Im Heilfischbecken
Der einsame Papst und sein Kampf um die Kirche. Papst Franziskus muss im Schatten seines Vorgängers regieren. Lässt ihn das vor großen Reformen zurückschrecken? Und wie viele Bischöfe sind wirklich auf seiner Seite?
Hätte es noch eines Beweises bedurft: Das Schreiben von Papst Franziskus zur Amazoniensynode hat ein grelles Schlaglicht darauf geworfen, unter welchem enormen Druck Papst Franziskus steht, wenn er substanzielle Reformen in der römischkatholischen Kirche umsetzen möchte. 283 Bischöfe, Berater und Beobachter haben im Oktober 2019 drei Wochen lang im Vatikan über „neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie“beraten. Das Schlussdokument fordert u. a. die Weihe von bewährten verheirateten Männern zu Priestern und eine deutliche Aufwertung der vielfältigen kirchlichen Dienste, die Frauen in den Hunderten Gemeinden ohne Priester in Amazonien leisten.
Nach langen internen Querelen im Vatikan hat der Papst am 12. Februar 2020 sein Schreiben endlich veröffentlicht. Das Ergebnis war sozusagen ein klares Jein. Franziskus hat die Reformbestrebungen der Amazonien-Bischöfe als richtig bestätigt und sich im Wesentlichen dahintergestellt. Er hat aber mit seiner päpstlichen Autorität keine eindeutige Entscheidung darüber getroffen, ob verheiratete Gemeindeleiter nun geweiht werden dürfen oder sogar sollen.
Der Grund ist für Vatikankenner klar: Die konservativen bis traditionalistischen Netzwerke in Rom und darüber hinaus leisten gegen die ohnehin nur sanfte Reformpolitik von Franziskus anhaltenden Widerstand. Vor allem steht die Regierung von Papst Franziskus im Schatten seines zurückgetretenen Vorgängers. Dass der emeritierte Papst Benedikt XVI. sich noch immer öffentlich in die Kirchenpolitik einmischt, macht es seinem Nachfolger extrem schwer.
Zuletzt ist Mitte Jänner ein Artikel in einem Buch erschienen, in dem der Papst, der am Rosenmontag 2013 offiziell von seinem Amt zurückgetreten war, den Pflichtzölibat der römisch-katholischen Priester mit Nachdruck verteidigt. „Ich kann nicht still bleiben“, erklärte Benedikt XVI., der bei seinem Rücktritt ganz im Gegenteil dazu angekündigt hatte, künftig „für die Welt verborgen“zu bleiben. Zwar schwächte sein Privatsekretär Georg Gänswein ab, dass Benedikt der Veröffentlichung des Beitrags in einem Buch nicht zugestimmt habe. Der an der römischen Kurie nach wie vor einflussreiche deutsche Erzbischof bestätigte aber gleichzeitig, dass der Inhalt ganz und gar der Überzeugung des deutschen „Papa emeritus“entspreche.
Man wird dem zurückgetretenen Papst und Theologen Joseph Ratzinger nicht Unrecht tun mit dem Hinweis, dass der Zeitpunkt kein Zufall war: Es war genau die Phase der intensiven Überlegungen von Papst Franziskus darüber, wie die Forderung der Amazoniensynode nach verheirateten Priestern langsam aber sicher in die Realität umgesetzt werden könnte.
Faktum ist, auch wenn er selbst das nicht immer gutheißen wollte: Die erzkonservativen Bremser im Vatikan benutzen Benedikt XVI. als ihre Galionsfigur. Zu diesen Traditionalisten gehören vor allem die vier Kardinäle, die im November 2016 mit ihren „Zweifeln“einen öffentlichen Querschuss gegen Franziskus abgegeben haben: Kardinal Carlo Caffarra, Kardinal Raymond Burke, der deutsche Kardinal Walter Brandmüller und der mittlerweile verstorbene deutsche Kardinal Joachim Meisner.
Stein des Anstoßes war die Bischofssynode über Ehe und Familie. Diese hatte einige vorsichtige Möglichkeiten eröffnet, wiederverheiratete Katholiken im Einzelfall zur Kommunion zuzulassen. Franziskus hat das in seinem Schreiben „Amoris laetitia“(Die Freude der Liebe) ausdrücklich bestätigt. Die vier Kardinäle forderten den Papst daraufhin auf, die dadurch entstandenen
Ungewissheiten zu beseitigen und Klarheit zu schaffen. Will heißen, die Unauflöslichkeit der römisch-katholisch geschlossenen Ehe zu bestätigen und auch jedes noch so kleine Türchen für die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion fest verschlossen zu halten.
Eine so massive Opposition durch Kardinäle habe es seit der Gegenreformation nicht mehr gegeben, hieß es dazu in einem kirchennahen TV-Sender. Diese Woche hat nun Journalist Marco Politi ein Buch veröffentlicht, das den bezeichnenden Titel „Das Franziskus-Komplott“trägt. Der renommierte Vatikankenner sieht erbitterte konservative Kreise am Werk, die Papst Franziskus vorwerfen würden, die traditionelle Lehre des Katholizismus auf den Kopf zu stellen und die unter Benedikt XVI. „nicht verhandelbaren Prinzipien“aufgeben zu wollen. Dieser Widerstand richte sich nicht nur gegen ganz konkrete Fragen der Moral (Ehelehre) oder der Disziplin (Pflichtzölibat), sondern generell gegen die Weltsicht von Franziskus, gegen sein Bild vom unbedingt barmherzigen Gott, gegen seine Wertschätzung anderer Religionen. Generell gegen eine Theologie, die nicht mehr davon ausgeht, dass es „außerhalb der Kirche kein Heil“geben könne.
Politi illustriert diesen grundsätzlichen Konflikt mit einer Begegnung des Papstes in dem heruntergekommenen römischen Stadtteil Corviale. Ein Mädchen fragt Franziskus: „Wenn wir die Taufe empfangen, werden wir Kinder Gottes. Und Menschen, die nicht getauft sind, sind keine Kinder Gottes?“Und der Papst antwortet: „Alle sind Kinder Gottes. Auch die Nichtgetauften? Ja. Die Guten wie die Bösen. Auch die, die Jesus nicht kennen, auch die, die an andere Religionen glauben, die weit weg sind.“Der Unterschied bestehe nur darin, dass Getaufte eine zusätzliche Verpflichtung hätten. Sie müssten sich auch verhalten wie Kinder Gottes. In einer Videobotschaft zum