen zu lassen, werde nur ungenügend umgesetzt.
Die Feststellungen des Rechnungshofs fügen sich ein in eine Reihe von Mahnungen, die zuletzt rund um die Zustände in der Justiz erklungen waren. Kurzzeit-Justizminister Clemens Jabloner wies darauf hin, dass das „Niedersparen“des gerichtlichen Fachdienstes bisher 300 Planstellen gekostet habe. Es gebe „gravierende Qualitätseinbußen und Verfahrensverzögerungen“. Dringend erforderlich seien 100 neue Stellen im Kanzleibereich, 20 Planstellen für Staatsanwälte und Richter – und mehr Personal für den Strafvollzug. So weit Jabloner in seinem Wahrnehmungsbericht, den er im November 2019 vorgelegt hatte.
Die missliche Lage brachte Österreich 2015 eine Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg ein. Und zwar wegen der „überlangen Dauer der Überprüfung einer Anhaltung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher“. Die Menschenrechtsrichter bemängelten, dass immer mehr Einweisungen in Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher aufgrund bloßer Vergehen erfolgten und das Prinzip „Therapie statt Strafe“faktisch in sein Gegenteil verkehrt werde.