Atomausstieg auf Französisch
Im Elsass wurde ein veralteter Druckwasserreaktor vom Netz genommen. Ein erster kleiner Schritt: Frankreich will bis 2025 nur mehr 50 statt jetzt 75 Prozent seines Strombedarfs aus Kernenergie decken.
In der Nacht auf Samstag wurde das eingeleitet, was eine elsässische Zeitung als „Anfang vom Ende“bezeichnet hat: Um 2.30 Uhr sollte der erste der beiden Druckwasserreaktoren des französischen Atomkraftwerks in Fessenheim, das direkt an der Grenze zu Deutschland und nahe an jener zur Schweiz liegt, vom Netz gehen. Der zweite wird am 30. Juni abgeschaltet, während der gesamte Abbauprozess laut der französischen Behörde für nukleare Sicherheit (ASN) bis zu 25 Jahre dauern dürfte. Die Stilllegung der zwei ältesten Reaktoren aus dem Jahr 1977 leitet Frankreichs schrittweise Reduzierung des hohen Anteils der Kernenergie von 75 auf 50 Prozent bis 2035 ein.
Atomkraftgegner vor allem in den Nachbarländern pochten schon lang auf ein Abschalten mit Hinweis auf wiederholte Störfälle und die riskante Lage des AKW in einer Erdbebenzone. Lokalpolitiker machten sich hingegen für dessen Erhalt stark und argumentierten mit der großen wirtschaftlichen Bedeutung für die industriell schwache Region: Fast 2000 direkte und indirekte Arbeitsplätze schafft das AKW in dem 2500-EinwohnerDorf. Die Geschäfte im Umkreis schätzen die unmittelbaren Verluste auf fünf Millionen Euro, der Kommunalverband auf mehr als sechs Millionen Euro pro Jahr. Zwar versprach die zuständige Ministerin für „Energiewandel“, Élisabeth Borne, es gingen keine Jobs verloren. Doch wo die neuen Stellen entstehen sollen, ist unklar. „Alle Angestellten müssen ein Familienleben zurücklassen, das sie sich im Elsass aufgebaut haben, um woanders neu anzufangen: Sie wollen das aber nicht“, sagt der Gewerkschafter
Jean-Luc Cardoso. 2025 dürften nur noch rund 60 Beschäftigte des Betreibers und 100 Angestellte von Zulieferern hier arbeiten.
Aufgrund des heftigen Widerstands zögerten die Regierungen lang mit einer Schließung, obwohl sich die öffentliche Meinung in Frankreich, die traditionell pro Atomenergie eingestellt war, nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima zu wandeln begann. Als erster Präsident versprach der Sozialist François Hollande bei seiner Wahl 2012, das AKW Fessenheim 2016 zu schließen und den Anteil der Kernenergie in der Stromerzeugung zugunsten erneuerbarer Energien abzubauen. Weltweit verfügt Frankreich über den zweitgrößten Atompark nach den USA. Rund 220.000 Beschäftigte arbeiten in der Branche.
Hollande koppelte die Stilllegung der beiden Reaktoren, die den Stromkonsum von 400.000 Haushalten decken, an die Fertigstellung des Europäischen Druckwasserreaktors der dritten Generation in Flamanville in der Normandie. Diese hat sich inzwischen um zehn Jahre auf Ende 2022 verzögert und wird statt der geplanten 3,3 Milliarden Euro 12,4 Milliarden Euro kosten. Trotzdem entschied Präsident Emmanuel Macron, der die Schließung von 14 der insgesamt 58 französischen Reaktoren bis 2035 angekündigt hat, in diesem Jahr in Fessenheim zu beginnen.