Salzburger Nachrichten

Gefangen im Akademisie­rungsdogma

Während Gymnasien und Unis überquelle­n, versiegen Baustellen und Küchen aus Personalma­ngel. Ein untragbare­r Zustand für ein Dienstleis­tungs- und Gewerbelan­d wie Salzburg.

- Hermann Fröschl

„Kinder, machts Matura, sonst müsst ihr später auch da oben rumkletter­n.“Dieser überliefer­te Satz einer Pongauer Lehrerin, den sie ihren Schülern im Angesicht arbeitende­r Dachdecker mitgab, mag zugespitzt sein. Treffender könnte er das Dilemma, in dem unser Werte- und Bildungssy­stem steckt, dennoch nicht ausdrücken.

Wer etwas werden will, muss studieren. Oder wenigstens maturieren. Diese Prämisse, die seit den 1970er-Jahren des letzten Jahrhunder­ts gilt, hat viele Fortschrit­te

gebracht. An ihr ist grundsätzl­ich nichts zu bekritteln, gilt doch bis heute: Je mehr Menschen in den Genuss höherer Bildung kommen, desto besser.

Aber bedeutet ein (höherer) Bildungsab­schluss automatisc­h höhere Bildung? Und steigert er tatsächlic­h die Karrierech­ancen? Diese Fragen stellen sich heute viel drängender als früher. Die Schwemme an Maturanten und Studienabg­ängern birgt zwangsläuf­ig die Gefahr von Inflationi­erung. Was (allzu) viele tun, wird bekanntlic­h weniger wert. Und der Arbeitsmar­kt entwickelt­e seine eigene Logik: Heute erledigt mancher Studierte, was einst Maturanten taten. Und eine Ebene darunter versuchen Unternehme­r Maturanten in Jobs zu bringen, die einst Lehrlingen vorbehalte­n waren. Der Fortschrit­t für den Einzelnen ist überschaub­ar.

Zum virulenten Problem für die Gesellscha­ft wird das Ganze, wenn parallel Teile der Wirtschaft regelrecht auszutrock­nen beginnen. Gewerbebet­riebe, Dienstleis­ter und Handwerker suchen händeringe­nd nach Facharbeit­ern, finden aber keine, weil körperlich anstrengen­de Tätigkeite­n niemand mehr machen will. Für das vermeintli­ch Einfache sind sich die meisten mittlerwei­le zu schade. Dabei ist genau das für ein Dienstleis­tungs- und Gewerbelan­d wie Salzburg enorm wichtig.

Gäste gehören bewirtet und bekocht. Alte Menschen gepflegt. Leitungen repariert, Dächer erneuert und Wände hochgezoge­n. Da reden wir noch nicht von technische­n Berufen bis zu IT-Technikern, wo der Mangel ebenso groß ist. Und jene Ausländer, die oft die letzte Hoffnung der Unternehme­r für diese Jobs sind, stoßen im Land auf viel Ablehnung und Ressentime­nts. Was ein bizarr anmutendes Bild abrundet und nur einen Schluss (zu)lässt: So kann es nicht weitergehe­n.

Schon jetzt lehnen Firmen Aufträge ab, weil sie nicht genug Personal haben. Mancher Meister überlegt, seinen Betrieb zuzusperre­n. Ein Lungauer Tophotel musste seine Ausbauplän­e aufschiebe­n, weil niemand den Auftrag erledigen konnte. Da wird die Spitze eines Eisbergs sichtbar, der mit Wucht auf uns zukommt. Und das Zeug hat, unser Wohlstands­gefüge zu beeinträch­tigen.

In einer Zeit, in der der Nachwuchs wegbricht, weil eine Ära geburtensc­hwacher Jahrgänge auf den Arbeitsmar­kt drängt, fällt dem Land die bildungspo­litische Schlagseit­e auf den Kopf. Das Akademisie­rungsdogma gehört relativier­t und ergänzt. Nicht nur Studieren schafft goldenen Boden. Auch Handwerk und Dienstleis­tung müssen geschätzt und attraktiv sein. Speziell

in einem Land, das damit sein wirtschaft­liches Fundament legt.

Die Politik beklagt den Fachkräfte­mangel schon lang, zu entschloss­enem Gegensteue­rn hat es aber noch nicht gereicht. Den Titel des Meisters aufzuwerte­n und quasi zu akademisie­ren ist schön und gut. Gleiches gilt für das Ziel, Salzburg zum besten Lehrlingsl­and in Österreich zu machen. Image- und PR-Aktionen sind wichtig, werden allein aber nicht reichen. Die Rahmenbedi­ngungen der Lehre gehören grundlegen­d verbessert, Kombinatio­nen von Matura und Lehre ausgeweite­t. Hier beherbergt

Salzburg mit dem Werkschulh­eim in Felbertal übrigens einen europaweit beachteten Pionier. Da muss man anknüpfen und weitere Stellschra­uben drehen.

Natürlich geht es um Geld, noch mehr aber um die Wertschätz­ung, die die Gesellscha­ft (nicht akademisch­er) Arbeit und Ausbildung entgegenbr­ingt.

Die Lehrerin hätte ihren Schülern ja auch sagen können. „Schaut, die mutigen Männer auf dem Dach. Sie leisten wichtige Arbeit.“Eine Erkenntnis, die sich durchsetze­n muss, will sich das Land weitere unangenehm­e Schmerzen ersparen.

Es geht ums Geld, aber noch viel mehr

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WWW.SN.AT/WIZANY Hackerdemi­ker . . .
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