Gefangen im Akademisierungsdogma
Während Gymnasien und Unis überquellen, versiegen Baustellen und Küchen aus Personalmangel. Ein untragbarer Zustand für ein Dienstleistungs- und Gewerbeland wie Salzburg.
„Kinder, machts Matura, sonst müsst ihr später auch da oben rumklettern.“Dieser überlieferte Satz einer Pongauer Lehrerin, den sie ihren Schülern im Angesicht arbeitender Dachdecker mitgab, mag zugespitzt sein. Treffender könnte er das Dilemma, in dem unser Werte- und Bildungssystem steckt, dennoch nicht ausdrücken.
Wer etwas werden will, muss studieren. Oder wenigstens maturieren. Diese Prämisse, die seit den 1970er-Jahren des letzten Jahrhunderts gilt, hat viele Fortschritte
gebracht. An ihr ist grundsätzlich nichts zu bekritteln, gilt doch bis heute: Je mehr Menschen in den Genuss höherer Bildung kommen, desto besser.
Aber bedeutet ein (höherer) Bildungsabschluss automatisch höhere Bildung? Und steigert er tatsächlich die Karrierechancen? Diese Fragen stellen sich heute viel drängender als früher. Die Schwemme an Maturanten und Studienabgängern birgt zwangsläufig die Gefahr von Inflationierung. Was (allzu) viele tun, wird bekanntlich weniger wert. Und der Arbeitsmarkt entwickelte seine eigene Logik: Heute erledigt mancher Studierte, was einst Maturanten taten. Und eine Ebene darunter versuchen Unternehmer Maturanten in Jobs zu bringen, die einst Lehrlingen vorbehalten waren. Der Fortschritt für den Einzelnen ist überschaubar.
Zum virulenten Problem für die Gesellschaft wird das Ganze, wenn parallel Teile der Wirtschaft regelrecht auszutrocknen beginnen. Gewerbebetriebe, Dienstleister und Handwerker suchen händeringend nach Facharbeitern, finden aber keine, weil körperlich anstrengende Tätigkeiten niemand mehr machen will. Für das vermeintlich Einfache sind sich die meisten mittlerweile zu schade. Dabei ist genau das für ein Dienstleistungs- und Gewerbeland wie Salzburg enorm wichtig.
Gäste gehören bewirtet und bekocht. Alte Menschen gepflegt. Leitungen repariert, Dächer erneuert und Wände hochgezogen. Da reden wir noch nicht von technischen Berufen bis zu IT-Technikern, wo der Mangel ebenso groß ist. Und jene Ausländer, die oft die letzte Hoffnung der Unternehmer für diese Jobs sind, stoßen im Land auf viel Ablehnung und Ressentiments. Was ein bizarr anmutendes Bild abrundet und nur einen Schluss (zu)lässt: So kann es nicht weitergehen.
Schon jetzt lehnen Firmen Aufträge ab, weil sie nicht genug Personal haben. Mancher Meister überlegt, seinen Betrieb zuzusperren. Ein Lungauer Tophotel musste seine Ausbaupläne aufschieben, weil niemand den Auftrag erledigen konnte. Da wird die Spitze eines Eisbergs sichtbar, der mit Wucht auf uns zukommt. Und das Zeug hat, unser Wohlstandsgefüge zu beeinträchtigen.
In einer Zeit, in der der Nachwuchs wegbricht, weil eine Ära geburtenschwacher Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt drängt, fällt dem Land die bildungspolitische Schlagseite auf den Kopf. Das Akademisierungsdogma gehört relativiert und ergänzt. Nicht nur Studieren schafft goldenen Boden. Auch Handwerk und Dienstleistung müssen geschätzt und attraktiv sein. Speziell
in einem Land, das damit sein wirtschaftliches Fundament legt.
Die Politik beklagt den Fachkräftemangel schon lang, zu entschlossenem Gegensteuern hat es aber noch nicht gereicht. Den Titel des Meisters aufzuwerten und quasi zu akademisieren ist schön und gut. Gleiches gilt für das Ziel, Salzburg zum besten Lehrlingsland in Österreich zu machen. Image- und PR-Aktionen sind wichtig, werden allein aber nicht reichen. Die Rahmenbedingungen der Lehre gehören grundlegend verbessert, Kombinationen von Matura und Lehre ausgeweitet. Hier beherbergt
Salzburg mit dem Werkschulheim in Felbertal übrigens einen europaweit beachteten Pionier. Da muss man anknüpfen und weitere Stellschrauben drehen.
Natürlich geht es um Geld, noch mehr aber um die Wertschätzung, die die Gesellschaft (nicht akademischer) Arbeit und Ausbildung entgegenbringt.
Die Lehrerin hätte ihren Schülern ja auch sagen können. „Schaut, die mutigen Männer auf dem Dach. Sie leisten wichtige Arbeit.“Eine Erkenntnis, die sich durchsetzen muss, will sich das Land weitere unangenehme Schmerzen ersparen.
Es geht ums Geld, aber noch viel mehr