Wann kommt Wasserstoff?
Ewiges Versprechen. Deutschlands Regierung tüftelt an einer Zukunftsstrategie.
Als Energieträger für Industrie, Verkehr und Heizen soll Wasserstoff in einer klimafreundlichen Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Hier sind sich Politiker, Forscher und Unternehmen weitgehend einig. Doch es herrscht Streit darüber, wie das Gas zu gewinnen ist. In Fachkreisen haben die verschiedenen Methoden ihre jeweiligen Spitznamen erhalten. Die Rede ist von grauem, blauem oder grünem Wasserstoff – plus einige weitere Farben wie Türkis und Schwarz. Diese Bezeichnungen sind symbolisch: Der Brennstoff ist stets farb- und geruchlos.
Die deutsche Regierung in Berlin will demnächst ihre Strategie vorstellen. Das verschärft die Debatte, denn Vertreter aller Seiten hoffen auf eine Weichenstellung in ihrem Sinn. Das Wirtschaftsministerium hat seinen Entwurf bereits fertiggestellt. Jetzt sollen die anderen Ministerien aus ihrer Sicht Änderungen einbringen.
Der Plan des Wirtschaftsministeriums sieht vor, nicht nur Wasserstoff aus Ökostrom, den „grünen“Wasserstoff, einzusetzen. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit soll auch die blaue Variante eine Rolle spielen. Die Gewinnungsmethode ist jedoch umstritten: Der blaue Wasserstoff wird in Raffinerien aus Erdgas abgespalten. Dessen Hauptbestandteil ist Methan, eine Verbindung aus Kohlenstoff und Wasserstoff. Der Kohlenstoff lässt sich chemisch abtrennen. Es bleibt Wasserstoff.
Dabei entsteht zunächst, was die Experten „grauen“Wasserstoff nennen. Denn bei der Abspaltung wird das Treibhausgas CO2 frei. Wenn es in die Atmosphäre gelangt, heizt es die Erwärmung weiter an. „Blau“wird der Wasserstoff erst durch den nächsten Schritt: Das CO2 soll in unterirdische Lagerstätten gepresst werden. Dort soll es für alle Ewigkeit bleiben, ohne zum Treibhauseffekt beizutragen. In größerem Maßstab erprobt ist diese Technik nicht. Dieser blaue Wasserstoff gilt dem Wirtschaftsministerium zwar nicht als ideale, aber doch als gute Teillösung für den Übergang. Schließlich muss der Wasserstoff irgendwo herkommen, wenn die Abkehr von der Ölwirtschaft schnell gehen soll. Und Erdgas steht reichlich zur Verfügung. Im vergangenen Oktober hat das Wirtschaftsministerium den blauen Wasserstoff daher ausdrücklich als „CO2-neutralen Energieträger“eingeordnet. Das Umweltministerium hat jedoch Zweifel an dem Verfahren. Die Nutzung von Erdgas sei eben keine Abkehr von fossilen Brennstoffen. Es sei grundsätzlich besser, von Anfang an vor allem auf grünen Wasserstoff zu setzen. Zur Herstellung von grünem Wasserstoff wird Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Die Energiequelle dafür soll Ökostrom sein. Der grüne Wasserstoff würde also aus Anlagen in der Nähe von Windparks und Solarfeldern kommen. Eine neue Studie des Energieversorgers Greenpeace Energy gibt nun den Kritikern des blauen Wasserstoffs recht. Die Nachteile fangen demnach schon bei der Förderung an: Methan selbst ist ein starkes Treibhausgas – und bei der Erdgasproduktion entweicht immer etwas davon in die Luft. Der Transport der Gase, ob in Pipelines oder auf Tankern, verbraucht wiederum viel Energie. In
Summe entsteht zwar nur ein Drittel der Emissionen, die beim derzeitigen deutschen Strommix anfallen. Es handelt sich aber immer noch um eine beträchtliche Menge an klimaschädlichen Substanzen, die im Zusammenhang mit blauem Wasserstoff frei werden. Die Aufbewahrung des Kohlendioxids sieht Greenpeace Energy ebenfalls kritisch. Sie füllt Lagerstätten, die unsere Zivilisation künftig möglicherweise viel nötiger braucht – beispielsweise, um Gase aus anderen Prozessen loszuwerden. Greenpeace Energy befürchtet nun, dass die Pläne des Wirtschaftsministeriums der Entwicklung des grünen Wasserstoffs schaden. „Das Projekt der Energiewende steht vor wichtigen politischen Weichenstellungen“, so die Studie zu den Umweltfolgen des blauen Wasserstoffs. Wenn einmal die Investitionen in die Erdgas-Abspaltung und CO2-Einlagerung erfolgt sind, falle die Korrektur zur Herstellung aus Ökostrom umso schwerer. Der blaue Wasserstoff ist nach dieser Lesart nur ein Trick der petrochemischen Industrie, die Nutzung von Erdgas möglichst lang am Leben zu halten. Ein klarer Befürworter der Idee des blauen Wasserstoffs ist dagegen der große Gasnetzbetreiber Open Grid Europe aus Essen. Das Unternehmen kann sich vorstellen, seine Leitungen künftig zum Transport von Wasserstoff zu verwenden. Um der Industrie in kurzer Zeit genug von dem Rohstoff zur Verfügung stellen zu können, sei jedoch die massenhafte Gewinnung aus Erdgas unverzichtbar. Der Ökostrom reicht schließlich bisher nicht ansatzweise, um den Bedarf an Elektrizität zu decken – von Überschüssen zur Wasserstoffherstellung ganz zu schweigen.